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(c) Pester Lloyd / 04 - 2011  POLITIK 26.01.2011

 

Gesellenprüfungen

Anhörungen im EU-Parlament zur ungarischen Ratspräsidentschaft

Am Dienstag fanden in Brüssel zwölf Anhörungen ungarischer Minister und Staatssekretäre in Fachausschüssen des Europäischen Parlamentes statt. Dabei sollten europäische Leitthemen mit Forderungen der Parlamentarier und den ungarischen Prioritäten harmonisiert werden. Das geschah mit ganz unterschiedlichem Elan und Erfolg. Immer wieder kamen EU-Abgeordnete auf die ungarische Innenpolitik zu sprechen und brachten die Befragten zum Teil in die Situation von Angeklagten.

Bei diesen Fachanhörungen zum jeweiligen Auftakt einer Ratspräsidentschaft geht es in erster Linie um die Abstimmung und Beeinflussung der Schwerpunkte für die anstehenden Ratssitzungen. Die Ratspräsidentschaft fungiert hier sozusagen als Makler zwischen EU-Parlament und dem Rat, also den Regierungen, die Anhörungen sind eine Art Gesellenprüfung für angehende Makler. Einige der ungarischen Regierungsvertreter wirkten sehr professionell, kooperativ und gut vorbereitet, einige aber auch ziemlich überfordert, manche logen dreist. Einige Auszüge beweisen, dass der schlechte Start der EU-Präsidentschaft durchaus auf die konkrete Arbeit durchschlägt, auch wenn sich die Beteiligten bemühen dies zu verhindern und EU- von Innenpolitik zu trennen. Die Glaubwürdigkeit der ungarischen Vertreter hat dennoch gelitten, doch auch die geforderte Professionalität der Ausschussmitglieder des Parlamentes verschwand manchesmal hinter ideologischer Gereiztheit, auf beiden Seiten.

Nationalwirtschaftsminister György Matolcsy zog sich, bereits am Montag, recht geschickt aus der Affäre, in dem er die vom westlichen Wirtschafts-Lobbyismus beargwöhnten Krisensondersteuern wiederum als zeitweises, aber unumgängliches Instrument zur Balancierung des ungarischen Haushaltes rechtfertigte. Er wünscht sich im übrigen für 2012 und danach eine einheitliche EU-Banken bzw. Finanzsteuer, die dann nicht mehr der Budgetentlastung dienen, sondern zur Krisenprävention ansparen soll. Hinsichtlich der derzeitigen Kardinalsfrage der EU, jener nach einer gemeinsamen Stabilitätsstrategie für den Euro und den Wirtschaftsraum, zeigte er sehr bildhaft, dass sich die verschiedenen Kompetenzen einer Lösung gegenseitig im Weg stehen. Während man bemüht sei, zwischen den tragenden Instiutionen der Gemeinschaft, also Parlament, Rat und Kommission, "Brücken zu bauen", sei die Sache des "ständigen Stabilitätsmechanismus" nach wie vor ein Fall für die einzelnen Regierungen, womit der EU leider keine Kompetenz zufalle. Kurz gesagt, die Ängste und Egoismen der Mitgliedsländer verhindern hier eine Lösung. Ein gordischer Knoten, den der ungarische Minister nicht allein lösen kann.

Außenminister János Martonyi betonte vor seinem Ausschuss den menschlichen Faktor, der alle anderen Bemühungen der Gemeinschaft zu überstrahlen habe. Hinsichtlich konkreter Punkte, benannte er die Aufnahme Russlands in die WTO als Schwerpunkt, "die nun bald geschehen werde." Gleichzeitig befürwortete er den Abschluss von Freihandelsabkommen mit Armenien und Georgien, wenigstens die Aufnahme konkreter Verhandlungen darüber. Gleiches sei mit der Ukraine anzustreben, er stellte aber fest, dass dazu auf "beiden Seiten mehr Flexibilität" von Nöten sei. In Allgemeinplätzen ging er auf die Bedeutung der Beziehungen zu China, Indien und Lateinamerika ein.

Miklós Réthelyi, Minister für Nationale Ressourcen reiste gleich mit einer ganzen Armada von Staatssekretären an, denn ihm unterstehen in einer in Europa fast einmaligen Bündelung u.a. die Ressorts, Bildung, Wissenschaft, Soziales, Gesundheit, Sport, Kultur. Er besprach sich über wichtige Fragen der Implementierung der Richtlinien über Patientenrechte in Verbindung mit der grenzübergreifenden Gesundheitsversorgung. Réthelyi, zuvor Professor and er Semmelweis-Medizinuni in Budapest, wurde aufgefordert, die Frage der gesundheitlichen Relevanz genmodifizierter Pflanzen mit auf die Agenda zu setzen und sich verstärkt um die Reduzierung der Raucherquote bei Jugendlichen zu engagieren.

Schon heikler wurde es bei der Anhörung von Staatsminister Géza Szőcs, zuständig für Kultur. Er möchte im Rahmen der Strategie „Europa 2020” das "wirtschaftliche Potenzial von Kultur europaweit kartographieren" und so den Nachweis erbringen, dass Kultur auch eine wirtschaftlich bewertbare Größe ist. Doch es gab noch andere Fragen: Obgleich das Mediengesetz "nicht zu meinem Portefeuille gehört", ist er "mit den vehementen Angriffen, die sich seit der Annahme des Gesetzes gegen die ungarische Regierung und das Gesetz selbst gerichtet haben, persönlich nicht einverstanden". Er wiederholte die Abwehr seines Justizministers, dass aus Brüssel keine "schwerwiegenden Probleme" gemeldet wurden. Sehr denkwürdig auch der Satz: „Der in den meisten Ländern Europas tief verwurzelte Antisemitismus hat in Ungarn geringfügige gesellschaftliche Unterstützung und ist auch während der Amtszeit der derzeitigen Regierung nicht stärker geworden.”

Weiter behauptete er, dass "alles unternommen wird, um die an den Rand der Existenz gelangten kulturellen Einrichtungen und Theater zu retten...”. Die Wirklichkeit in Ungarn sieht anders aus. Richtig ist, dass die Sozialisten ihm ein tiefrotes Budget hinterlassen haben, aber gerettet wird nichts, nur angeeignet. So wurde bereits die Oper mit einem Regierungskommissar besetzt, die Leitung gefeuert (freilich aus fachlichen Gründen), gleiches passiert im Nationaltheater und der Kunsthalle und auch in kleineren Einrichtungen. Während die so immer mehr zentralisierte Staatskultur gefördert wird, wurde die Grundfinanzierung der freien Theater gestrichen, auch der Umbau des Erkel-Theaters wurde abgesagt, weil er tatsächlich viel zu teuer ist. Die Finanznot ist offenbar, Kultur - eigentlich eine ungarische Schatzkiste - hat, so sie nicht "nationale Interessen" vertritt, keine Priorität mehr in Ungarn, was immer Szőcs auch behauptet. Für die Selbstdarstellung hat man aber Geld, die kulturellen Begleitprogramm zur Ratspräsidentschaft werden geradezu fürstlich ausgestattet.

Miklós Soltész, "Staatsminister für Soziale Angelegenheiten beim Ministerium für Nationale Ressourcen" beschrieb das "rieisige Problem" der Jugendarbeitslosigkeit. Ein Fünftel der Jugendlichen in der EU sind arbeitslos. Hier wurden verschiedene Programme angesprochen, die dem entgegenwirken sollen. Soltész erinnerte daran, dass parallel mit der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft für ein halbes Jahr auch das europäische Jahr des Ehrenamts begonnen hat. "Das Ehrenamt hat in Westeuropa mehr Traditionen als in Osteuropa, aber zur Erreichung der Ziele des Jahres, müssten alle Länder Europas involviert werden."

Rózsa Hoffmann für Bildung behauptete im Zusammenhang mit der angestrebten europäischen Romastrategie, "dass die Integration keine Angelegenheit mit ethnischem, sondern eine mit sozialem Bezugspunkt sei, und dass in Ungarn die schulische Bildung der Romakinder vollständig und frei von Diskriminierung erfolge." Kein Wort zu den Segregationen durch private Schulstiftungen und die "Zusammenlegung" von Roma in eigenen Schulen. Es gibt mittlerweile sogar rechtskräftige Gerichtsurteile, die anhand von exemplarischen Einzelfällen, die bildungsseitige Diksriminierung in Ungarn festgestellt haben. Weiter verteidigte Staatssekretärin Hoffmann gegenüber einem deutschen Grünenabgeordneten die Entlassung eines namhaften Philosophen und weiteren Mitarbeitern am Philosophischen Institut der Akademie der Wissenschaften damit, dass es sich dabei "nicht um einen Angriff gegen liberale Philosophen, sondern um einen mit der Vergabe öffentlicher Gelder verbundenen Gerichtsfall handelt."

Zoltán Balogh, als Staatssekretär beim Justizministerium für soziale Integration angesiedelt, in der Hauptsache aber für die Roma zuständig, betonte zu Recht auch den wirtschaftlichen Nutzen, den eine bessere Integration "der auf 10-12 Millionen" geschätzten Roma mit sich brächte. Die Weltbank rechnete vor, dass die Länder, je nach Größe des Anteils, mit BIP-Zuwächsen von 4-8% rechnen könnten, wenn die Roma gleichviel zur Wirtschaftsleistung beitragen wie die Mehrheitsbevölkerung. "Alle Länder müssten auch in ihren Reformprogrammen konkret bezifferte Unterstützungen für die Roma übernehmen." Dann jedoch kam Balogh ziemlich ins Schlingern. Er sagte einerseits, dass die "Unterstützung der Roma nicht auf ethnischer, sondern auf sozialer Grundlage vorzunehmen" ist. Widersprach sich aber ein paar Sätze später, als er eine "auf ethnischer Grundlage erstellte Datensammlung erforderlich." sieht, da man "ansonsten nicht ermessen könne, ob die Gelder die gewünschte Wirkung erzielen."

Innenminister Sándor Pintér will dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen "neuen Schwung verleihen", sagte er vor dem Ausschuss für Bürgerrechte, Justiz und Inneres, wozu der Informationsfluss innerhalb der EU und auch außerhalb der Grenzen der Europäischen Union wichtig ist. Pintér zufolge muss auch die "Östliche Partnerschaft" genutzt werden, um zu erreichen, "dass über die Ostgrenzen der EU hinaus ein Filtermechanismus gegen illegale Migration zum Tragen kommt." Einen Rückzieher musste Pintér bei der Erweiterung des Schengen-Raumes mit Rumänien und Bulgarien machen, dies "war ursprünglich eine Priorität der ungarischen Ratspräsidentschaft, jedoch entspricht die Bewachung der Landgrenzen Bulgariens laut Meinung der Experten nicht den erforderlichen Kriterien" räumte er ein. Was er denn unternehmen werde, wurde er von mehreren Abgeordnten gefragt. Er könne nur hoffen, sagte Pintér, "dass Bulgarien bis März den Rückstand aufholt", machte aber klar, dass er die Grenzen der EU-Gremien verstanden hat, denn letztlich leigt es an der Haltung Frankreichs und Deutschlands, ob und wann die beiden Länder nach Schengen kommen.

Attila Czene, Staatssekretär für Sport, beklagte die stiefmütterliche Behandlung seines Ressorts durch die EU. Dabei habe Sport eine Menge zu bieten: "er verringert die Ausgrenzung, hilft bei der gesellschaftlichen Integration von benachteiligten Menschen, bei der Wahrung der Gesundheit und bei der Leistungssteigerung." Er will die Abgrenzung der Förderungen von Leistungs- und Breitensport überwinden. Sein Präsident will das wohl nicht. Auf Anregung des ehemaligen Olympiafechters und jetztigen Staatspräsidenten Pál Schmitt, wurden die Fördergelder für die Olympiavorbereitung ungarischer Athleten gerade verdoppelt, Sport soll auch einen Platz in der neuen ungarischen Verfassung im Frühjahr bekommen.

Pál Völner, Staatssekretär für Infrastruktur beim Ministerium für Nationale Entwicklung, bennannte "eine Einigung über die Eurovignetten-Richtlinie" als notwendig noch in diesem Halbjahr, mit der "das europäische Straßennutzungsgebührsystem für schwere Lkw vereinheitlicht" werden soll. Hier könne eine grundlegende Einigung erzielt werden, der Wortlaut eines Gesetzes durchaus später erfolgen.

Die Anhörungen wurden am Mittwoch fortgesetzt.

red.

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