(c) Pester Lloyd / 02 - 2011 RUMÄNIEN 10.01.2011
Schmutziges Spiel
Das Geschacher um den Schengenbeitritt von Rumänien und Bulgarien als Exempel westlicher Arroganz
Bulgarien und Rumänien haben zuviel in den Beitritt zum Schengenraum investiert als dass sie jetzt die Hoffnung aufgeben sollten, heißt es ermunternd
von EU und der ungarischen EU-Ratspräsdientschaft. Dennoch wurde der anvisierte Termin Ende März längst aufgegeben, auch wenn man das offiziell noch
nicht zugeben mochte. Frankreich torpediert den Beitritt aus niederen Motiven. Deutschland genießt und schweigt.
Umarmen will er ihn sicher nicht, vielleicht die Maske vom Gesicht reißen?
Präsident Traian Basescu und Nicolas Sarkozy kürzlich in Brüssel
Sarkozys Retourkutsche
Es sind vor allem Bedenken über den Zustand der bulgarischen Grenzwache, die für den
Schutz, vor allem aber die Abdichtung der EU-Außengrenze sorgen müssen, dies aber nach einer Evaluierung von EU-Stellen bisher noch nicht können, die als Argument
gegen den Beitritt genannt werden. Mit der Grenze zur Türkei bewachen die Bulgaren sozusagen auch eine ideologisierte Pforte zwischen Morgen- und Abendland. Doch der
französische Präsident Sarkozy legte den Finger in eine ganz andere Wunde. Er geißelte die "mangelnden Fortschritte" Rumäniens und Bulgariens bei der Korruptions- und
Verbrechensbekämpfung und rächt sich so für seine mediale Niederlage bei der Abschiebung von Roma.
Vor allem Rumänien zeigte sich durch die Verzögerungen beim Schengenbeitritt
enttäuscht und zurückgesetzt, gerade in dieser schweren Zeit hätte das Land ein Signal gut gebrauchen können, das es als Europäer ernst nimmt, denn man hat es zurecht
allmählich satt, ständig in die Schmuddelecke Europas gestellt zu werden. Entsprechend hat sich Präsident Traian Basescu auch persönlich um die Fortschritte zur Erfüllung der
Kriterien bemüht, die Angelegenheit zur Chefsache erklärt. Innenminister Traian Igas bestätigte denn auch, dass "Rumänien alle Bedingungen zur Grenzsicherung erfüllt hat"
und man keinen Grund sieht, warum wegen der Versäumnisse in Bulgarien mithaften soll.
Große Verärgerung über "Diskriminierung"
Die Verärgerung über die durch Frankreich und Deutschland bestriebene Verschiebung
des Beitritts war in Rumänien und Bulgarien so groß, dass man sich schon überlegte aus Rache dafür den EU-Beitritt Kroatiens zu boykottieren. Besonders erregte man sich
darüber, dass es gar nicht in erster Linie die Schengenkriterien waren, die die beiden großen Machtzentren Europas beanstandeten, sondern eine allgemeine Klage darüber,
dass weder Bulgarien noch Rumänien bisher die angemahnten Aktivitäten gegen Korruption und organisierte Kriminalität in ausreichendem Maße eingeleitet haben.
In Rumänien vermutet man aber nicht zu unrecht noch andere Motive hinter der
Zurückweisung durch die Franzosen. Der Beitritt zum Schengenraum verändert auch die Situation der Rumänen innerhalb Europas, macht Ansiedlungen in anderen Ländern noch
leichter, was bei Präsident Sarkozy offenbar wieder den Zigeuner-Reflex auslöste, mit dem er sich in Europa wenig Freunde gemacht hat. Der rumänische Präsident Traian
Basescu schickte auch gleich eine entsprechende Warnung nach Paris, dass er sich eine solche Polit-Show wie bei der Abschiebung von Roma aus Frankreich verbittet: "Wir
werden von niemandem Diskriminierung akzeptieren, auch wenn es eines der stärksten Länder der Gemeinschaft ist. Wir müssen die gleichen Beitrittsbedingungen haben wie
alle anderen Mitgliedsstaaten. Ein Verstoß gegen die Beitrittsbedingungen könnte später auch andere Länder treffen."
Solidarität wird dem innenpolitischen Kalkül geopfert
Basescu gab schon auch zu, dass die Reformierung des Justizsystems und "die
ineffiziente Arbeitsweise staatlicher Institutionen" tatsächlich eine große Herausfoderung für sein Land bleiben, doch solle man das nicht mit
demSchengen-Beitritt verbinden, denn, so unterstützte ihn Senatspräsident Mircea Geoana, eine solche Verbindung sei nicht nur "unfair gegen Rumänien, sondern auch
gegen europäisches Recht." Auch der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borisov widersprach dem Versuch der Franzosen, das Monitoring über die inneren und
Justizangelgenheiten der Länder mit dem Beitrittsverfahren zum Schengenraum zu verbinden. Die Kommission habe längst erklärt, dass man keine weiteren als die
festgelegten Bedingungen an den Beitritt knüpfen könne und werde.
Deutschland kann sich aus dieser Diskussion heraushalten, genießt und schweigt dazu
wie sich Sarkozy einmal wieder aufplustert und unbeliebt macht, während man das Ziel, Rumänien und Bulgarien auf anderem Gebiet als dem der Schengenkriterien unter
Druck zu setzen ganz nebenbei erreicht hat. Das Geschacher um den Beitritt liefert eine weiteres Beispiel daafür ab, wie Sachverhalte, die eigentlich europäische
Solidarität erfordern aus innenpolitischem Kalkül missbraucht werden. Eigentlich eine erbärmliche, doch leider sehr typische Show, wie der Osten als wehrlose
Projektionsfläche für die Machtspielchen der “Großen” herhalten muss.
Missverständliche Signale aus Ungarn
Der ungarische Innenminister Sándor Pintér wollte kürzlich eine Meldung korrigieren,
die ihn mit den Worten zitierte, dass sich Ungarn für eine Verschiebung des Beitritts bis Oktober einverstanden erklärt hätte. Seine Worte wäre "nicht verstanden oder
missinterpretiert worden." Nicht die einzigen Verständnisschwierigkeiten, die Ungarn mit Europa und umgekehrt hat. Denn in Wirklichkeit scheint es längst abgemachte
Sache, dass die beiden Staaten erst im Oktober dem Schengenabkommen beitreten können, auch wenn Ungarn sich vehement für den baldigen Beitritt einsetzt. Ungarn
erfuhr so schnell die Grenzen seiner Macht als EU-Ratspräsident. Wenn der Kuchen redet, haben die Krümel zu schweigen...
Ungarn sichert derzeit mit großem personellen und für das Land auch bedeutendem
finanziellen Aufwand die EU-Außengrenzen zur Ukraine (ca. 100 km) und Serbien (150 km) sowie Kroatien (ca. 300 km). Während letztere bald als Außen- nicht als
Schengengrenze wegfallen wird, würde die Verschiebung der Schengengrenze nach Rumänien auf 440 Kilometern Entlastung bringen. Außerdem hat man Grund sich bei
Rumänien zu bedanken, hat das Land doch - im Unterschied zum nördlichen Nachbarn Slowakei, das Theater um die doppelte Staatsbürgerschaft schweigend hingenommen.
Daher sind die ungarischen Motive durchschaubar, was die ohnehin begrenzte Macht des Landes weiter verringert.
red.
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