(c) Pester Lloyd / 19 - 2011
POLITIK 09.05.2011
Unwürdig
Das ungarische Verfassungsgericht gibt immer noch Widerworte
Am Freitag hat das Ungarische Verfassungsgericht ein weiteres Urteil im Falle der 98%igen Besteuerung von Abfindungen gefällt. Diesmal ging es nicht um die Sache
selbst, sondern um die retroaktive Anwendung. Das teilentmachtete Gericht sieht die menschliche Würde verletzt, das ist aber der Regierungspartei egal, "ungarische
Interessen" stehen über der Würde. Immerhin eröffnet das Urteil den Weg nach Den Haag.
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Das Verfassungsgericht hob die rückwirkende Anwendung ab 2005 der
Besteuerungsregelung als "nicht verfassungskonform" auf, was den Staat Zigmilliarden festverplante Forint Steuern kosten wird. Allerdings fehlt dem höchsten Gericht die
Kompetenz ein solches Urteil zu fällen, sobald es um Geld im Staatshaushalt geht, es kann lediglich noch den Rechtsbruch feststellen. Seit die Regierungspartei die Zuständigkeiten
eben wegen der Rechtsprechung in diesem Fall beschnitten und das Gesetz bestätigt sowie
um die rückwirkende Anwendung erweitert hatte, bleibt ihm keine andere Möglichkeit mehr. Das Gericht versuchte jedoch den Umweg über die Menschenrechte und dadurch
einen “budgetären Einfluss” seines Urteils zu umgehen. Es urteilte eindeutig, dass die Art der Anwendung "ein Bruch des Rechts auf menschliche Würde" für die "betroffenen
Parteien und deren Familien" darstellt, was diesen wiederum die Möglichkeit eröffnet sich an den internationalen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden, was für einen kleinen
öffentlich Angestellten ohne entsprechende Unterstützung sicher keine gangbare Variante darstellt.
Der Steuersatz von 98% wird bei Abfindungszahlungen im öffentlichen Dienst über 2 Mio.
Forint (ca. 7.600 EUR) bei Managern von Staatsbetrieben und in leitenden kommunalen Funktionen sowie für Beträge über 3,5 Mio HUF (ca. 12.000 EUR) beim Rest des
öffentlichen Dienstes fällig, wenn diese nach dem 1. November 2005 gezahlt wurden. Damit wollte man eine Reihe von Leuten bestrafen, die sich selbst "Goldene Handshakes"
organisiert haben und sich zum Teil mit unverschämter Dreistigkeit aus ohnehin schon deifizitären Staatsbetrieben (z.B. BKV) bereicherten. Eine Reihe Verantwortlicher, zum
Teil auch Funktionäre der links-liberalen Regierungen sitzen dafür übrigens in U-Haft, Hausarrest und bald vor Gericht.
Das Problem mit diesem Gesetz ist allerdings, dass es auch Menschen trifft, die für
bescheidenes Gehalt 40 Jahre im öffentlichen Dienst ihren Pflichten nachkamen (z.B. als Lehrer) und denen die bisher dafür übliche Abfindung ein wichtiger Teil der
Altersversorgung war, zumal die Renten in Ungarn unter jeder würdigen Grenze liegen. Diese Leute werden nun mitbestraft, gerade das wollte das Verfassungsgericht
unterbinden, wurde daran aber gehindert, weil im neuen Ungarn, so die Einschätzung der Regierungsseite, "ein Gericht sich nicht über das Gerechtigkeitsgefühl des Volkes" zu
stellen hat. Daraufhin wurde das Verfassungsgericht entmachtet, was auch in der neuen Verfassung bis auf weiteres festgeschrieben worden ist. Das Verfassungsgericht darf
wieder mitreden, wenn die Schuldenquote des Staates unter 50% liegt. Derzeit ist sie bei 80%, sogar die ehrgeizigen Fidesz-Ziele gehen eher von 60-65% in fünf Jahren aus, so dass
sich die Verfassungsrichter erstmal ein Hobby suchen sollten.
János Lázár, Fraktionschef der Regierungspartei Fidesz, der schon voriges Jahr die
Entmachtung des Verfassungsgerichtes am Tag der für seine Partei unangenehmen Urteilsverkündung androhte und binnen einiger Wochen durchzog, blieb sich auch diesmal
treu. Seine Antwort ist so knapp wie eindeutig: "Das Urteil ist gegen die Interessen Ungarns gerichtet."
Schon am Montag hatte das Parlament eine Gesetzesänderung beschlossen, die jetzt den
1.1.2010 als Stichtag fixiert. Doch auch mit der Anwendung per 1.1.2010 bleibt die rückwirkende Anwendung in Kraft, weshalb Orbán auf die Frage nach der Konformität
mit den weisen Worten antwortete, "den Pudding kann man nur prüfen, wenn man ihn isst". Die Entscheidung, eine 98%ige Besteuerung von Abfindungen nur zuzulassen, wenn
die Auszahlung nach dem 1. Januar 2010 stattfand, "geht gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen", erklärte Ministerpräsident Orbán am
Montagabend gegenüber MTI und damit gleichlautend, wie er bereits auf die erste Entscheidung im Oktober des Vorjahres reagiert hatte.
Sein bewährter Kettenhund Lázár wurde deutlicher. Zuckt das Verfassungsgericht nochmal
aus, werde man einen Weg finden, das Gesetz auch ohne dessen Segen zur Anwendung zu bringen. Hierzu passt das Sprichwort, “der Appetit kommt beim essen...” Premier Orbán
schlug am Wochenende vor, Fraktionschef Lázár wegen seiner "hervorragenden Arbeit" im letzten Jahr für drei Jahre in seinem Amt zu bestätigen, auch dies wurde am Montag
bewerkstelligt.
Keine Kündigung ohne Begründung Ungarisches Verfassungsgericht kippt wieder ein Gesetz der Regierung
Diktatorisches Gebaren
Der Verfassungsstreit in Ungarn
red.
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