(c) Pester Lloyd / 49 - 2009
BUDAPEST 30.11.2009
Luxustölpel in wilder Minze
Understatement in der Krisenhauptstadt: "Fine Living Expo" Budapest
Es treffen sich die Ausstatter einer traurigen, wenn auch noch mächtigen Unterschicht. Leute, die sich zwar teuer kleiden und aufwendig leben, ihre
Pferdefüße in noblen Karossen verbergen, sich aber mühsam auf ihre geistigen Bettelstäbe stützen müssen, wenn sie ihre diskreten Habitate einmal verlassen.
Auf einer Budapester Luxusmesse trifft man nicht mal die Teufelsbrut selbst, nur ihre lächerlichen Epigonen. Also schießen wir mit Kanonen auf gerupfte Nebelkrähen, Hauptsache man trifft.
Die Vorstellung einer Luxusmesse mag in Zeiten einer Krise und vor allem im
besonders gebeutelten Ungarn nicht nur ein wenig anachronistisch, sondern regelrecht pervers anmuten. Doch die Aussteller retten sich nicht zuletzt mit dem
Argument in die dreitägige Sause, dass der Luxus der Einen Arbeitsplätze für die Anderen schafft und sei es zur Zeit auch mehr durch Messen als Verkäufe. Luxus ist
schließlich auch nur eine Industrie. Und da Boni wieder gezahlt werden, in Ungarn sogar die "Manager" ausgelaugter Verkehrsbetriebe fürstliche Abfindungen erhalten
und die wirklich Reichen sowieso immer reich bleiben, findet auch die Fine Living Expo vom 4. bis 6. Dezember ihre Kundschaft. Auf einem Forum sollen in- und
ausländische Trends behandelt werden und wie man die Messages an die Kundschaft und (richtig) in die Medien bekommt. Zumindest bei letztem besteht akuter
Nachholbedarf, wie Sie lesen. Aber auch die Messe selbst, ist eher ein harmloses Stelldichein heimischer “Edel-”-Marken und kleiner Vertreter großer ausländischer
Häuser. Ein bisschen Golf hier, ein wenig Beauty farm hier, dazwischen ein Single Malt, was solls.
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Lila: der letzte Versuch?, Abb. www.finelivingexpo.com
Pálinkasaufend ungarisches Liedgut vergewaltigt
Ein Schwerpunkt der "Fine Living Expo" wird auf Delikatessen, Wein, Zigarren etc.
liegen. Luxus also, der nicht immer nur unleistbar teuer sein muss. Allerdings heißt es schon in der Ankündigung, dass man vor allem Premiummarken versammeln will,
d.h. im Zweifel wird der Name doch wichtiger sein als alles andere. "Home & Design, Fashion & Style, Food & Drink" aaaaand Lifestyle lauten die Überschriften
unter denen sich 90 Aussteller auf rund 4.000 Quadratmetern bescheiden müssen. Man bemüht sich sichtbar, den Protz zu Gunsten eines - wie immer definierten -
feinen Stils zu vermeiden. Das wird anhand der Schaustellerliste nur bedingt klappen, das Vam Design Center bietet allerdings einen wirklich stilvollen und gar nicht
überbordenden Rahmen. Doch, wer wirklich Stil hat, stellt ihn aus, exponiert ihn? Lässt sich Stil vorzeigen, gar kaufen?
Modeschauen, ein Konzert, Verkostungen für Whisky weitere "Events" sollen die
Klientel zumindest in Kauflaune versetzen. Darauf kommt es an. Und die Aussteller werden alle Hände voll zu tun haben, der Show wenigstens etwas luxuriosen Glanz zu
verleihen, vom Publikum können sie den kaum erwarten. Man erlebte bei Vergleichbarem schon eine rasante Provinzialisierung zwischen postsozialistischen
Beamten aus einem ehemaligen Kombinat für Edelporzellan, übermüdeten Showmixern und genervten Toilettenfrauen, die aufgeregt die Einhaltung der
Hausordnung überwachten, während halbministerielle Schnauzbärte in durchgeschwitzten Abteilungsleiteranzügen - abwechselnd in wilder Minze oder
schweißgeknitterter Aubergine gehalten - pálinkasaufend ungarisches Liedgut vergewaltigten und das für Understatement hielten. So gesehen schießt man mit der
hier geübten Polemik wie mit Kanonen auf gerupfte Nebelkrähen. Aber Hauptsache man trifft und seien es auch nur die Epigonen der wirklichen Teufelsbrut. Also toben wir gleich weiter.
Den zweifelhaften Ruf mit einer "milden Gabe" aufspritzen
Es macht sicher ein chices Bild, wenn auf der Fine Living Expo eine Tombola
abgehalten wird, mit von den Ausstellern gestifteten Preisen, deren Erlös an eine Hospizstiftung geht. Es ist nicht schon schlimm genug, dass es Sterbehäuser für alte
Menschen und sogar für Kinder (!) überhaupt geben muss, weil häusliches Siechtum vom Innenausstatter nicht berücksichtigt wurde. Es genügt auch noch nicht, dass die
Verwandten, die ihre Alten in solche Heime abschieben, in denen zwar christliche Nächstenliebe gegen Geld zugekauft werden kann, ohne dass aber auch nur ein
Hauch von wirklicher Liebe bei den sterbenden Kindern und Großmüttern ankommen muss, bei diesem Ablasshandel noch so geizig sind, dass diese Heime selbst mit dem
Teufel einen Pakt eingehen müssen, um finanziell über die Runden zu kommen. Aber auch das genügt noch nicht. Oh nein, die Organisatoren glauben auch noch, die
regionalen Schicki Mickis von Budapest sollten und wollten ihren zweifelhaften Ruf öffentlichkeitswirksam mit einer "milden Gabe", Tombola-Losen zwischen 20.000
und 100.000 Forint aufspritzen. Eine überschminkte, stöckelnde Eventtussi wird dann, zwischen Champagner und Gänseleberhäppchen, umständlich einen großen
Scheck an eine betreten dreinschauende Heimleiterin übergeben, die ein paar Worte stammelt, die zwischen Zigarrenrauch und Lichtinstallationen verpuffen? "Fine Living
für die einen, Better Dying für die Kleinen", das wäre doch mal ein Motto...
Bauer simuliert Bürgertum und fühlt sich wie Magnat
Noch immer nicht genug Neiddebatte? Also gut. Es gibt ja eigentlich auch nichts
widerlicheres als Neureiche, die sich öffentlich in falscher Bescheidenheit üben und soziale Verantwortung heucheln. Sollen Sie es doch krachen lassen. Das macht die
Welt auch nicht schlechter als sie ist. Gestopfte Gänseleber ist nicht zynischer als Kaviar, dabei aber immerhin patriotisch! Die neueste Plünderungsphase Ungarns
blieb in den Kinderschuhen stecken, weil für größeres Schuhwerk das Material vor der Zeit ausging. Den Bauern und Berufsbeamten, die jetzt Bürgertum simulieren
und sich dabei wie Magnaten fühlen wollen, fehlt die jahrhundertelange Erfahrung ihrer Vorgänger, die es perfekt verstanden, das eigene Land zu plündern, als
Vortänzer in Wien die Charmeure zu markieren und hinterher auf der Weltbühne noch Mitleid einzuheimsen. Die besten Operetten haben ungarische Melodien. Die
Claims sind heute noch nicht wieder ganz abgesteckt und überhaupt ist zu viel Konkurrenz auf dem Markt. Naja und dann, dieses verdammte Finanzamt, Richter,
EU-Behörden - alles Kommunisten, geldgierige noch dazu. Die Tanzschritte beherrschen die Luxustölpel nicht mehr, das Kleingeld drückt in den Schuhen. Nackt
sind sie sowieso. Aber für das Sich-Abheben von der Masse und die Flucht vor dem eigentlichen Elend, dem Spiegelbild, reichen die paar Bündel Bares, die man sich
ergaunert hat und die hier eine Welt bedeuten, schon längst wieder aus.
Bevor Sie aber - auch Dank dieser einladenden Zeilen - einen Ausflug ins Vam Design
Center planen, überprüfen Sie bitte erst, ob Sie überhaupt der relevanten Zielgruppe angehören. Sie ersparen sich und der Mitwelt so peinliche Szenen und im Museum für
Volkskunde soll es ja auch ganz lehrreich und schön sein. "The Visitors Profile" besteht aus: "Managers and Executives, Economists, Lawyers and Doctors practicing
in private clinics (!!), Media Representatives (wir auch?), Young (!!) and ambitious managers working in other sectors." "Ambitious in other Sectors", das ist das
Codewort. Alles klar oder? Immerhin traut man 4.000 Budapestern zu, in eine dieser Kategorien zu passen. Wahrscheinlich sind es deutlich mehr, aber die müssen noch arbeiten. Oder haben Stil...
Fine Living Expo Budapest 4. bis 6. Dezember Vam Design Center Budapest
Tagesticket, Erwachsene: HUF 2.500 Alle weiteren Preise, detaillierte Programme, Hintergründe: www.finelivingexpo.com
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