(c) Pester Lloyd / 19 - 2011 WIRTSCHAFT 13.05.2011
Solang kein Flugzeug kommt...
Schmutzige Geheimnisse II: Das ungarische Atomkraftwerk Paks und AGNES
Alles sicher, alles entspannt, Atomkraft wird in Ungarn eine lange Zukunft haben, den Stresstests der EU sieht man "mit Gelassenheit" entgegen. Das ist die
Kommunikationspolitik der Regierung. Dabei hatte das ungarische Atomkraftwerk Paks schon vor Jahren einen internen Stresstest durchlaufen. Die Ergebnisse davon
sind wenig beruhigend, selbst leitende Ingenieure des Kraftwerks haben ihre Zweifel an der Standfestigkeit der Sicherheitssysteme. Einen Flugzeugabsturz hält es
definitiv nicht aus, eine Flut vielleicht, beim Thema Erdeben wird Verwirrung gestiftet.
Happy Störfall: Kinder tollen im Feuerwehrschaum vor dem Hautpeingang des AKW Paks herum. Ein
Besucherzentrum gibt sich viel Mühe, den Menschen Sicherheit und Nutzen der Atomkraft nahe zu bringen. So nahe, dass man sogar den Technikern im Kontrollraum zuwinken kann...
Atomkraft als zentrale Energiequelle Ungarns
Fragt man das offizielle Ungarn, ist sogar Fukushima sicher. Außenminister János
Martonyi verkündete schon am 18. März, so als sei er da gewesen, dass "die Behörden in Japan die Lage unter Kontrolle" haben. Er beruhigte damals den japanischen Botschafter
in Budapest vor versammelter Presse, der selbst eher blass dreinschaute. Alles andere sei Panikmache aufgrund falscher Informationen, ließ Martonyi wissen. Fidesz-Fraktionschef
Lázár, der auch die parlamentarische Kommission für Energiefragen leitet, stellte bei einem anschließenden Ortstermin in Paks klar, dass "Atomkraft lange eine wichtige Rolle"
spielen werde, sie ist und bleibt die zentrale Energiequelle des Landes. (mehr zum Thema Strategien und der Rolle der Erneuerbaren in Ungarn hier)
Energiestaatsskretär János Bencsik sieht die EU-Stresstests im eigenen Lande "mit
Gelassenheit". Paks sieht er in Sachen Sicherheit "als Musterbetrieb", zumal das Kraftwerk Ende der Neunziger mit amerikanischer Hilfe und viel Geld sicherheitstechnisch
aufgerüstet worden ist. Die ungarische Regierung, im Vollbesitz legislativer Macht, bedient sich dabei Argumenten von vor zwanzig Jahren.
Alles sicher bis... Wer ist AGNES?
"Sobald die Kommission die Kriterien festgelegt hat", werden die Stresstests an den
europäischen Kernkraftwerken anlaufen, schon Ende des Jahres sollen die Berichte vorliegen. Dabei werden Fragen der Erdbebensicherheit und der Überschwemmungsgefahr
(Donau), der Zustand des Kühlsystems und der Notstromversorgung eine Rolle spielen sowie das "Verhalten des Reaktors" bei einem Störfall. Ungarns AKW Paks, 120 Kilometer
südlich von Budapest umfasst vier Blöcke russischer Bauart der "neueren Generation", Mitte der Achtziger Jahre sind sie ans Netz gegangen. Deren ursprünglich vorgesehene
Laufzeit von 30 Jahren wurde kürzlich verlängert, zwei weitere Blöcke sind in Planung für 3-4 Mrd. EUR, die Ausschreibungen laufen. Schon heute produziert Paks 42% des Stroms
im Lande. Dabei kann Ungarn besonders stressfrei mit diesen Stresstessts umgehen. Nicht nur, weil der Staat über den staatseigenen Betreiber MVM praktisch alle
Kommunikationsstränge in Händen behält, sondern weil ohnehin klar ist, dass das AKW Paks sicher ist, zumindest solange die Fluten und Erdbeben im bisherigen Rahmen bleiben
und ja kein Flugzeug draufstürzt.
Vor einigen Tagen traf sich der ungarische Minister für Nationale Entwicklung, Tamás
Fellegi, mit dem EU-Energiekommissar Günther Oettinger, einst Ministerpräsident im Vorzeigeland der Atomlobby, Baden-Würtemberg. Dabei betonten beide, "die Wichtigkeit
von Transparenz und Öffentlichkeit" bei den anstehenden "Stresstests" für die AKWs, die,
so Oettinger, "den einzigen Weg darstellt, das Vertrauen der Bürger" in diese Technik "zu gewinnen". Dabei machen wir gerne mit.
Deckblatt des Abschlussberichtes zum AGNES-Projekt,
wie ihn die IAEO vorliegen hat, Zum Vergrößern klicken
AGNES zeigte: die Haut ist zu dünn
Was bei den Stresstests interessanterweise keine Rolle spielen wird, ist die Frage nach
Terroanschlägen, z.B. mit Flugzeugen. Das ist auch gar nicht nötig, denn Ungarn hatte dieses Szenario schon Mitte der Neunziger Jahre durchgespielt, mit nicht ganz so
zufriedenstellendem Ergebnis. Das Projekt AGNES im Jahre 1993 widmete sich der Reaktorsicherheit, beteiligt daran waren Experten des Kraftwerks selbst sowie
technologische Subunternehmer, aber auch Kapazitäten der führenden nuklearen Forschungsinstitute.
In der uns vorliegenden Zusammenfassung des
Abschlussberichtes wird klar und deutlich festgehalten:
-
Paks ist nicht für einen Flugzeugabsturz gebaut (soll heißen: hält einen solchen nicht aus) - die Anfälligkeit für große Schäden bei einer solchen Katastrophe ist durch die
Zwillingsbauweise und die mangelnde Dezentralisierung von primären und sekundären Sicherheitssystemen besonders hoch
Allerdings schränkt man ein, dass das "Risiko eines Flugzeugabsturz" von der IAEO als nicht
sonderlich hoch eingestuft wird, das war jedoch noch vor 9/11. Mit Passagiermaschinen hat man in der Studie übrigens gar nicht gerechnet, sondern höchstens einen verirrten
Militärflieger oder Kleinflugzeuge betrachtet, doch schon dafür ist die Haut von Paks zu dünn.
Nichts genaues weiß man nicht, will man auch gar nicht wissen...
Nicht viel günstiger fällt die Beurteilung aus, geht es um Erdbeben, Fluten etc. - Hier liegt
das Problem nicht so sehr in ungünstigen Szenarien, sondern in den oberflächlichen Annahmen, dass man schwere Erdbeben nicht prüfen muss, es heißt, dazu gab es keine konkreten Vorgaben.
Nun ist bekannt, dass es in Ungarn durchaus Erdbeben über der Stärke 4 gibt (gerade vor
wenigen Wochen, sogar mit für die Region ungewöhnlich hohen Sachschäden), wo Stärke 4 ist, ist auch die 5 nicht weit und wer kann 6 ausschließen? Spanien z.B. tut das im
Moment nicht, auch wenn dort über 50 Jahre relative Ruhe herrschte. Auch für Fluten verließ man sich nur auf die bisher maximal aufgetretenen Ereignisse.
zum vergrößern klicken
Beim Thema Erdbeben wird gelogen, dass sich die Erdkruste biegt
Doch gerade bei den Erdbeben wird die
Öffentlichkeit im Unklaren gelassen. Ist nämlich nicht der Wert auf der Richterskala für die potentielle Beschädigung von Gebäuden ausschlaggebend, sondern die Bodenbeschleunigung,
die war, z.B. im neuseeländischen Christchurch deutlich höher als beim “Rekordbeben” in Japan mit einem Richter-Wert von 9. Sie hängt
u.a. von der Tiefe des Erdbebens ab, aber vor allem auch von der Zusammensetzung der geologischen Schichten und deren Verbindung untereinander und zur Erdoberfläche.
Seismische Karten geben die Region rund um Paks als ein Risikogebiet aus. Nebenstehend sehen Sie eine Risiko-Karte der Universität Triest, die ausgerechnet die schmale Linie
entlang der Donau, wo auch Paks steht, als Hochrisikobereich ausweist. Interessant hier: Studien der IAEA, die entsprechend hohe Werte der Peak Ground Acceleration (PGA)
angaben, wurden durch neue ersetzt, wundersamerweise mit neuen Zahlen. Die höchstrangige Lobbyagentur der Atomwirtschaft tut ihren Job...
Ansonsten kommt das AGNES-Projekt zu einem Ergebnis, das nüchtern festhält, dass "als
Konsequenz eines Feuers, Überschwemmungen im Inneren oder dem Ausfall der Stromversorgung verschiedene Sicherheitssysteme ausfallen können." Dass Systeme
ausfallen können, ist sozusagen systemisch also nicht weiter überraschend. Weiter wird jedoch erläutert, dass dies nicht so dramatische Folgen haben sollte, da die redundanten
Systeme getrennt voneinander funktionieren (beim Thema Flugzeugabsturz wurde diese nicht konsequente Trennung gerade noch als Risikofaktor eingestuft). Jedenfalls, so die
Studie "müsste" alles funktionieren, auch wenn die Brühe hoch steht. Das hat man in Fukushima auch gedacht.
Die Studie kann im weiteren bei der IAEA, jener Internationalen Atomenergiebehörde,
von der viele immer noch fälschlicherweise denken, sie sei eine UNO-Organisation, eingesehen werden. Sogar im "Public Collection Store". Man möchte gar nicht wissen, was
in non-public areas alles an Schriftstücken lagert... http://www.iaea.org/inis/collection/NCLCollectionStore/_Public/28/034/28034592.pdf
Partielle Kernschmelze an 30 Stäben vor gerade acht Jahren
2003 gab es in Paks einen Störfall der INES-Stufe 3. Man stellte zunächst erhöhte Strahlung im Inneren fest und
öffnete daher das Reinigungssystem: "Es stellte sich heraus, dass die Mehrzahl der 30 Brennelemente durch mangelnde Kühlung überhitzt und stark beschädigt beziehungsweise
angeschmolzen waren." heißt es im Bericht. Die 1993er Studie hielt bereits fest, dass aufgrund baulich-technologischer Gegebenheiten die Trennung dieser Becken vom
Containement nicht ganz optimal ist (diese müssen nahe beieinander sein, jedoch kann man wie im Theater eine Art eisernen Vorhang so oder so bauen) Sprich: fliegt den
Technikern im Abklingbecken etwas um die Ohren und muss der Bereich geräumt werden, sind Sicherheitsbehälter und Abklingbecken gemeinsam sich selbst überlassen...
red.
Schmutzige Geheimnisse I: Rotschlammbecken in Ungarn als Referenz für EU-Standards
Sie möchten den PESTER LLOYD unterstützen?
LESERPOST & GÄSTEBUCH
|