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(c) Pester Lloyd / 16 - 2011  POLITIK 21.04.2011

KOMMENTARE

Außenpolitisches Minenfeld

Chancen und Risiken eines neuen Wahlrechts für Ungarn

Nach der Verfassung, nimmt sich die Regierungspartei jetzt das Wahlrecht vor. Wie schon lange gefordert und in den meisten europäischen Ländern üblich, wird auch Ungarn bald nur noch mit einem Wahlgang auskommen, die anzahl der Mandate wird fast halbiert. Knackpunkt aber wird die Frage nach dem "gewünschten" Wahlrecht für Auslandsungarn. Hier sind so viele Fragen ungeklärt, dass selbst diese sonst forsche Regierung mit einer endgültigen Antwort nicht herausrücken mag.

Ministerpräsident Viktor Orbán bei der Stimmabgabe 2010.

Ein Teil des neuen Wahlrechts betrifft eine Steigerung der Effizienz und eine Senkung der Kosten für Wahlen. Bisher wurden unentschiedene Wahlkreise (wo keiner der Direktkandidaten im ersten Durchgang eine absolute Mehrheit der Stimmen erlangen konnte) vierzehn Tage später nochmals ausgetragen. Das war teuer, kostete Zeit und führt auch zu taktischen Spielchen, die, je nach dem wie fest oder wackelig das Gesamtergebnis im Land schon war, auch verzerrend wirken konnten. Noch ist aber nicht klar, ob, so wie in Deutschland hinfort die relative Mehrheit zum Gewinn des Direktmandates genügen wird oder ob diese "unentschiedenen" Wahlkreise einfach mit in den Topf der Landeslisten gesteckt werden.

Neuziehung der Wahlkreisgrenzen als strategisches Schachspiel

Teil des neuen Wahlsystems ist auch die schon beschlossene deutliche Reduzierung der Mandate im Parlament von derzeit 386 auf dann knapp 200 und die Erhöhung der Hürde für die Kandidatur. Nach neuem Gesetz müssen schon jetzt potentielle Kandidaten in deutlich kürzerer Zeit deutlich mehr Unterschriften von Unterstützern organisieren als zuvor, was ein klarer Vorteil für etablierte Parteien mit entsprechender Infrastruktur darstellt.

Im neuen Wahlrecht, an dem Fidesz-KDNP derzeit arbeiten, sollen 90 von 198 Parlamentssitzen als Direktmandate vergeben werden, was also auch eine deutliche Reduzierung der Zahl der Wahlkreise nach sich zieht, wiederum tendentiell ein Vorteil für die Großen. Die Neuziehung der Wahlkreisgrenzen kann zudem dafür genutzt werden, sich strategische Vorteile für die Zukunft zu verschaffen (z.B. in dem man eine eher linkslastige Kleinstadt einem besonders sicheren eigenen Wahlkreis angliedert etc.), nur noch 78 der Mandate sollen zukünftig über die Landeslisten der Parteien bestückt werden, die restlichen 30 über Überhanglisten.

Anstatt der Komitatsparteilisten soll eine zentrale Wahlliste für die 13 anerkannten ethnischen Minderheiten aufgestellt werden, die so zu je 1-2 symbolischen Mandaten kämen, was jedoch wieder eine Alibilösung hinsichtlich der lange und oft geforderten direkten parlamentarischen Vertretung der Minderheiten darstellt. Denn die direkt gewählten Vertreter der Landesselbstverwaltungen z.B. der Ungarndeutschen, der Roma, haben keine legislativen Rechte und nur minmale exekutive Befugnisse, die sich lediglich auf die Verwaltung von zentral vergebenen Geldern für Kultur- und Bildungseinrichtungen beziehen. Ihre Belange werden daher, wenn überhaupt, dann nur von etablierten Mehrheitsparteien vertreten.

Viele offene Fragen beim Wahlrecht für Auslandsungarn

Offen ist noch die Frage zum Wahlrecht für Auslandsungarn, die durch die historischen Besonderheiten besondere politische und ethnische Sprengkraft entfalten kann. Hier geht es nicht, wie in vielen anderen Ländern darum, ein paar zehntausend im Ausland beruflich tätigen Landsleuten, Rentnern oder Entstandten eine Stimmabagabe zu ermöglichen, sondern um eine Dimension, die das Stimmvolk theoretisch um rund ein Viertel vergrößern könnte. Sowohl Premier Orbán wie auch andere maßgebliche Regierungspolitiker sehen hier aber nur noch die Frage nach dem "wie", nicht nach dem "ob".

Es ist jetzt schon klar, dass die Einführung eines solchen Stimmrechtes politische Probleme mit den Nachbarn und juristische mit der EU, aber auch viel Zündstoff im Inneren mit sich bringen wird. Allein der Umstand, dass Bürger außerhalb Ungarns, in Größenordnungen über das Schicksal anderer abstimmen, ohne selbst die Konsequenzen ihrer Stimmabgabe tragen zu müssen, dürfte ein weites Feld für Juristen, Völkerrechtler und Verfassungsrichter werden, ganz abgesehen von der Frage nach der Einmischung in die Staatlichkeit der betroffenen Nachbarländer. Immerhin erklärt man mit der Abgabe seiner Stimme in einer Parlamentswahl auch eine gewisse Loyalität gegenüber der Legislative des Landes. Man kann sich vorstellen, wie das in der Slowakei, Serbien oder der Ukraine ankommt.

Auch ganz praktische Fragen sind dabei offen: wie soll abgestimmt werden? Haben Auslandsungarn nur eine Zweitstimme, wenn ja, wie ist das mit "gleichen" Wahlen vereinbar oder können Sie sich einen Wahlkreis aussuchen? Wie ist es mit dem passiven Wahlrecht, wird es denkbar, dass Kandidaten aus Siebenbürgen künftig "ihre" Belange im Budapester Parlament vertreten? Fakt ist, dass die Regierungspartei bei den Auslandsungarn davon ausgeht, über eine "natürliche" ideologische Mehrheit gegenüber linksliberalen Parteien zu verfügen, die "Wiedervereinigung" der Nation also auch einen ganz praktischen prozentualen Aspekt beinhaltet. Dieser Effekt verstärkt sich mit der Ausgabe der vereinfachten Staatsbürgerschaft immer weiter, weil natürlich vorwiegend national bewegte Auslandsungarn diese Anträge nach den ungarischen Pässen stellen, deren praktischer Nutzen sich in engen Grenzen hält. Allein in diesem Jahr rechnet die Regierung so mit rund 100.000 Neuungarn und potentiellen Fidesz-Wählern. Räumt man aber Landsleuten, die nie einen Wohnsitz im Inland gehabt haben ein Recht ein, dass normalerweise "Einwohnern" zusteht, könnte auch die teure Frage gestellt werden, wie es mit dem Zugang zu anderen Rechten, z.B. Sozialleistungen bestellt ist?!

Unübersichtliche nachbarliche Landkarte

Wie groß und unübersichtlich das Problemfeld ist, wird dadurch bestätigt, dass man sich mit der Frage bei Fidesz & Co. deutlich mehr Zeit lässt als mit der ganzen Verfassung. Offenbar wartet man auf eine günstige Gelegenheit, die nachbarliche Landkarte ist politisch derzeit nicht sehr überschaubar, planlose Konfrontationen wie beim Pass oder dem Mediengesetz sind nicht sehr gefragt.

Anteil ethnischer Ungarn an der Gesamtbevölkerung, nach Selbstdeklaration
bei den jeweils letzten Volkzählungen

Rumänien, mit ca. 1,5 Mio. ethnischen Ungarn, scheidet derzeit immerhin als Gegner aus, die dortige Regierung wird von der rumänischen Ungarnpartei am Leben erhalten und kann sich fast alles erlauben. Genau das könnte dort aber einmal zu einem innenpolitischen Thema gemacht werden, das noch viel Unbill birgt. In der Slowakei hat man es mit einer sehr instabilen, aber immerhin konservativen 4-Parteien-Koalition zu tun, zerbricht die, kehrt mit Robert Fico ein echter Albtraum zurück, zumindest jemand, der sich nicht scheut den offenen Konflikt mit Ungarn zu suchen. In der Slowakei flog - auch Dank der Radikalisierungen im Mutterland - die von Orbán immer noch hofierte Ungarnpartei aus dem Parlament, die moderate - und völkerverbindende - Alternative Most-Híd wird geflissentlich ignoriert. In der Ukraine könnte man sich unter Umständen Wirtschaftsvorteile bis nach Russland verbauen, Unruhe unter den Nationalitäten ist in etwa das Vorletzte was die dortige Regierung jetzt gebrauchen kann. In Serbien würde man durch allzu forsche Schritte die Anti-EU-Kräfte, die ohnehin auf dem Vormarsch sind, weiter stärken und die letzten Erfolge der Vojvodina-Ungarn hinsichtlich größerer kultureller Autonomie gefährden und seine eigene strategische Ausgangssituation für die übernächste Erweiterungsrunde schwächen.

 

Die oppositionellen Sozialisten umschiffen das sensible Thema, sind aber für eine noch weitergehende Vereinfachung, sie wünschen sich einen Wahlgang, bei dem die Hälfte der Sitze direkt, die andere über Landeslisten vergeben wird (deutsches System). Die Reduzierung der Mandate auf ca. 200 tragen sie mit, immerhin ist man sich also in beiden Blöcken einig, dass 50% weniger Parlamentarier, auch 50% weniger Schaden für das Land bedeuten könnten...

red.

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