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(c) Pester Lloyd / 14 - 2011  BUDAPEST 06.04.2011

KOMMENTARE

Freibeuter an der Leine

Alle Taxifahrer in Ungarn sollen bald Eignungstests ablegen

Der Ruf der Taxifahrer ist auch in Ungarn nicht der beste, zumal bei Touristen und hier lebenden Ausländern. Dafür haben die Freibeuter der Straßen auch Jahrzehnte hart gearbeitet. Nun will der Staat mit einem Gesetz über einheitliche Prüfungen endlich Ordnung schaffen und die Lizenzvergabe reglementieren. Der Aufschrei, vor allem bei den "Unabhängigen", ist entsprechend groß, rührt man schließlich an die Grundfesten dessen, was sie als "freie Marktwirtschaft" verstehen.

Das waren noch Zeiten: Ein Budapester Taxifahrer bringt im September 1989 DDR-Bürger an die ungarisch-österreichische Grenze. Damals spielte Geld keine Rolle. Der Freiheitskampf wird heute eher gegen das Finanzamt und die Polizei geführt, ein Politikum bleiben die Freibeuter der Straßen allemal.

Neben den bekannten Funktaxiunternehmen, die zumindest halbwegs nach erkennbaren Standards arbeiten, gibt es auch tausende, sogenannte unabhängige Taxler, die zwar über eine Lizenz verfügen, sich sonst aber ihre Regeln mehr oder weniger selbst geschrieben haben. So ist zumindest der subjektive Eindruck vieler Kunden, die sich mit stark schwankenden oder eben frei zu verhandelnden Preisen, scheinbar mit der Heizung gekoppelten Taxametern, abenteuerlichen Routen und Fahrweisen und sonstigen Freundlichkeiten auseinanderzusetzen haben. "Hyänen" wurde - zumindest unter vielen hier lebenden Ausländern - zum geflügelten Wort für diese Freibeuter der Straßen, man meidet sie, so gut man kann und ruft lieber das Funktaxi seines Vertrauens.

Ein Maximaltarif war bisher die einzige Regel für die "Unabhängigen"

Doch selbst dann kann die Sache schwierig werden, denn die Platzhirsche lassen die Taxicompanies nicht einfach überall halten, ja, hindern mitunter die Konkurrenz sogar an der Abfertigung von Kunden, sollte die sich zu nah an ihre Stammplätze heranmachen. Die Unabhängigen blieben ein immerwährendes Ärgernis, dem vor allem Touristen häufig in die Falle gingen, weil Hotelpagen mit ihnen unter einer Decke steckten und sich die "Privaten" gerne mit bunten Wappen und leicht veränderten Firmenlogos den Anschein von Seriosität geben.

Besonders heiß umkämpft war schon immer der Flughafen. Ein Taxiunternehmen konnte sich mit über eine “Ausschreibung” hier den Zugang exklusiv sichern, zumindest für die abfahrenden Gäste.

Während die Taxifirmen schon lange gestaffelte Tarife, wenn auch nach Firma unterschiedliche, benutzen und sogar - teilweise - interne Aufnahmeprüfungen existieren, galt für die "Unabhängigen" bisher nur ein Maximaltarif und für den Kunden galt der eigentlich fast immer. Doch selbst daran hielten sich nicht alle. Ein Führerschein und eine kurze Einweisung nebst guter Kontakte zu den einschlägigen Kreisen und eine entsprechende "Gebühr" genügten, um eine Lizenz zu bekommen.

Gesinnungsfahrbetriebe für den national bewegten Fahrgast

Auch unter den freien Taxlern gab und gibt es natürlich eine Menge Anständige, die korrekt arbeiten und sich dadurch nicht selten zum Stammchauffeur für ihre Kunden qualifizierten, der dann sogar bereit ist eine halbe Stunde oder länger auf ihn zu warten. Denn in einer lauen Samstagnacht einfach so den Arm raushalten und sich beschwingt nach Hause schaukeln lassen, kann in Budapest noch heute ein sehr teurer Spaß werden. Man muss zugeben, über die Jahre ist es besser geworden, immerhin gibt es mehr riskierbare Alternativen, aber gut ist es immer noch nicht.

Rechtsverkehr: solche Aufkleber gehören längst zum Stadtbild und
werden auch nicht groß hinterfragt. Wie lange würde wohl ein NPD-Taxi in Berlin fahren?

Selbst mit allen "sesshaften" Taxifirmen will man nicht transportiert werden, so gibt es - nach unserem Wissen einmalig in Europa - doch mittlerweile tatsächlich Gesinnungsfahrbetriebe wie "Nationales Taxi", "JobbTaxi" u.a., auf deren Fahrzeugen neben der "Großungarn"-Karte oft auch noch so mancher markige Spruch zu lesen ist, auch "Dani-Taxi" wirbt mit “100% magyar”, was den Transport von Ausländern ja von vornherein ausschließen müsste, zumindest an das von ihnen gewünschte Ziel...

Alle fünf Jahre eine Prüfung, sonst ist die Lizenz weg

Nun versucht der Staat auch in dieser Branche aufzuräumen und gleiche Regeln für alle einzuführen. Hier kann man nur sagen: endlich. Die Nationale Vereinigung der Unabhängigen Taxifahrer (TGFSZ), sozusagen der Kronrat der Straßenkönige, fällt daher aus allen Wolken und protestiert mit einer Unterschriftenaktion gegen Pläne des Ministeriums für Nationale Entwicklung, das tatsächlich eine einheitliche und verbindliche Zulassungsprüfung für den Erwerb einer Taxilizenz einzuführen gedenkt. Der Gesetzesentwurf sieht vor, die Prüfungen alle fünf Jahre wiederholen zu lassen und auch die Taxifahrer, die heute schon eine Lizenz haben, mit einzubeziehen.

Was in anderen europäischen Großstädten lange schon Standard ist (wenn auch mit unterschiedlichen Qualitätsstandards und Kontrolldichten), regt die Herren der Zunft in Budapest so auf, dass man womöglich mit ausgedehnteren Protesten rechnen kann. Zimperlich sind die Straßenrambos nicht, in den Neunziger Jahren legten sie aus Protest gegen gestiegene Treibstoffpreise durch Brückenblockaden kurzerhand den Budapester Stadtverkehr lahm, ähnliche Aktionen gab es auch, als Budapest den Taxitransport ab Flughafen regulierte. Seitdem herrscht ein grimmiger Waffenstillstand zwischen Behörden und den Taxistas, mit der Polizei hatte man sich schon anderweitig arrangiert.

Womöglich sollen sie sich noch anschnallen?!

Die Argumente gegen die bald geforderten Prüfungen sind reichlich dünn. Tibor Farkas, Sprecher des TGFSZ erklärt die Petition von rund 1.000 seiner Mitglieder mit der Angst vor "zusätzlicher Bürokratie" und der Sorge "kaum noch etwas verdienen zu können". Diese Angst ist insofern berechtigt, da Budapester Taxifahrer schon immer die erstaunliche Dialektik pflegten, einerseits zu fragen, ob man wirklich die Uhr, gar eine Rechnung brauche, andererseits aber immer die ersten waren, die auf die beschissenen Straßen schimpften. Besonders übel findet man, dass das Gesetz offenbar "rückwirkend" Anwendung finden soll, also die altgedienten Haudegen tatsächlich dazu genötigt werden sollen, Rechenschaft über ihre Kenntnisse in Routenführung, Sicherheitsstandards (womöglich noch anschnallen!!!), Kundenfreundlichkeit, Fremdsprachen, gar Buchhaltung abzulegen.

Ohne eine Taxipolizei wird es kaum funktionieren

Hier werden, so hat man den Eindruck, die Grundfesten der "freien" Marktwirtschaft angetastet. Kritisiert wird auch, dass durch die neue Regelung die Zahl der Taxifahrer einfacher beschränkt werden könnte. Derzeit gibt es offiziell rund 4.000 Taxis in der ungarischen Hauptstadt, ergänzt durch diverse "Selbständige", seit Jahren wissen alle, dass es ein Überangebot gibt, das mit zu dem Wildwuchs beigetragen hat. Seit Jahren hat aber auch niemand wirklich etwas dagegen getan, wofür es zählbare Gründe geben dürfte. Die städtische Kompetenz ließ regelrechte Biotope wachsen.

 

Das undurschaubare Dickicht von gegenseitigen Abhängig- und Gefälligkeiten im Budapester Großstadtdschungel zu durchforsten, wird eine schwere Aufgabe und das Ministerium für Nationale Entwicklung müsste wohl - zumindest in den ersten Jahren - eine regelrechte Taxipolizei aufstellen, um zu verhindern, dass nationale Gesetze wieder in "kommunale Kompromisse" umgewandelt werden. Viele weitere Maßnahmen müssten folgen, u.a. die Auflösung der "abgesteckten" Standplätze, häufigere Kontrolle der Taxameter, Kennzeichnungspflichten, stichprobenartige Qualitätskontrollen mit Sanktionsandrohungen.

Eine einheitliche, staatlich normierte Prüfung und damit auch Erfassung, ist immerhin ein erster richtiger Schritt zur Beendigung dieser rufschädigenden Landesfolklore, die dem Staat ebenso schadete wie dem Kunden und den anständigen Taxlern, die durch eine Regulierung ohnehin nichts zu befürchten hätten.

red.

 

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