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(c) Pester Lloyd / 41 - 2009  POLITIK 08.10.2009
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Notlösung Budapest

Deutsche Medizinstudenten in Ungarn und ihr Blick auf das Gastland

Viele Deutsche und andere internationale Studenten kommen nach Budapest um Human-, Zahn- oder Tiermedizin zu studieren. Dabei lernen sie sich untereinander kennen und knüpfen Bande mit Kommilitonen aus verschiedensten europäischen Ländern. Freundschaften mit Ungarn kommen jedoch bei den Wenigsten zustande. So bleibt die ungarische Sprache und Kultur für die Meisten während ihres jahrelangen Studiums in Budapest auf der Strecke.

Die Zulassung für einen medizinischen Studiengang in Deutschland ist nur schwerlich zu erreichen, denn die benötigte Abiturabschlussnote muss meist besser als 1,7 sein. Das schaffen nicht Alle mit dem Wunsch, Arzt oder Ärztin zu werden. Trotzdem wollen Viele ihren Traum verwirklichen. Schon lange ist in Deutschland weitläufig bekannt, dass es dafür einen Ausweg gibt: Ein Studium in Ungarn.

„Ich hätte gerne mehr Kontakt zu Ungaren, aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll.“

Sara ist 24 und in ihrem vierten Jahr ihres Tiermedizinstudiums an der Szent István Universität in Budapest. Die ersten zwei Jahre ihres Studiums waren auf deutsch, danach wechselte sie in den englischen Studiengang. Natürlich lernte sie zunächst nur Deutsche kennen und es entwickelten sich enge Freundschaften. Später kamen einige Bekanntschaften mit Studenten aus Irland, Schweden, Italien oder anderen europäischen Ländern zustande, wurden aber nie so eng wie ihre bestehenden Freundschaften. Sie spricht in ihrem Alltag also Deutsch, manchmal mit Studenten mit einem anderen Sprachhintergrund Englisch. Vor ihrem Studium hat sie einen Ungarischkurs mitgemacht, hat aber fast alles davon wieder vergessen. „Ich kann zwar noch ein paar Wörter, aber ich spreche lieber immer direkt englisch mit den Ungaren. Ich könnte mir ein Getränk auf Ungarisch bestellen, aber sobald dann die nächste Frage käme, wäre ich mit meinem Können auch schon am Ende.“

Jasmin kann Saras Einstellung überhaupt nicht verstehen. Sie ist gerade für ein Austauschsemester nach Budapest gekommen und findet: „Zu einem Leben im Ausland gehört auch die Kultur und zur Kultur gehört die Sprache.“. Sie hat es allerdings auch leichter, denn sie ist mit ungarischen Eltern in Deutschland aufgewachsen und kann die Sprache bereits.

Sara hat auch schon einmal für eine längere Zeit in Amerika gelebt und dort mehrere Studenten kennengelernt, die ein Semester in Italien oder Frankreich verbracht haben. „Die haben zwar in Paris oder Rom studiert und gelebt, konnten aber kein einziges Wort Französisch oder Italienisch. Zu jener Zeit habe ich das noch auf diese typisch amerikanische Einstellung gegenüber anderen Kulturen und Sprachen geschoben und war sicher, dass ich es anders machen würde. Heute kann ich sie gut verstehen. Ich hätte gerne mehr Kontakt zu Ungaren, aber ich weiß einfach nicht, wie ich das anstellen soll.“

Seit 1989 ist es möglich, an der Szent István Universität in Budapest ein deutsch-englisches Tiermedizinstudium abzuschließen. Diese Möglichkeit nehmen jährlich etwa 120 Deutsche wahr, während im ungarischen Tiermedizinstudium nur 100 junge Leute eingeschrieben sind.

„Ich habe meine deutschen Freunde hier.“

Auch Daniel studiert seit Kurzem in Budapest. Er ist in der Semmelweis Universität für Humanmedizin eingeschrieben. In Deutschland konnte er nicht studieren, weil er mit 1,9 eine zu „schlechte“ Abiturnote hatte. Er ist mit einer Tiermedizinstudentin aus Deutschland zusammengezogen und ist direkt in die Clique aufgenommen worden. So kennt er genau wie Sara hauptsächlich Deutsche, spricht kaum ungarisch und hat keine ungarischen Bekannte. Morgens muss er früh zur Uni, hört den ganzen Tag Vorlesungen auf Deutsch, sitzt neben seinen deutschen Kommilitonen und vergräbt sich nach der Uni in den deutschsprachigen Büchern. Erst fand er die Idee, in Budapest studieren zu müssen um seinen Traum zu verwirklichen, nicht besonders reizvoll. „Mittlerweile bin ich aber glücklich hier. Ich habe meine deutschen Freunde hier und fühle mich dadurch wie zu Hause.“

An der Budapester Semmelweis Universität ist es bereits seit 1983 möglich, Humanmedizin und seit 1987 auch Zahnmedizin komplett auf deutsch zu studieren. Seit der Studiengang eingeführt wurde, haben rund 3500 Deutsche ihr Medizinstudium an der Universität abgeschlossen.

„In Ungarn zu studieren war für mich nur eine Notlösung.“

Ken kommt aus Irland und studiert wie Sara Tiermedizin in Budapest. Er ist in seinem letzten Jahr und steht kurz vor den finalen Prüfungen. „Ich bin zum Studieren nach Ungarn gekommen, weil es in Irland nur eine einzige Universität gibt, an der man Tiermedizin studieren kann und diese bietet jährlich nur sehr wenige Plätze an. Die Chancen, einen Platz zu bekommen, gingen für mich also gegen Null.“. Auch Ken spricht kaum ein Wort Ungarisch. Er wohnt mit einem Deutschen zusammen, sie sprechen englisch miteinander. In Ungarn will er nach seinem Studium auf keinen Fall bleiben. „Hierher zu kommen, war wirklich nur eine Notlösung.“.

Diese jungen Leute verbringen mehrere Jahre in einem Land mit einer fremden Kultur und Sprache, lernen diese Aspekte dabei aber kaum kennen. Das liegt wohl auch daran, dass ihr Entschluss, zum Studieren nach Ungarn zu gehen, nicht aufgrund des Landes an sich gefasst wurde, sondern aus einer Notsituation heraus entstand. Die Chance, während ihres Studiums Einblicke in eine andere Kultur zu bekommen, Menschen aus einem fremden Land kennenzulernen und einer neuen Sprache mächtig zu werden, lassen sie sich dabei einfach entgehen. Was sie in Ungarn an kulturellen Erfahrungen verpassen, wissen sie gar nicht. Auf eine Weise kann man sie aber auch verstehen: Wie sollen sie Ungarn kennenlernen, wenn in ihrem sehr zeitaufwendigen Studium nur Deutsche oder andere internationale Studenten sind? Außerhalb des Studiums sind sie meist in ihrer alteingesessenen Gruppe unterwegs und machen es sich somit schwer, ungarische Landsleute kennenzulernen. Wie sollen sie die Sprache sprechen lernen, wenn sie keine Übung haben? Mit Englisch oder Deutsch kommen sie im Alltag fast überall zurande, obwohl sich die Supermarktverkäuferin sicher über ein einfaches „Jó napot“ („Guten Tag“), „Köszönöm“ („Danke“) oder mehr freuen würde. Um wirklich in die ungarische Welt integriert zu werden, müssten sie sich bemühen. Dafür bleibt aber wohl neben dem Studium keine Zeit.

Sabine Pollmann

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