(c) Pester Lloyd / 03 - 2011 MAZEDONIEN 20.01.2011
Schall und Rauch
Der Aufstand der Tabakbauern in Mazedonien
Seit vier Wochen tobt in Mazedonien ein regelrechter Tabakkrieg. Im Westen hört man davon wieder einmal so gut wie nichts, dabei lebt das halbe Land vom Tabak,
d.h. es würde gern davon leben können, doch die staatliche protektionierten Einkäufer lassen die Bauern am ausgestreckten Arm verhungern. Die wehren sich
jetzt lautstark und zum Teil immer gewalttätiger. Doch die Regierung bleibt stur, Europa stumm.
Rund 30.000 Familien, also um die
150.000 Menschen des 2 Millionen-Volkes leben in Mazedonien vom Tabakanbau, der in dem Land also kein Nischenprodukt ist, sondern ein echter Wirtschaftsfaktor und bildet
eine eigene Kulturlandschaft mit uralten Traditionen. Die Tabakwirtschaft ist in Mazedonien nach dem öffentlichen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber. Dieser Tage sind die Tabakbauern aber
nicht auf ihren Feldern oder in den Trockenhütten, sondern auf der Straße. Weitgehend übersehen von der westlichen Öffentlichkeit, kämpfen sie mit immer härteren Bandagen
um ihr wirtschaftliches Überleben.
Feudalismus und Planwirtschaft in Einem
Das Tabakmonopol des Staates in Mazedonien hat etwas archaisches. Ein Gesetz verbietet
es den Anbauern, ihre Ware frei auf dem Weltmarkt zu handeln, wenn sie in den Genuss von staatlichen Zuschüssen kommen wollen, ohne die sie wiederum nicht auskommen
würden, weil die Aufkauspreise so niedrig sind. Sie müssen den Tabak an eine vom Staat geführte Liste lizensierter, privater Aufkäufer veräußern, die dieses protektionierte
Oligopol weidlich zum Preisdumping ausnutzen. Keine Frage, dass hinter diesen Händlern und diesem feudal-planwirtschaftlichen System die Interessen diverser Politikerfamilien stecken (sollen).
Preis rauschte binnen eines Jahres um 2/3 nach unten
In diesem Jahr weigerte sich die
mazedonische Regierung und die führende bürgerliche-nationale Parteienkoalition VMRO DPMNE (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei
für Mazedonische Nationale Einheit), die im Parlament über eine recht große Mehrheit verfügt, die Einkaufspreise nachzuverhandeln und auf Forderungen der Tabakbauern einzugehen, offiziell
wegen Budgetengpässen, aber wohl auch wegen Eigeninteressen. Die Leidtragenden argumentieren nun, dass sie von den Dumpingpreisen von teils unter 1 EUR für das Kilo
nicht mehr existieren können und gehen auf die Straße. Im Vorjahr habe man im Schnitt noch 3 EUR für das Kilo erhalten, was ein vernünftiger Preis gewesen sei.
Es brannten schon Autos und es gab Verletzte
Bereits seit vier Wochen tobt der Tabakkrieg in Mazedonien, bemerkt hat es im Westen
kaum einer, obwohl mittlerweile zehntausende tagtäglich und über Nacht auf den Straßen Skopjes unterwegs sind und die Mittel des Protestes immer rabiater werden. Zuerst
blockierte man nur das Parlament, dann stürmte man es bereits, tausende Polizisten halten dagegen, es flogen Steine und Flaschen, Autos brennen und es gab bereits mehrere
Verletzte auf beiden Seiten.
Geholfen hat das alles nichts. Die
Regierung beharrt stur darauf, erst nächstes Jahr wieder über neue Tabakpreise verhandeln zu wollen und bezichtigt die oppositionellen Sozialdemokraten, den Streit angeheizt
zu haben und das Schicksal der Tabakbauern für politische Zwecke zu missbrauchen. Nun zogen die Tabakbauern auch vor die Parteizentrale der Sozialisten, um sich deren ungewollte
Einmischung zu verbitten und der Regierung ein Signal ihrer politischen Unparteilichkeit zu geben. Es gehe ihnen nur darum,
von ihrer Arbeit lesen zu können, aber das mafiöse Geflecht der Tabakaufkäufer lasse das nicht zu, daher müsse die Regierung garantierte Mindestpreise einführen oder den
Verkauf, zumindest teilweise freigeben, was auch den logischerweise immer stärker werdenen illegalen Export, also Schmuggel eindämmen könnte.
Aufruf zum zivilen Ungehrosam
Die Gewerkschafter und auch die wilden Aufstandsführer wollen ihre Proteste nun noch
eindringlicher gestalten und den "zivilen Ungehorsam" ausweiten, "bis wir bessere Preise bekommen". Die Aufkaufphase für Tabak geht normalerweise bis Ende März, man werde
bis dahin durchhalten, so die Organisatoren der Proteste. Am heutigen Donnerstag rief man hingegen wieder "alle Parteien, die uns unterstützen dazu auf, sich uns anzuschließen."
Noch weiter geht Streikführer Nedelkovski, "Wir werden durch die Straßen ziehen, Fenster
zerbersten lassen, bis wir unser täglich Brot bekommen." sagte er, nachdem er die erneute Absage von der Regierung miterleben musste, die nur "warme Grüße" an die Bauern
sandte, deren Forderungen bleiben bisher aber Schall und Rauch. Die EU, gerade wieder
sehr beflissen "dem Balkan" eine "EU-Beitritssperspektive zu eröffnen", bleibt, wenn es konkret wird, wieder einmal stumm. Dabei könnten ein paar winkende Zaunpfähle wahre
Wunder wirken.
red.
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