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(c) Pester Lloyd / 05 - 2011  WIRTSCHAFT 04.02.2011

 

Rettung oder Diebstahl?

Ungarischer Regierungschef feiert: "Die Renten sind gerettet!"

Mit diesem überschwänglichen Ausruf begrüßte Viktor Orbán am Mittwoch den Vollzug der Rückverstaatlichung der privaten Rentenversicherung, die ihm zunächst einen gigantischen Geldregen in die Staatskasse spült. Dieser Einmaleffekt wird jedoch bald verpuffen und es wird befürchtet, dass die gestopften Löcher wieder aufreißen könnten. Die Opposition und Versicherer drohen mit Klagen und sehen in dem Vorgang eine Erpressung und Enteignung sowie einen gefährlichen Präzedenzfall.

Das System habe am Rande des Zusammenbruchs gestanden und die eingenommenen Mitteln können nun zum Abbau der Staatsschulden beitragen, womit auch in Zukunft die Renten gesichert seien, so die simple Logik des Premiers, die er, verbunden mit einem großen Dank für die Geschlossenheit des ungarischen Volkes bei einer Pressekonferenz vortrug. 97% der Ungarn haben sich für den, laut Regierung, sicheren und solidarischen Weg entschieden.

Von links nach rechts, von klein zu groß. Orbán erklärt mit einfachen Gebärden das zukünftige Rentensystem, wie immer vor den Farben der Saison. Fotos: fidesz.hu

Dass ca. 3 Prozent der knapp über drei Millionen Mitglieder in Ungarns privaten Rentenersicherungen, im privaten System bleiben wollen, wertet Orbán als Bestätigung, dass „die Menschen eine Wahl hatten". Damit reagiert er auch auf Vorwürfe der oppositionellen Sozialistischen Partei, der Wechsel sei erzwungen gewesen und dass die Regierung ein gut funktionierendes System zerstört habe, um ihre „verschwenderische“ Wirtschaftspolitik zu finanzieren. Bereits zuvor hatte die Regierung die privaten Versicherer desöfteren der Zockerei mit der Zukunft der Beitragszahler bezichtigt, dabei legten diese solide, teils überdurchschnittliche Ergebnisse vor.

Orbán bezeichnete die Entscheidung der ca. 100.000 auch künftig privat rentenversicherten Personen als „mutig“, doch habe sich die überwältigende Mehrheit für ein „System der Solidarität“ entschieden, nur wenige würden „individuelle Pfade“ beschreiten. Dass lediglich 3%, genau 102.019 Personen von insgesamt knapp über 3 Millionen Rentenbeitragszahlern im Lande, sich mit Ablauf des Ultimatums der Regierung am 31. Januar dazu entschieden, in der privaten Rentenversicherung zu verbleiben, sei Ergebnis einer Erpressung, so die Kritiker, denn ihnen wird damit der Anspruch auf die staatliche Grundrente entzogen, wiewohl sie weiter in das staatliche System ihre Pflichtbeiträge zu entrichten haben.

Je nach Höhe der privaten Beiträge können die Einbußen dadurch rund 70% des Alterseinkommens betragen. Um im alten System zu verbleiben, mussten die Beitragszahler persönlich auf einem Amt erscheinen und einen entsprechenden Antrag ausfüllen. Wer nichts von sich hören ließ wird automatisch überführt, Berufsanfänger hatten bereits keine Wahl mehr.

Die Umstellung des staatlichen Rentensystems zur Möglichkeit der Vermehrung der Ersparnisse in individuellen Rentenkonten wird bis Ende 2011 erfolgen, so Orbán auf einer Pressekonferenz. Bis dahin sollen die Kassen auch generell wieder ausbalanciert sein. Die Regierung rechnet mit etwa 3.000 Milliarden Forint (ca. 10.9 Milliarden Euro) Anlagen in Rentenersparnissen, die zum ersten März in das staatliche System transferiert werden. Diese Gelder könnten, je nach Deklarierung, in diesem Jahr sogar für einen nominalen Überschuss im Staatshaushalt von bis zu 6% sorgen.

Die Regierung hat von Anfang an mit den Geldern den Haushalt sanieren zu wollen, alle Ansprüche aus den Beiträgen sollen aber erhalten bleiben und persönlichen Rentenkonten zugeordnet werden. Die Mittel für die spätere Auszahlung sollen aus der allgemeinen Gesundung der Wirtschaft, der Verbesserung der Steuermoral durch die eingeleiteten Senkungen sowie Einsparungen in der Bürokratie und der Sanierung der Staatsbetriebe kommen. Neben der ungarischen Opposition halten auch internationale Marktbeobachter sowie das IWF die Maßnahme für problematisch, da es sich um einen kosmetischen Einmaleffekt handelt. Schließlich bleiben die Ansprüche ja bestehen, die mit den Geldern gestopften Löcher würden so nur zeitlich verlagert.

Sowohl Einzelpersonen, Gewerkschaften, Parteien als auch Rentenversicherer haben Klagen vor ungarischen und europäischen Gerichten gegen diesen, aus ihrer Sicht, "Eingriff in die Eigentumsrechte" angekündigt, bzw. zum Teil schon eingereicht. Orbán zufolge "unterliegen die Sozialisten einer Illusion", wenn sie glaubten, das Verfassungsgericht könne die Reform rückgängig machen. Als Alternative haben die Sozialisten eine Beschwerde bei EU-Gerichtshöfen angekündigt, da das ungarische Verfassungsgericht durch eine entsprechende Gesetzesänderung der Regierungspartei Fidesz tatsächlich nicht mehr in der Lage ist, Gesetze aufzuhalten, die relevant für den Staatshaushalt sind. Auch deshalb gilt die Art und Weise Rückverstaatlichung der Renten als gefährlich ePräzedenz für mögliche zukünftige staatliche Eingriffe in das Eigentum von Bürgern und Unternehmen.

red. / S.R.

Weiteres zum Thema:

Rentner am Staatstropf - Ungarn droht widerspenstigen Bürgern mit Rentenentzug http://www.pesterlloyd.net/2010_47/47rentenreform/47rentenreform.html

Entlang der Schmerzgrenze: Versuche von Rentenreformen in Polen, Tschechien, Rumänien
http://www.pesterlloyd.net/2011_04/04rentenOsteuropa/04rentenosteuropa.html
 

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