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(c) Pester Lloyd / 46 - 2009  POLITIK 09.11.2009
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Ungarn bleibt wahrscheinlich Republik

Was macht Viktor Orbán mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit?

Während sich Oppositionschef Orbán in einer staatstragenden Rolle präsentierte und Ängste vor einem Totalumbau des ungarischen Verfassungssystems in seiner kommenden Regierungszeit nehmen wollte, wiederholte sein Stellvertreter den Plan, mit der Gyurcsány-Bajnai-Ära auch juristisch abrechnen zu wollen. Die Sozialisten werfen dem Fidesz absolutistische Anwandlungen vor und ihr (parteiloser) Regierungschef kündigte an, die rigiden Sparmaßnahmen dem Volke nun zumindest erklären zu wollen.

Auf einem sonntäglichen Parteitreffen unter dem Titel “Neuer Staatsaufbau” in Kecskemét erklärte Viktor Orbán, Chef des nationalkonservativen Fidesz und ab April nächsten Jahres wieder Ministerpräsident Ungarns, dass man auch, wenn seine Partei tatsächlich zwei Drittel der Mandate im nächsten Parlament erringen würde, nicht mit einem Komplettumbau des Verfassungssystems zu rechnen habe. Auf der pathetischen, als konservatives Ideensymposium inszenierten Veranstaltung sagte er: "Ich unterstütze ein kleineres Parlament, ich will die Verkleinerung der Regional- und Lokalparlamente um die Hälfte, aber ich denke nicht daran das Fundament des ungarischen politischen Systems zu ändern, das auf der politischen Machtausübung durch vom Volk gewählte Parlamentsabgeordnete beruht." Auch eine Direktwahl des Präsidenten möchte er nicht einführen.

Neueste Wahlumfragen halten es (wieder einmal) für möglich, dass Fidesz bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2010 nicht nur die absolute, sondern sogar die Zwei-Drittel-Mehrheit der Parlamentssitze erringt, somit also eine einzelne Partei die Verfassung ändern könnte. Orbán meinte dazu, dass er und seine Parteikollegen sich eine solche Konstellation schon wünschen würden, dies aber einem Wunder gleich käme. "Ich will aber nicht sagen, dass es keine Wunder gibt", ergänzte er. Früher oder später brauche Ungarn ohnehin eine neue Verfassung, denn die jetzige, 20 Jahre alte, war ohnehin als Provisorium in einer Übergangszeit gedacht gewesen. Das Konzept einer Präsidialdemokratie nach französischem Vorbild wird in Ungarn immer einmal wieder, vor allem von konservativen Kreisen, diskutiert.

Pokorni: Trennstrich zwischen der Vergangenheit und der Zukunft

Die seit Monaten als Wahlkampfslogan für das schlichtere Wahlvolk angekündigte "Verfolgung der Verantwortlichen" in den Regierungen Gyurcsány-Bajnai, die der "Ausplünderung des Landes" etc. bezichtigt werden, stand beim Stellvertretenden Fidesz-Chef Zoltán Pokorni einmal mehr auf dem Redeplan. "Vielleicht werden die Resultate (dieser Aufarbeitung) milder ausfallen, wie es sich die Merhheit des Volkes wünscht oder erwartet (...) aber sie ist dennoch eine wichtige Angelegenheit. Nicht nur, um die vielen verschwendeten Milliarden zurückzuholen, sondern wegen der Zukunft...", sagte der Politiker. Die neue Regierung wird einen klaren Trennstrich zwischen der Vergangenheit und der Zukunft ziehen und damit zeigen, dass die Zeit vorbei ist für Vetternwirtschaft und für jene, die glauben, ihre Parteien mit schmutzigen Tricks finanzieren zu können.

Pokorni erwähnte jedoch nicht, dass seine Partei gerade Gespräche mit NGO´s über Grundzüge eines neues Parteienfinanzierungsgesetzes abgebrochen hat und auch Politiker seiner Partei in diverse Skandale verwickelt sind (wenn auch bei weitem nicht in so viele wie die regierende MSZP). Auch der Skandal um die Vergabe zweier Rundfunklizenzen, bei der man dem einen Konsortium einen direkten Draht zum Fidesz zuschreiben kann, ist nicht gerade geeignet, die These von der Unneigennützigkeit der Orbán-Partei zu untermauern. Er wiederholte, was man vom Fidesz als Sofortmaßnahmen nach dem Wahlsieg erwarten könne: Abschaffung der Luxus- bzw. Immobiliensteuer, Einführung eines "familienfreundlichen" Steuersystems, Wiedereinführung der Erziehungsbeihilfe, bedingungslose Staatsbürgerschaft für ethnische Ungarn im bzw. aus dem Ausland, Verschlankung des Verwaltungsapparates. Auch er sieht die "mathematische Möglichkeit" einer Zweidrittel-Mehrheit, will darauf aber nicht die politische Programmatik für ein Regierungsprogramm aufbauen.

Die Sozialisten reagierten pikiert aber hilflos auf die obigen Ausführungen Orbáns. Parteisprecher István Nyakó meint, Orbán benehme sich schon jetzt wie ein König, der über seine Untertanen nach Lust und Laune gebieten könne. "Er glaubt, er ist ein König, der mit seinem Land tun und lassen kann, was er will. Nach seinem Gutdünken wird entschieden, wie der Präsident zu wählen ist, wieviele Volksvertreter es zu geben hat und wie die Gesetze lauten. Viktor Orbán will nicht regieren, sondern herrschen." Wie er nennenn würde, was seine Partei in den letzten Jahren getrieben hat, dazu äußerte sich der Parteisprecher allerdings nicht.

Die Regierung hat keine Freude daran, die Menschen zu quälen

Apropos Untertanen. Nun, da die Eckpunkte des Haushaltes 2010 bereits beschlossene Sache sind, will sich der derzeitige Regierungschef Gordon Bajnai mehr Mühe geben, dass "so viele Menschen wie möglich" verstehen, dass "es ernsthafte Gründe für die harschen Sparmaßnahmen gibt", was ein bisschen danach klingt, als hätte die Mehrheit der Ungarn sie bisher für einen schlechten Scherz gehalten. Ohne seine Maßnahmen, so Bajnai, wäre der Abschwung tiefer und die Rezession länger. Bajnai sagte in einem Interview in der links-liberalen Zeitung Népszava, dass die Opposition argumentiere als gäbe es keine globale Krise, als würde die Regierung eine Freude daran haben, die Menschen zu quälen. Der Fidesz solle sich seine Flausen austreiben. Auch Orbáns Partei wird keine großen Spielräume haben, wenn sie nächstes Jahr an die Regierung kommt. Einerseits gibt es eine klare Abmachung mit dem IWF als Ungarns größtem Gläubiger, andererseits ist das Defizitverfahren der EU nur ausgesetzt, so dass der Rahmen klar gesteckt ist, warnte Bajnai.

Ungarns Kennziffern werden also längst nicht mehr in Budapest geschrieben. Auch wenn das der Fidesz kaum ohne größere internationale Verwerfungen wird ändern können, allein diese eingestandene "Fremdbeherrschung" treibt der Partei die Wähler in Scharen zu. Bajnai hat offenbar auch nicht verstanden, dass nicht nur die Staatsfinanzen ruiniert sind, sondern vor allem die Reputation der Partei, der er derzeit die Geschäfte führt.

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