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(c) Pester Lloyd / 06 - 2011      BILDUNG     09.02.2011

 

Alles im Fluss

In Budapest entsteht ein Studiengang für den Donauraum

Das Projekt "Donaustrategie" ist seit einiger Zeit ein neues europäisches Schlagwort, dem man nur wünschen kann, es möge sich bald mit sicht- und greifbaren Inhalten füllen. Besteht in ihm doch die Chance über die Grenzen der EU hinaus integrativ und kooperativ wirksam zu werden und einem so zentralen wie heterogenen Kultur- und Wirtschaftsraum mit an die 100 Millionen Einwohnern Geltung und Identität zu verschaffen. Die deutschsprachige Andrássy-Universität in Ungarn bastelt an einem Studiengang zum Thema.

Die Donauraumstrategie ist dabei in erster Linie auf Kooperationen einer Art europäischen Cloud angewiesen aus bestehenden NGO´S, privaten Institutionen und öffentlichen Einrichtungen und somit auf die Kreativität europäisch denkender Menschen. Denn das 14 Länder einbeziehende Projekt wird von Brüssel weder mit einer eigenen Struktur oder Institution noch mit einem eigenen zentralen Budget ausgestattet. Das wird den Start erschweren, auch, weil die öffentliche Wahrnehmung nicht auf eine "Zentrale" mit entsprechenden Selbstdarstellungsmöglichkeiten gelenkt werden kann.

Zur Donauraumstrategie der EU:
http://ec.europa.eu/regional_policy/cooperation/danube/index_en.htm

Auch ist es noch gar nicht ausgemacht, ob das Projekt erfolgreich wird oder zu einem dieser in bunten Broschüren gefeierten propagandistischen Luftschlösser, von denen es nicht wenige gibt. In der mangelnden Zentralisierung liegt aber auch die Chance, frei von Erfüllungsplänen und administrativer Gängelung, natürliche Interessenräume auszuloten. Am Ende liegt es an den Akteuren, wie lebendig die große Idee dahinter werden wird. Stichworte, die das beschriebene konkret werden lassen: Umweltschutz (grenzüberschreitende Schutzprojekte), Tourismus (gemeinsame Vermarktung, nachhaltige Nutzung), Kulturprojekte, Forschung und Wissenschaft gemeinsam auch mit den Noch-Nicht-EU-Staaten wie Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien. Der tiefere Sinn steckt darin, einer von der Historie zerklüfteten, aber ungemein vielfältigen Region, eine Art Identitätsstiftung auf vielen Ebenen zu ermöglichen. Gut wäre es, wenn es konkret geschieht und nicht nur ein Projekt von Eliten wird, auch wenn die naturgemäß vorangehen werden.

Entwicklung eines regionsspezifischen Studiengangs

Im Rahmen dieses seit zwei Jahren aktiven Projekts scheint die deutschsprachige Andrassy-Universität als Modellprojekt für die internationale Kooperation im Donauraum gerade zu prädestiniert zu sein. Und so wurde sie von der ungarischen Regierung auch in ihren Aktionsplan „Entwicklung der Wissensgesellschaft durch Forschung, Bildung und Informationstechnologien“ aufgenommen. Mit einer speziell für die Problematiken der Region eingerichteten, interdisziplinären Forschungsabteilung, dem Donauinstitut, übernimmt sie dafür die Leitung des Projekts „To emphasise Danube Region specifics in the curricula of university programmes“, dessen grundlegendes Ziel darin besteht, in Kooperation mit weiteren Hochschulen einen internationalen Studiengang zu entwickeln, der sich speziell mit dem Donauraum beschäftigt.

Die Andrássy-Universität, an der ausschließlich weiterführende Masterstudiengänge und Promotionsprogramme angeboten werden, hat damit die Möglichkeit, sich stärker als Forschungsinstitution zu etablieren und ihre Ausrichtung auf den regionalen Gesichtspunkt und die europäische Integration zu vertiefen. Das Donauinstitut fungiert dabei quasi als Dachorganisation für die diesbezüglichen Aktivitäten der ansässigen Fakultäten Internationale Beziehungen, Mitteleuropäische Studien und Vergleichende Staats- und Rechtswissenschaften, sowie der Doktorschule. Den offiziellen Vorstand des Instituts bilden dabei der Universitäts-Rektor Prof. Dr. András Masát, die Studiendekane und die Leiterin der Doktorschule, Ellen Bos, welcher gleichzeitig der Vorstandsvorsitz des Instituts obliegt.

Die promovierte Politikwissenschaftlerin hat vier Schwerpunktthemen definiert. Dazu gehören die Qualität der neuen Demokratien und Marktwirtschaften, Strategische Optionen der Region in der EU, regionale Integrationsprozesse sowie Kulturen und Minderheiten im Donauraum. Zurzeit widmet sich die Arbeit neben der Akquise drei bis vier potentieller Partnerhochschulen für die Entwicklung des donauraumspezifischen Studiengangs „Master of Danube Studies“ der Aufstellung eines Jahresprogramms für 2011. Im letzten Jahr wurde unter anderem eine Ringvorlesung zum Thema „Der Donauraum – Politik, Wirtschaft, Recht, Gesellschaft“ durchgeführt. Workshops wurden zum Beispiel zu den Themen „Perspektiven der ungarischen Ratspräsidentschaft“ und zur „Krise des Liberalismus in der Region“ organisiert, in dessen Anknüpfung in diesem Jahr weitere Veranstaltungen stattfinden werden. Mit Unterstützung einer deutschen Parteistiftung sind außerdem Projekte zu kulturellen Hindernissen für die Demokratieentwicklung und der bevorstehenden Verfassungserneuerung geplant.

Eine Frage der Selbstkorrektur

Diese Themen sind im Jahr 2011 in Hinblick auf die ungarische Ratspräsidentschaft von besonderer Bedeutung. Auch wenn diese hauptsächlich darin besteht, die Punkte der europäischen Agenda abzuarbeiten, erwartet Frau Bos den Einfluss Ungarns vor allem im Bereich der Donauraumstrategie und einer gesamteuropäischen Romapolitik. Dabei sind die internationalen Diskussionen um die innenpolitische Entwicklung im sonst wenig medienwirksamen Ungarn aus politikwissenschaftlicher Hinsicht zwar einerseits interessant, doch auch am Donauinstitut beobachtet man die aktuelle Gefährdung von Ungarns demokratischer Qualität kritisch.

Bezüglich des neuen Mediengesetzes hat Frau Bos eine differenzierte Betrachtung: „Ich denke, dass natürlich sehr viel davon abhängt, wie weiterhin mit dem Gesetz und der Kritik aus Brüssel umgegangen wird, erst dann wird ersichtlich, wie es sich tatsächlich auf die Medienlandschaft und letztendlich die demokratischen Verhältnisse im Land auswirkt. Es ist noch zu früh, das wirklich abschließend zu beurteilen, ich sehe da Probleme und Gefahren. Demokratie ist nie etwas Statisches, es bleibt die Frage, welche Reaktionen es auf die momentanen Tendenzen gibt und wie die Fähigkeit zur Selbstkorrektur ausgeprägt ist. Als ein Beispiel ist Polen zu nennen, auch hier wurden zwischen 2005 und 2007 problematische Entscheidungen von der Regierung gefällt, das war nur eine vorübergehende Periode, es hat Neuwahlen gegeben und die politischen Verhältnisse sehen jetzt wieder anders aus.“

Ein offizielles Statement gegenüber der Regierung haben die Mitarbeiter des Instituts bezüglich des Mediengesetzes oder der geplanten neuen Verfassung bisher nicht abgegeben, sie sehen ihre Aufgabe vorwiegend in der Aufklärungsarbeit zur Gewährleistung einer sachlichen Diskussion dieser schwierigen Fragen. Bei einer von der Europäischen Akademie in Berlin organisierten Tagung Mitte Januar, auf der Frau Bos einen Vortrag über „Bisherige Formen der Donaukooperation“ hielt, waren die aktuellen politischen Entwicklungen unter der Fidesz-Regierung auch in den privaten Gesprächen ein großes Thema, über das sich Besorgnis und Verwunderung ausbreitete. Die Teilnehmer aus dem europäischen Ausland, in dem Ungarn nun am internationalen Pranger steht, interessieren sich dabei vor allem für die persönliche Meinung der Menschen, die hier leben und für die tatsächliche Stimmung im Land. Der Kongress beschäftigte sich mit der Analyse unterschiedlicher Makrostrategien im europäischen Raum. Der ungarische Botschafter József Czukor hielt einen Vortrag über die Prioritäten während der Ratspräsidentschaft.

Eine gemeinsame Richtung in der Romapolitik

Als eine weitere Priorität des Donauinstituts gilt momentan die Auseinandersetzung mit der Romaproblematik und die Entwicklung einer gemeinsamen Minderheitenpolitik innerhalb der Europäischen Union im Rahmen des Themenschwerpunkts „Kulturen und Minderheiten im Donauraum“. „Minderheitenfragen sind grenzüberschreitende Fragen und führen auch immer wieder zu Konflikten zwischen Nachbarstaaten, daher ist es sinnvoll, vergleichend zu untersuchen, wie mit den Minderheiten in den unterschiedlichen Staaten umgegangen wird und welche Modelle möglicherweise hilfreich sind. Denn mit der EU, in der Grenzen eigentlich keine Rolle mehr spielen und die Grundfreiheiten herrschen sollten, ist ein Rahmen geschaffen, der das Zusammenleben eigentlich leichter machen sollte. Die ungarische Gesetzgebung behandelt die Minderheitenrechte eigentlich vorbildlich, aber trotzdem gibt es die grundlegenden praktischen Probleme, gegen die regionale Strategien innerhalb eines europäischen Rahmenprogramms entwickelt werden müssen“, - so Frau Dr. Bos.

Länderübergreifende Geschichtsschreibung

Ein Projekt, das sich Frau Bos langfristig vorstellen kann, ist die Entwicklung eines gemeinsamen Geschichtsbuches für den Donauraum, welches die unterschiedliche nationale Geschichtsschreibung dieser fragmentierten Region zu einer gemeinsamen Interpretation zusammenfügt. Durch die intensive internationale Vernetzung der Andrássy-Universität und des Instituts selbst bestehen gute Voraussetzungen, dazu Historiker aus den verschiedenen Ländern zusammen zu bringen. Zur Finanzierung zukünftiger Projekte wurde außerdem ein Antrag auf die Beteiligung an einem Programm zur Entwicklung von Doktorschulen bei der ungarischen Entwicklungsagentur NFÜ eingereicht, mit dem unter anderem Stipendien vergeben und Forschungsstellen eingerichtet werden sollen. Vom 19. bis 20. Mai findet an der Andrássy die Jubiläumskonferenz "Der Donau-Raum in Europa“ zum Anlass der vor zehn Jahren verabschiedeten „Ulmer Erklärung“ statt, mit der die Gründung der Universität durch Ministerpräsidenten Viktor Orbán, seinem bayerischen Amtskollegen  Erwin Teufel (Baden-Würtemberg) sowie dem österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel unterzeichnet wurde, bevor man ein Jahr später den Lehrbetrieb aufnahm.

Luisa Stock

Weitere Informationen: http://andrassyuni.eu/donau_institut

Zur Donauraumstrategie der EU:
http://ec.europa.eu/regional_policy/cooperation/danube/index_en.htm

 

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