Hauptmenü

 

Steigern Sie Ihren Google Rank und Ihre Besucherzahlen durch einen Textlink / Textanzeige Infos

 

 

 

Share

 

(c) Pester Lloyd / 04 - 2011  OSTEUROPA 26.01.2011

 

Entlang der Schmerzgrenze

Versuche von Rentenreformen in Osteuropa

Polen, Rumänien und Tschechien haben sich die radikalste aller denkbaren, nämlich die ungarische "Lösung" bei der unverzichtbaren Umgestaltung der Rentensysteme genau angeschaut und diskutieren gerade, wie man langfristig, sozial und budgetär möglichst schonend die zukünftigen Herausforderungen bei den Renten meistern könnte. Dabei gibt es viele gemeinsame strukturelle Probleme, es hat aber jedes Land auch eigene systembedinge Altlasten aufzuarbeiten und politische wie soziale Rücksichten zu nehmen.

Die Komplettverstaatlichung unter wüster Androhung von Einkommensentzug wie in Ungarn Link, die bis Ende Januar vollzogen sein wird und für nicht wenig Aufsehen im In- wie Ausland sorgt, bleibt in der Region wohl vorerst einmalig, denn auch sie bietet dem Staat nur eine kurzfristige Erholung. Über 10 Milliarden EUR nimmt Ungarn dieses Jahr dadurch ein, doch am Ende müssen, will man das Volk nicht wirklich enteignen, die erworbenen, weil eingezahlten Ansprüche ohnehin zurückgezahlt werden. Mehr zum ungarischen Weg

Doch der kurzfristige Zugriff auf viel Liquidität scheint so verlockend, dass man auch in Polen die Belastung der zukünftigen Generationen riskiert, um heute besser dazustehen. In Tschechien geht man genau den umgekehrten Weg, refinanziert die Auslagerung von Rentenbeiträgen aber mit einer Mehrwertseueranhebung und in Rumänien versucht man, sich überhaupt erst einmal einen Weg durch ein chaotisches System zu bahnen.

 

Den Ländern fehlen 50 Jahre relativer Wohlstand

Das grundlegende Problem ist allen gleich: die Staaten können die Renten nicht aus der gleichnamigen Versicherung bezahlen und müssen Steuermittel zuschießen, Jahr für Jahr mehr. Renten kürzen geht im allgemeinen nicht, denn das Niveau für die breite Masse bewegt sich oft noch weit unter dem, was man als menschnwürdig bezeichnen darf. Diese Länder hatten schließlich auch keine 50 Jahre Zeit sich Wohlstand und ersprießliche Einkommensniveaus zu erarbeiten. Osteuropäische Länder leiden zudem häufig unter einer geringen Beschäftigungsrate, dabei hohen Rentnerquoten und einer massiven Grau- bzw. Schwarzwirtschaft, die die Beitragssituation verschlimmern.

Hinzu kommen die maroden Zustände im Gesundheitswesen, die Sozialsversicherungsabgaben so hochhalten, dass eine Anhebung der Rentenbeiträge automatisch Schmerzgrenzen übersteigen müsste und zur sinkenden Bereitschaft und Fähigkeit zur vollständigen Anmeldung der Arbeitnehmer führt, also nicht umsetzbar sind. Die zweite und dritte Säule also die obligatorische und die freiwillige private Rentenversicherung stehen noch am Anfang, letztere ist wieder nur eine Option für Besserverdiener, erstere entzieht den Staaten Liquidität, auf die nur widerstrebend verzichtet wird. Einen Königsweg gibt es nicht, doch immerhin kommt einiges in Bewegung.

Polen geht den ungarischen Weg zum Teil mit

Polens Regierungspartei, die Bürgerliche Allianz, hat keine Zweidrittelmehrheit und einen unabhängig denkenden Präsidenten, was dazu führt, dass man in dem Land über die Lösung des großen Problems der Neuordnung der Renten sprechen muss, statt das Volk vor vollendete Tatsachen zu stellen. In Polen sollen zumindest ein Teil der privaten Rentenversicherungsbeiträge zukünftig wieder vom Staat "betreut" werden. Den entsprechenden Gesetzentwurf der Regierung von Donald Tusk hat Präsident Komorowski jedoch jetzt zweifelnd zur Diskussion gestellt. Er forderte den Premier auf, dafür zu sorgen, dass die Mittel nicht einfach zum "Stopfen von Budgetlöchern" (O-Ton ung. Wirtschaftsminister Matolcsy) benutzt werden, sondern in mindestens ebenso ertragreichen wie sicheren Veranlagungen gesichert werden, wie es die Auflagen für die privaten Versicherungsträger vorsahen.

Es müsse angesichts solch "tiefer Systemänderungen" eine "öffentliche Debatte" geben, um einen "Konsens" zu finden, sagte der Präsident. Nach dem Plan der Regierung sollen ab 1. April diesen Jahres zwei Drittel der derzeit 7,3% obligatorischen privaten Zusatzversicherung vom Bruttolohn wieder durch den Staat bzw. die Sozialversicherungs ZUS verwaltet werden. (in Ungarn sind es 100% von 9,5%). Komorowski sprach an, dass es um eine langfristig tragbare Lösung gehen müsse, nicht nur um die Überbrückung heutiger Budgetengpässe.

Tschechien: Staat gleicht Verluste durch
private Beiträge mit Mehrwertsteuererhöhung aus

Einen zum Teil umgekehrten Weg geht man in Tschechien. Auch dort ist die Reform des Rentensystems lange anhängig und wurde von der Mitte-Rechts-Koaliton, ODS, TOP 09 und "Öffentliche Angelegenheiten" zur Schicksalsfrage ihres Bestehens erhoben. Hier geht es darum, dafür Vorsorge zu treffen, dass der Staat eben nicht mehr hundertprozentigen Zu- und Vorgriff auf die Rentenmittel erhält und jeder Beitragszahler, neben seinen allgemeinen Rentenabgaben als Teil der Sozialversicherung, einen bestimmten Anteil seines Lohnes auf ein individuelles Rentenkonto, wahlweise staatlich oder privat beaufsichtigt, einzahlt.

Nach jetzigem Verhandlungsstand würden ab kommendem Jahr alle Arbeitnehmer unter 40 Jahren 3% ihres Bruttogehaltes in eines der neuen Systeme einzahlen, 40-50jährige können das noch freiwillig tun. Ab 2015 soll der Betrag dann auf 4% steigen. In beiden Fällen verliert der Staat damit vorerst laufende Einnahmen. Man spricht von deutlich über 1,2 Mrd. EUR allein im ersten Jahr, ab 2015 bis zu 2 Mrd. EUR und mehr. Diesen Entzug von Liquidität kann sich Tschechien natürlich nicht leisten und will sie mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgleichen. Die beiden Sätze von 20 und 10% sollen dann zu einem einheitlichen Satz von 19% verschmolzen werden, was also Rentner und Beitragszahler gleichermaßen belastet und letztlich die Ärmsten am stärksten trifft. Hier will wieder der Staat gegenlenken, Premier Petr Necas versprach sowohl eine Anhebung der Grundrente sowie erhöhten sozialen Ausgleich für Niedrigverdiener, auch sollen Familien mit Kindern geringere Steuern oder Sozialbeiträge, da ist man sich noch nicht so einig, zahlen.

Rumänien: Rentenreform sorgt für Unmut beim Militär,
private Säule noch zu klein

Rumänien hat gerade wieder vom IWF die Auflage erhalten, sich um eine substantielle Rentenreform zu kümmern, bzw. diese endlich umzusetzen. Dass es auch in Rumänien nicht mehr gut ging, zeigen die radikalen Schritte, die der Staat bei der Rentenreform machen musste, die mittlerweile vom Verfassungsgericht teilweise bestätigt wurden. Das reguläre Renteneintrittsalter wurde von 64 auf 65 bei Männern und von 59 auf 63 (nach Protesten, vorher sollte es hier auch 65 lauten) angehoben.

Außerdem wurden Zusatz- bzw. Staatsrenten gekürzt, was vor allem den öffentlichen Dienst und insbesondere Militär und Polizei trifft. Am Montag wurde Staatspräsident Traian Basescu dafür zum Dank von einigen Hundert Offizieren und anderen Militärs ausgebuht, ausgerechnet an einem Festakt zu einem nationalen Feiertag. Am Freitag zuvor hatte das Oberste Gericht Teile der Kürzungen wieder aufgehoben und einen Eingriff in die Eigentumsrechte moniert.

Die Regierung argumentiert, dass nur "Spitzenverdiener" mit Kürzungen rechnen müssen, die Beschwerdeführer beklagten sich indes über den Verlust der Hälfte ihres Alterseinkommens. Ein Großteil der einmal arbeitenden Bevölkerung muss hingegen mit Renten von um die 170 EUR auskommen. Da gibt es nichts zu kürzen. Bereits im Vorjahr führte eine pauschale 15%ige Rentenkürzung (ab einer Mindestmarke) zu wütenden Protesten, vor allem wieder seitens öffentlich Bediensteter, einer Riesenschicht in Rumänien und ein schweres Erbe der Ceaucescu-Zeit.

Mit der obligatorischen private Rentenversicherung, also der Säule 2, hat man indes noch gemischte Erfahrung. Einerseits sind die Fonds selbst ertragreich, allerdings hilft das nur einem kleinen Teil der Empfänger, da die Einzahlungssummen viel zu gering sind, um ein stabiler Teil des Alterseinkommens zu werden. Das liegt auch daran, dass - wir kennen das aus Ungarn - die Arbeitgeber gerne nur Minimalgehälter anmelden, um Abgaben zu sparen. Immerhin schafften die neun privaten Verwalter der verpflichtenden Beiträge im ganzen Jahr zweistellige Erträge, trotz der restriktiven Anlagevorschriften.

Im vierten Quartal erwirtschafteten diese 13,3%, im Gesamtjahr 15,2% Rendite, die in Bukarest gelisteten Aktien schafften 14,6%, für Lei-Anleihen der Regierung zahlte man bei 7% Rückfluss sogar noch drauf. Rechnet man ca. 8% Jahresinflation ab, bleiben dem Rentner bzw. dem Sparer ca. 7% Plus. Die Fonds sind erstmals mit umgerechnet über 1 Milliarde EUR gefüllt, 5,2 Mio Rumänen zahlen in sie ein, umgelegt bedeutet das rund 200 EUR pro Beitragszahler, also einen Zusatzerlös von 14 EUR für dieses Jahr, was zeigt, wie gering der Anteil der privaten Säule an der Gesamtrente immernoch ist.

Ungarn versucht einen "nationalen Neoliberalismus"

Ungarn hat neben der Verstaatlichung der zweiten Säule der Rentenversicherung noch andere Maßnahmen gesetzt, die langfristig Entlastung bringen sollen. Zum einen wird ein großes Beschäftigungsprogramm aufgelegt, getragen von dem Mittelstands- und Investitionsprogramm "Neuer Széchenyi-Plan", der die EU-Strukturfonds neuen Prioritäten zuordnet, das öffentliche Ausschreibungswesen reformiert und vor allem darauf abzielt, die heimische mittelständische Wirtschaft zu stützen.

Zum anderen wurde mit Jahresbeginn eine Flat tax auf alle Einkommen von 16% eingeführt. Diese soll die Liquidität der Arbeitenden erhöhen, die sich somit auch mehr um eine private Absicherung eines Alterseinkommens kümmern sollen. Die Eigenverantwortung soll damit gestärkt werden, betont wird, dass sich "niemand vor der Arbeit drücken" könne. Andererseits tritt der Staat mit seine Rentennationalisierung paternalistischer auf als je zuvor seit der Wende. Die Flat Tax entlastet wiederum nur Einkommen, die rund ein Drittel über dem statistischen Durchschnittslohn liegen, auch diese Lösung hilft also nur wieder einer als besonders förderungswürdig erachteten Schicht. Damit wird die Entsolidarisierung der Gesellschaft wieder beschleunigt, obwohl die nationalkonservative Regierung gerade den Zusammenhalt der Nation als eine heilige Sache propagiert, nicht das einzige pannonische Paradoxon, das derzeit zu beobachten ist.

Eine echte Rentenreform hat es in Ungarn ohnehin noch nicht gegeben. Wenn 2012 die Einmaleffekte aus der Renten-"Transformation" verpufft sind und auch die Krisensondersteuern in einem "neuen System" zumindest reduziert werden müssen, werden sich die alten Löcher im Budget wieder öffnen. Denn die Beschäftigungs- und Wachstumsprognosen, die das Ministerium für "Nationalwirtschaft" ausgegeben hat, sind ziemlich unrealistisch, das Budget ist schon heute sehr riskant gebaut und beruht auf schönen, aber verfrühten Hoffnungen. Immerhin wird so deutlich, dass nur eine insgesamt gesunde Wirtschaft, das Rentensystem der Zukunft verlustfrei tragen kann.

red.

Mehr zum Thema:

 

DISKUTIEREN SIE ZU DIESEM THEMA IM GÄSTEBUCH

 

 



 

 

IMPRESSUM

 

Pester Lloyd, täglich Nachrichten aus Ungarn und Osteuropa: Kontakt