(c) Pester Lloyd / 17 - 2011 KULTUR 30.04.2011
Klappe zu
Ungarn löst die staatliche Filmförderung auf
Die ungarische Regierung hat die Staatliche Stiftung für Filmförderung MMKA mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Die Entscheidung traf das Justizministerium per Erlass
und begründete diesen mit einer finanziellen Schieflage, die trotz instensiver Verhandlungen nicht anders zu lösen sei. Der aus Ungarn stammende
Hollywoodproduzent Andrew G. Vajna (Terminator, Rambo, Stirb langsam) soll nun die "Neustrukturierung" der staatlichen Filmförderung in Angriff nehmen. Die
Vorzeichen für eine professionelle Lösung sind keine guten.
Die MMKA ist seit 1998 das wichtigste
Instrument der staatlichen Filmförderung in Ungarn gewesen und war neben der finanziellen Unterstützung für heimische Filmproduktionen auch für internationale
Koproduktionen, die Distributionsförderung, Wettbewerbspromotion und die Hilfe für traditionsreiche Filmtheater zuständig.
Die MMKA hat einen Schuldenberg von
mittlerweile 10,6 Milliarden Forint (ca. 40 Millionen Euro) angehäuft. Die Verantwortlichen waren, so der Vorwurf des Justizminister, Förderungszusagen
eingegangen, ohne dafür den finanziellen Rahmen zu haben, hätten sich nicht an die Vergaberegeln gehalten und zudem noch Kredite aufgenommen, für die der Staat bürgen
müsse. "Eine Konsolidierung der Stiftungsschulden ist aufgrund ihrer Höhe nicht mehr möglich, der Staat hat keine Mittel, um die Fehlbeträge komplett aufzufangen," teilte das
Justizministerium in einer Stellungnahme mit. Man werde daher "die Funktionen der Stiftung in eine neue Struktur überführen", die von dem Regierungsbeauftragten Andrew
G. Vajna umgesetzt wird. Er wird für "eine verantwortungsvolle Erneuerung der nationalen Filmindustrie" sorgen und "ein effizienteres Management der Schlüsselaufgaben
sicherstellen", heißt es weiter.
Die Filmförderung in Ungarn hat sich im Laufe der Jahre zu einem schwer
durchschaubaren Dickicht aus Beziehungen und Netzwerken entwickelt, die zudem als eher der sozial-liberalen Landesseite zugehörig gelten. Der Wille zur Neuordnung der
Strukturen entspringt daher, neben der berechtigten Abschaffung der Kungelei und des Missbrauchs von Geldern und Ämtern, auch dem Wunsch nach verstärkter politischen
Einflussnahme durch die neuen Machthaber. Die Kulturpolitik der Orbán-Regierung weist von Anfang an starke Zentralisierungtendenzen auf. Unter den Sozialisten stand die
persönliche Vorteilsnahme im Vordergrund, nun ist es eher die ideologische Vereinnahmung, auf die die Präambel der neuen Verfassung eine Vorschau gibt.
Andy Vajna, Mitte, im Oktober 2010 mit Robert de Niro bei der Eröffnung ihres Nobu-Restaurants im
Kempinski. An der Kette halten mehrere Filmstars Anteile.
Die internationale Filmszene beobachtet seit dem letzten heftigen öffentlichen
Zusammenprall zweier Protagonisten die Lage in Ungarn mit der Sorge um die "kulturelle Vielfalt". Im Februar waren der gerade bei der Berlinale ausgezeichnete Regisseur Béla
Tarr und Kulturstaatssekretär Géza Szöcs heftig aneinandergeraten als ersterer in einem
Zeitungsinterview Ungarn als Diktatur bezeichnete, in der ein erbitterter Kulturkampf tobte. Tarr zog nach erheblichem politischen Druck auch von verärgerten Kollegen, die
ihn, der von staatlichen Förderung lebt, der "Nestbeschmutzung" ziehen, die Aussagen wieder zurück. Sein Verleiher trennte sich von ihm. Der Streit warf ein beredtes Licht auf
die Spannungen in der Szene und mit der Politik.
Schon damals war der Aufschrei derjenigen, die von dem alten System am meisten
profitierten und nach Meinung der Regierungsseite in einer Art sozialistischen Hängematte agierten groß. In einem offenen Brief beklagte eine Reihe bekannter Filmemacher,
darunter auch wieder Béla Tarr, desweiteren Ildikó Enyedi, Benedek Fliegauf, Szabolcs Hajdú, Miklós Jancsó, Ágnes Kocsis, Márta Mészáros, Kornél Mundruczó, György Pálfi,
dass sich die Regierung dazu entschlossen habe eine "demokratische, unabhängige, autonome Struktur, die den Pluralismus" gewährleistete, durch die Entscheidungen eines
einzelnen von der Regierung beauftragten Mannes zu ersetzen. Unterschrieben wurde der Brief auch von ausländischen Filmgrößen wie Michael Haneke, Aki Kaurismaki, Andrzej Wajda, Tilda Swinton.
Der Regierungsbeauftragte "Terminator" Vajna soll seine Ideen nun binnen zwei Jahren
umsetzen, bereits am 2. Mai will er die ersten Ideen präsentieren. Was immer dabei herauskommt, der Ein-Mann-Kommission wird stets der Ruf des "Regierungsdiktates"
anhaften. Schon jetzt ist das an der Förderpolitik bzw. -beschränkung für bestimmte Festivals abzulesen, noch eindeutiger ist die politische Handschrift an anderen
Kultureinrichtungen zu erkennen, so war die rigorose Streichung der Sockelfinanzierung
für die freie Theaterszene ein eindeutig politischer Akt.
Der Wille zur Schaffung einer zentralisierten Staatskultur ist unverkennbar, ein einzelner Günstling mit
“internationaler Reputation” wird die Sache regeln. Dabei wäre die Neugründung und Neugestaltung der Filmförderung die Aufgabe von Fachleuten, aller Coleur und
Ausrichtung der Branche, denn der Ausschluss oder die zu befürchtende Selektion schadet dem ungarischen Film - und durch seine internationale Wirkung auch Ungarn selbst -
ebenso wie es das bisherige Missmanagement bei der staatlichen Filmförderung tat, über die jetzt vorerst die letzte Klappe fiel. Fortsetzung folgt, nur der Produzent wechselt.
red.
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