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(c) Pester Lloyd / 43 - 2009  BUDAPEST 21.10.2009
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Fahrt ins Nimmerland

Die Kindereisenbahn in Budapest

Ab der Station Hüvösvölgy schlängelt sich eine kleine, romantische Eisenbahn durch die Budaer Berge. Während des nahenden Winters eine gute Ausflugsmöglichkeit für Familien, um dem Trubel der Stadt zu entfliehen. Bis jetzt nichts Außergewöhnliches mag man denken. Hier aber haben Kinder das Sagen. Eine Fahrt ins Nimmerland von Budapest.

Das Telefon schrillt durch das Schaffnerhäuschen. András nimmt den Hörer ab, grummelt kurze Anweisungen und notiert dann alles fein säuberlich in das Berichtheft. Als Bahnhofswart hat er heute viel zu tun, er muss die Einfahrt der Züge kontrollieren. „Aber die Eisenbahn ist nur Hobby, ich gehe normalerweise in die achte Klasse.“ András ist 13 Jahre alt und seit vier Jahren Mitglied der Kindereisenbahn, die seit 1948 in den Budaer Bergen fährt. Die Reise mit der Bahn beginnt an der Endstation Hüvösvölgy utca.

Ein Kinderschaffner macht eine kleine Verschnaufpause, als der Zug hält.

Sie erinnert an Nimmerland, eine kleine pastellfarbene überdachte Treppe führt zum Bahnsteig der Kindereisenbahn. Hier haben Kinder vollständig das Sagen – fast zumindest. „Die Bahn wird von einem erwachsenen Lokführer gefahren, ein Aufsichtsperson ist immer im Dienst und verantwortlich für die Kinder“, erzählt Albert Lugosi, Mitarbeiter der Eisenbahn. Der füllige Mann ist in Eile, er schwitzt leicht, als er den Bahnsteig entlanghetzt, um zum Dienst zu gelangen. Doch als er Kollegen und Bekannte sieht, scheint dies vergessen. Freundlich grüßt er jeden, der vorbeikommt. Man kennt sich hier. Albert Lugosi weiß alles über die Eisenbahn, schon als kleiner Junge hat er mitgearbeitet und betreut heute die Homepage. Bevor die Kinder bei der Bahn mitarbeiten dürfen, müssen sie einen Kurs belegen. Vier Monate lang üben die Eisenbahner in spe, was sie zu beachten haben. Die Arbeit sei schließlich nicht ganz ungefährlich, so Lugosi, der früher die Ausbildung mitbetreut hat. Man müsse sich der Gefahren bewusst sein.

András nimmt sein Hobby sehr ernst - wie ein richtiger
Wärter gibt er vom Bahnsteig Anweisungen.

Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung werden die jungen Mitglieder Kartenverkäufer, Schaffner oder Bahnhofswärter. András ist schon ein Professioneller, alle zwei Wochen wird er für ein paar Stunden Eisenbahnmitarbeiter. Er wirkt souverän, als er seine kleine Brille gewissenhaft die Nase hochschiebt, bevor er aufspringt, um die Schienen umzulegen. Das dumpfe Rattern der Dampflok ertönt aus der Ferne, es ist Zeit in den Zug zu steigen. Die Dampflok qualmt wie hundert Schornsteine, ein schwarzer Rauch legt sich über den Bahnhof. Die umstehenden Touristen, ausgestattet mit Fotoapparaten und Camcordern, sind begeistert. In der Mitte des Waggons ist großer Ofen, der die Passagiere aufwärmt, während der Zug sich langsam durch die Budaer Berge schiebt, immer mal wieder verschnauft und dann auf den nächsten Bahnhof zusteuert.

Die Kindereisenbahn ist ein Non-Profit Projekt, das vor allem durch das Herzblut der Mitarbeiter getragen wird. 30 fest angestellte Erwachsene arbeiten hier, manche von ihnen arbeiten bei der staatlichen Bahn, der „Normalen“, sagt Lugosi mit wichtiger Miene. Ein Märklin-Paradies im Großformat. Die Schienen und Waggons werden von dem staatlichen Bahnnetz in Stand gehalten und finanziell unterstützt, die Kindergemeinde hingegen wird von einer Stiftung getragen: Diese bezahlt die Uniformen, die Ausbildung und zum Teil auch die zahlreichen Aktivitäten wie das jährliche Sommercamp für die Mitglieder.

Die Dampflok legt eine schwarze Wolke über den Bahngleis - der Fotografin gefällt´s

Fotos: Sabine Pollmann (c) Pester Lloyd

Die Bahn steuert auf den nächsten Halt zu. Mit einem Ruck kommt sie zum Stehen, Martón salutiert seinem Kollegen im Zug und geht dann gemächlich ins Führerhäuschen. Nachdem er den Krawattenknoten zurechtgerückt hat, selbstgebunden natürlich, erzählt er von der Ausbildung. „Zuerst haben wir all das gelernt, was wir nicht dürfen. Rennen, über die Züge klettern, auf einen fahrenden Waggon aufspringen – alles verboten“, grinst der 13-jährige zwischen seiner großen silbernen Zahnspange. Sein Kollege Peter, sonst scheinbar gewissenhaft, gibt zu, dass er die Regeln schon mal gebrochen habe: „Ich bin am Bahnsteig gerannt - aber der Aufpasser hat es nicht gesehen.“

Albert Lugosi beschwichtigt, dass sie alle noch Kinder seien, logisch, dass auch mal jemand über die Stränge schlüge. Aber meist reiche eine kleine Strafe, wie kurzzeitiges Mitmachverbot – und so wissen auch alle anderen, dass es Konsequenzen hat, wenn man sich nicht an die Eisenbahnregeln halte.

Die Lok pfeift, noch mehr schwarzer Rauch kommt aus ihrem gußeisernen Bauch, es geht weiter. Vorbei an dem höchsten Punkt Budapests, dem Janós-hegy, an dem Wintersportgebiet Normafa und an den Wanderwegen, die parallel zur Bahnstrecke verlaufen. Die 11 Kilometer lange Strecke dauert ungefähr fünfzig Minuten, dann erreicht man die Endhaltestelle Széchenyi-hegy. Ein märchenähnlicher Ausflug in das Land der Kinder – das Bild von Nimmerland bleibt im Kopf, während man mit der Zahnradbahn wieder gen Stadt fährt. Oben in den Budabergen, da haben die Kinder bei der Bahn was zu sagen.

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Fiona Weber-Steinhaus

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