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(c) Pester Lloyd / 17 - 2011  NACHRICHTEN 27.04.2011

 

Eskalation der Gewalt

Offene Kämpfe zwischen Roma und Neonazis in Ungarn -

UPDATE 28.04., 14:12 Uhr

Ganz eigene Prioritäten beim Kampf um die Menschenrechte in Ungarn hat die Regierungsfraktion heute gesetzt: Parlamentarier des Fidesz schlugen heute im Parlament vor, in Reaktion auf die Vorkommnisse in Gyöngyöspata, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die ermitteln solle “wer die Lügen verbreitet hat, dass es sich bei der Aktion vom Freitag um eine Evakuierung” gehandelt habe. Diese Nachricht hätte erst zur Panik und Aufstachelung der Situation geführt, so die Ansicht der Fidesz-Mandatare. Orbáns Pressesprecher hatte den panikartigen Abtransport von 267 Alten, Frauen und Kindern als “lange geplanten Osterausflug” bezeichnet, gegenteilige Behauptungen als “dreiste Lüge” gebrandmarkt. Nur wussten sogar die Beteiligten bis am Abend zuvor nichts von dem “Urlaub”.

Mittlerweile hat sich auch Premier Orbán - im Privatfernsehen - zu den Ereignissen geäußert. Er verdammte “jede Art von Gewalt” und betonte vor allem die strengeren Maßnahmen über das Strafgesetzbuch, die eine Wiederholung der Vorkommnisse nun verhindern sollen. Die hastig per Ministerdekret eingeführte Geldstrafe für das “illegale Anmaßen der Ordnungsmacht” von bis zu 100.000 Forint (380.- EUR) werde - im Wiederholungsfalle zu einer Haftstrafe, dafür werde er, Orbán, per Gesetz sorgen. Die strukturellen Probleme der Roma und der ebenfalls benachteiligten Mehrheitsbevölkerung in der Region, das Grundproblem des wachsenden Nazismus im Lande sprach er nicht weiter an, verwies nur wieder auf die sog. EU-weite Romastrategie, an der derzeit gearbeitet wird.

UPDATE 27.04., 19:18 Uhr

Die Lage in Gyöngyöspata blieb auch am Mittwoch weiter gespannt. Während massive Polizeieinheiten den Ort weitgehend absperrten, an dem es gestern Nacht zu heftigen Ausschreitungen zwischen Rechtsextremisten und ortsansässigen Roma mit mehreren, teils schwer Verletzten gekommen war, versuchten einige Dutzend Mitglieder verschiedener militanter "Bürgerwehren" die "Kameraden" vor Ort zu unterstützen.

Ein Foto aus Gyöngyöspata aus der vergangenen Nacht. Nach Darstellung der Neonazis wurden “vier zivil gekleidete Personen bei einem Spaziergang grundlos von Zigeunern angegriffen.” Die Roma erklärten, dass die Situation eskalierte, nachdem ein 14jähriger Junge angegriffen wurde und Steine flogen - Links mit der hellen Hose, Tamás Eszés, Chef der Wehrsportgruppe “Schutzmacht”, der jetzt auch als Bürgermeister des Ortes kandidieren will. Der vorherige, der Anfang März die “Bürgerwehren zu Hilfe” gerufen hatte, trat aus “gesundheitlichen Gründen” von seinem Amt zurück.

Es soll auch am Mittwoch wieder zu kleineren Zusammenstößen, Steinwürfen, Rangeleien gekommen sein, die aber von der diesmal präsenten Polizei schnell unterbunden wurden. Einige Personen wurden verhaftet, bzw. des Platzes verwiesen. Die Polizei hat mittlerweile erklärt, in dauerhaftem Kontakt mit den Vertretern der Roma des Ortes zu sein und so lange zu bleiben wie es notwendig ist. Die Vertreter der Gegenseite seien zu einer derartigen "Sicherheitspartnerschaft" nicht bereit gewesen, hieß es. Die Polizei im Komitat Heves machte klar, dass sie "keinerlei Provokationen, egal, von welcher Seite sie kommen würden, tolerieren" werde.

Die örtliche Romavertretung hat aus Angst vor einer erneuten Zuspitzung am Mittwoch bereits Busse für eine erneute Evakuierung von Frauen und Kindern angefordert. In einschlägigen Noenazi-Webforen wird zu einer “Befreiung” von Gyöngyöspata aufgerufen.

Auf politischer Ebene fällt weiter das Schweigen von Ministerpräsident Orbán auf, er ließ sich am Mittwoch nur mit einem Leitartikel in seiner Hauspostille “Magyar Nemzet” über die neue Verfassung mit dem Titel “Das Dokument der Wiedergeburt” hören, am Dienstag nahm er an einem Gedenk-Fußballspiel teil.  Mittlerweile hat ihn auch der parlamentarische Ombudsmann für Minderheiten, der höchste Ansprechpartner für solche Fragen, Ernö Kallai, aufgefordert, sich umgehend zu einem Gespräch "über die tragischen Ereignisse" bereit zu finden. Auch von den sonst stets auch ungefragt zu Stellungnahmen bereiten Fidesz-Funktionären war heute wenig zu hören. Kallai mahnte an, dass es "Aufgabe des Staates" ist, die "Situation zu normalisieren". Aus dem Innenministerium kam seitens eines Staatssekretärs das "Versprechen", dass alles getan werde, um "Recht und Ordnung" aufrecht zu erhalten. Diese Ankündigungen kommen von dort bereits seit Mitte März.

Streit und Debatten um eine angemessene Reaktion gibt es auch unter den Roma selbst. Während vor allem die Jüngeren immer mehr auf den Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen, ebenfalls in Form von Bürgerwehren drängen, versuchen einige "Aktivisten" eine "massenhafte Auswanderung" ins Ausland anzuregen, was lokale Romavertreter wiederum als "nicht gerade hilfreich" ablehnen.

Vertreter der Opposition, darunter Dávid Dorosz von der alternativ-liberalen LMP machen die unsoziale Politik der Orbán-Regierung für die steigenden Spannungen vor allem in den ärmeren Gebieten Ungarns verantwortlich. Dorosz bezeichnete eine Steuerpolitik, die die Ärmsten benachteiligt (was die neue Flat tax aufgrund einer besonderen Berechnungsgrundlage z.T. tatsächlich tut) und die Einsparung von staatlichen Arbeitsprogrammen, nähmen den Menschen dort die letzten Perspektiven.

Politiker von Jobbik nahmen die Ereignisse zum Anlass, ein weiteres Mal zu erklären, dass die Regierung "unfähig ist, Recht und Ordnung im Lande aufrecht zu erhalten". Daher sollte "landesweit eine Zivilgarde (Gendarmerie) anstelle der überforderten Polizei" eingerichtet werden, die "gegen die Zigeunerkriminalität kämpfen kann" wiederholte der Jobbik-Abgeordndete Volner eine der zentralen politischen Forderungen seiner Partei. Nach seinen Worten hätten am Dienstag in Gyöngyöspata "Zigeuner friedliche Ungarn angegriffen".

Ex-Premier und MSZP-Grande, Ferenc Gyurcsány, beklagte auch die fehlende harte Hand der Regierung gegen die rassistischen Übergriffe in verschiedenen ungarischen Orten und kommentierte die Lage mit den Worten: "Ungarn hat kein Zigeunerproblem, Ungarn hat ein Naziproblem." Er erwähnte jedoch nicht, dass in seiner Regierungszeit "Garde" und Jobbik groß geworden sind und die Mordserie an acht Roma stattfand, die gerade in Budapest vor Gericht verhandelt wird. Auch gab es unter den den sozial-liberalen Regierungen keine wirklich koordinierten und überzeugenden Anstrengungen, die prekäre Lage der Landbevölkerung (Roma wie Mehrheit) durch gezielte Programme, Förderungen und Umverteilungen zu verbessern.

Zahlreiche Beiträge zur sozialen Situation der Roma in Ungarn finden Sie im Ressort GESELLSCHAFT sowie auf dieser Themenseite: http://www.pesterlloyd.net/2009_52/52antiziganismus/52antiziganismus.html

 

Eskalation der Gewalt

Offene Kämpfe zwischen Roma und Neonazis in Ungarn - UUPDATE, 27.04. 7:53 Uhr

Am Dienstagabend gegen 21 Uhr wurde von Schlägereien zwischen lokalen Anwohnern der Roma und Mitgliedern bzw. Sympathisanten jener rechten Gruppen berichtet, die den Ort seit Anfang März belagern und am Osterwochende dort ein Wehrsportlager abhalten wollten. Es gibt mehrere Schwerverletzte.

Aufgrund der Aufmärsche der rechtsextremistischen “Bürgerwehren” in Gyöngyöspata wurden am Osterwochenende fast 300 Roma vom Roten Kreuz “evakuiert”, laut Regierung zu einem "Osterausflug". Der Innenminister ließ sich blicken, die Regierung erließ ein Dekret gegen illegale Bürgerwehraktionen, die Organisatoren wurden kurzzeitg verhaftet. Doch die Realität am Dienstag zeigt, dass die Lage in keinster Weise beruhigt ist.

Nach den bisher vorliegenden Informationen hat sich am Dienstag eine stetig wachsende Anzahl von Rechtsextremisten im Umfeld der "Véderő" (Schutzmacht) im Ort bei einem einheimischen Unterstützer versammelt. Dabei kam es zu ständigen Provokationen, bei denen auch mit Schusswaffen hantiert worden ist. Später stießen Roma und Rechte direkt aufeinander, zunächst erschien nur eine Polizeistreife, nach und nach folgten immer mehr Einsatzkräfte. Die Situation eskalierte, als ein 14jähriger Romajunge angegriffen wurde und Steine auf Wohnhäuser der Roma flogen, daraufhin kam es zu heftigen Krawallen mit drei Verletzten, als die Roma des Ortes begannen sich erstmals organisiert zu wehren. Rund 100 Roma gingen gegen die Angreifer vor.

Mittlerweile hat ein Sondereinsatzkommando der Polizei für vorläufige Ruhe gesorgt, zwei der Rechtsextremisten wurden schwer verletzt abtransportiert, andere Quellen sprechen von vier, auch auf der anderen Seiten gab es mehrere Verletzte. Besonders erschreckend ist, dass die vorhersehbare Eskalation in dem Ort nicht schneller und resoluter von der Staatsmacht eingedämmt wurde, zumal bei der Vorgeschichte.

 

Heute hatte der soeben abgeführte Chef der "Véderő", Tamás Eszes (Foto) erklärt, als Bürgermeister des Ortes kandidieren zu wollen, da der Posten durch den fluchtartigen Rücktritt des Vorgängers vakant geworden war. Dieser hatte Anfang März die Bürgerwehr “Schönere Zukunft” “zu Hilfe” gerufen. Der ortsansässige Eszes erklärte weiter, dass sein Verein keine politischen Ziele habe und er nur persönlich als Bürgermeister kandidieren werde, auch woll er das paramilitärische Lager wiederholen, immerhin hat es der Gemeinderat nun ermöglicht, das Grundstück so zu betreten, dass man nicht direkt das Romaviertel tagniern müsste. In wenigen Wochen wolle er vor allem 14-16jährige mit den Grundtechniken der Selbstverteidigung vertraut machen, unter bestimmten Voraussetzungen, so Eszes, könnten sogar Kurse für Sechsjährige abgehalten werden.

red.
 

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