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(c) Pester Lloyd / 18 - 2011  POLITIK 05.05.2011

 

Quaero populo

Wünschen Sie mehr Rente? Die Regierung von Ungarn befragt wieder das Volk

Die ungarische Regierung plant wieder eine Aktion im Rahmen der "nationalen Konsultation". Wie schon bei der Verfassung, wird in der kommenden Woche ein Fragebogen an alle acht Millionen Wahlberechtigten des Landes gesandt, diesmal geht es dabei um Maßnahmen in der Sozial- und Rentenpolitik sowie dem Gesundheitswesen.Die Aktion hat gleich mehrere Haken, scheint aber als PR-Aktion gut zu funktionieren.

Premier Viktor Orbán präsentiert sich den Medien vor Stapeln von Kartons mit zurückgesandten Fragebögen. Die Antworten gibt er aber lieber selbst.

In dem neuen Volksquiz, denn die Befragung ist in keiner Weise bindend, gibt es wieder eine ganze Reihe konkreter, komplexer und fragwürdiger Fragen, die im Multiple-Choice-Verfahren beantwortet werden sollen. U.a. wird nach der Volksmeinung beim Kündigungsschutz ab 55 Jahren gefragt, der Einführung einer Gewinnobergrenze für Versorgungsunternehmen (Strom, Wasser, Gas etc.), der zeitlichen Beschränkung von Arbeitslosengeld von 270 auf 90 Tage, der Umwandlung von Sozialhilfe in Sachleistungen und die Verknüpfung mit weiteren Auflagen (Sozialarbeit, Schulpflicht der Kinder). Die Regierung will auch wissen, was die Leute von einer Vergütung von Kindererziehungszeiten bei der Berechnung der Rente halten und ob die Rentenhöhe sich künftig eher nach Beitragszeit oder Höhe des Einkommens richten sollte.

Weiterhin soll eruiert werden, was das Volk von der Hilfe für in Bedrängnis geratene Kreditnehmer hält und ob solche Kreditformen, die auf ausländischen Währungen basieren, künftig verboten sein sollen. Eine weitere Frage handelt von der Einschränkung von "Lobby-Aktivitäten" von Pharmaunternehmen. Gefragt wird auch, ob das zukünftige Bildungssystem eher die Beschäftigungsfähigkeit erhöhen oder von den Entwicklungen des Arbeitsmarktes unabhängig bleiben solle.

Die Beteiligung der Bürger erscheint auf den ersten Blick lobenswert, hat aber gleich mehrere Haken. Wie schon bei der Verfassungsbefragung, bei der ca. 10% der Fragebögen zurückgekommen sein soll, erscheint die Auswahl der Fragen relativ willkürlich, bzw. eher populistisch, die Fragestellungen sind oft suggestiv, sträflich verkürzt und simplifiziert und entspringen eher dem Wunsch, sich die Beglaubigung für eine bestimmte Politikrichtung geben lassen zu wollen. Es hat etwas herablassend huldvolles, schon die Cäsaren bedienten sich dieses Mittels, machten dann aber bekanntlich doch was sie wollten.

Viel schlimmer aber ist, dass etliche Beschlüsse zu obigen Fragen längst getroffen worden sind, wie z.B. zum Arbeitslosengeld, bzw. gar nicht in der Einschätzung des Volkes liegen können. So ist die Frage nach der Berechnungsgrundlagen der Rente ohne Wissen um die budgetären Verhältnisse, das mithin wenigstens der Fakten nebst eines Volkswirtschaftsstudiums bedürfte, purer Unsinn. Zynisch ist die Frage nach den Renten zumal, weil der Staat die Beitragszahler längst vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Die privaten Rentenbeiträge (insgesamt bis zu 11 Mrd. EUR!) wurden unter Androhung des Anspruchsverlustes zwangsverstaatlicht und erklärt, man werde damit "Löcher im Budget" stopfen, sodann die Beiträge individuellen Rentenkonten zuordnen, später werde man sehen was dabei herauskommt, die Rente sei aber in jedem Falle sicher...

Weiterhin zielen Fragen wie die nach Sozialleistungen, z.B. die der Beschränkung der Kinderzahl bei der Berechnung der Sozialhilfe oder die Umwandlung von Geldleistungen in Lebensmittelpakete auf Belange, die direkt und vor allem die Roma betreffen werden. Minderheitenschutz ist jedoch, unabhängig vom Mehrheitswillen, eine Kernaufgabe einer rechtsstaatlichen Demokratie, die der Staat keinem Stimmungsbild opfern dürfte. Was geschieht z.B. wenn das Volk zu 90% für eine "arbeitsmarktnahe Bildungspolitik" entscheidet: werden dann philosophische Fakultäten, Musikunterricht und Kunsterziehung abgeschafft?

Auch bei den Hilfen für Schuldner, legte sich Fraktionschef Lázár bereits auf eine Obergrenze von 15-20 Mrd. Forint an jährlichen Staatshilfen (max. 80 Mio. EUR fest), weshalb diese Frage obsolet ist, zugleich wurden Fremdwährungskredite im privaten Bereich schon weitgehend verboten.

 

Ungarn kennt auch die gesetzliche Möglichkeit bindender Referenden, die Latten liegen relativ hoch, es braucht binnen recht kurzer Zeit 200.000 Unterschriften, eine Zulassung der staatlichen Wahlkommission, sodann 25% + 1 Stimme Wahlbeteiligung und über 50% Ja-Stimmen. Die meisten Iniativen scheiterten an einer dieser Hürden, den Stopp einer Gesundheits(privatisierungs)reform war eine der seltenen Erfolgsgeschichten. Die Antworten auf die Fragebögen erwartet die Regierung bis zum 15. Juli zurück, es ist davon auszugehen, dass die "nationale Konsultation" wieder ein voller Erfolg wird.

Stefano Solaro, red., ms.

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