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(c) Pester Lloyd / 19 - 2011  POLITIK 13.05.2011

 

Vorbild mit Todesfolge

Schmutzige Geheimnisse I: Rotschlammbecken in Ungarn als Referenz für EU-Standards

Ein EU-Dokument bewertete den Bau des geborstenen Rotschlammbeckens in Ajka und die Behandlung der Abfälle als "best available technology". Ein tödlicher Irrtum und mehr als eine peinliche Fehleinschätzung. Noch dazu ist die verbaute Flugasche mit so viel radioaktivem Uran belastet, dass eine Firma aus Australien die Aufbereitung für sehr lohnend erachtete und die US-Gesundheitsbehörde schon hellhörig wurde. In Ungarn wurde sie zum Teil verbaut oder (f)liegt in der Landschaft umher.

Bruchkanten wegen Materialüberlastung wegen falscher Verbauung. Aus der Studie eines Wissenschaftlers an der Universität Istanbul. Klicken zum vergrößern.

Das Management der Aluminiumhütte von Ajka, MAL Zrt. bestand und besteht darauf, dass man "sämtliche Sicherheitsbestimmungen" eingehalten habe, alle behördlichen Genehmigungen (sogar kürzlich erneuert) vorlagen und es sich bei der Katastrophe vom 4. Oktober 2010, die zehn Menschleben und eine verwüstete Region forderte, um eine "Naturkatstrophe" gehandelt haben muss, mutmaßlich wegen andauernden Regens. Einer der Manager sprach sogar von der Möglichkeit eines "gezielten Anschlags". (Alles zur Katastrophe in unserer umfangreichen, chronologischen Dokumentation)

Ajka als "best practice" der EU für die Rotschlammaufbereitung

Dabei kann sich das MAL-Management, bestens verbandelt mit den grauen Eminenzen der noch graueren Privatisierungen, nicht nur auf die Stempel fragwürdiger ungarischer Beamter berufen, sondern sogar auf ein EU-Dokument, was die Situation bei den jetzt laufenden ersten Schadensersatzprozessen einer Opferfamilie sowie der Staatsbahn MÁV deutlich verbessern dürfte.

Für die Abfall- bzw. Schlammdeponien bestimmter Industrien hat die Europäische Union nämlich sogenannte BAT-Studien erstellen lassen. BAT = Best available Technologies, also beste verfügbare Verfahren. Die für Abbauprodukte und Reststoffe im Bergbau von 2007 führt ausgerechnet die Lagerungsstätten in Ajka als Referenzdeponien an. Dabei handelt es sich um jene Rotschlammbecken, die im Oktober 2010 gebrochen waren. In dem Papier wird seitenlang der Aufbau erläutert und zum Nachbau empfohlen. Sogar die Zusammensetzung der Giftbrühe, der Energieverbrauch des Werkes und Tipps, was anzustellen ist, um das Zeug loszuwerden, findet man darin. Einsehbar ist die Bauanleitung bis heute unter anderem im Online-Archiv des Deutschen Umweltbundesamtes: http://www.bvt.umweltbundesamt.de/archiv/bvt_management-bergbauabfaelle_vv.pdf

Nicht nur eine peinlich fehlerhafte Expertise, sondern auch äußerst fahrlässig, zumal sich das BAT-Papier der EU hinsichtlich Ajka nur auf die Ausführungen eines Herrn Földessy von 2002 bezieht, also nur eine Quelle nennt.

Aus diesen Beschreibungen geht nämlich hervor, dass die "Betonwände" nicht aus Beton, sondern aus Flugasche hergestellt sind, einem Nebenprodukt bzw. Überbleibsel bei der Verarbeitung von Kohle im sozusagen hauseigenen, benachbarten Kohlekraftwerk von Ajka, betrieben von der Bakonyi Erőmű Zrt.

 

Experte sieht bauliche Mängel und Materialfehler als Ursache

Entgegen den Behauptungen der Firma und den Empfehlungen des BAT-Papiers, führten nämlich bauliche Mängel am Becken sowie daraus resultierende Materialüberbelastungen zum Bruch der Mauer, worauf es bereits ein halbes Jahr zuvor sichtbare Hinweise wie Bruchkanten und rötliche Rinnsale an der Außenmauer gegeben habe. Dies stellt ein Istanbuler Wissenschaftler, nicht irgendeiner, sondern eine Kapazität auf seinem Fachgebiet, in einer zusammenfassenden Studie fest, die - in Auszügen - auf der Webseite "Global InfoMine" also einem Fachmagazin der Branche veröffentlicht worden ist. (siehe Abb. ganz oben) http://www.infomine.com/publications/docs/Zanbak2010.pdf Ungarische Gerichte bekamen bisher noch keine derartigen Gutachten geliefert, was die Prozesse in die Länge zieht. Es wird wohl auch außerungarisch ein Interesse daran bestehen, mögliches Versagen von Technologie und dem wärmstens empfohlenen Material zu vertuschen...

All das wäre schon schlimm genug, doch die verbaute Flugasche ist auch noch radioaktiv belastet und dies nicht zu knapp. Uranspuren in Braun- oder Steinkohle sind an sich nichts ungewöhnliches, doch ab einer bestimmten Konzentration stellt sich schon die Frage, ob eine Verbauung als Abklingbecken und damit die Möglichkeit des Weitertragens über Ausschwemmungen oder Verwehungen im Sinne der Volksgesundheit ist. Dass die Urananteile in der Ajkaer Flugasche nicht so ganz unrelevant sein können, zeigt sich im lebhaften Interesse eines Joint ventures des australischen Energiekonzerns WildHorse Energy Limited, die mit dem Partnerunternehmen "Sparton Resources" im Jahre 2007 die Eurash gegründet hatten.

Australier wollen schnell Asche aus Asche machen

Auf der Webseite der australischen PR-Firma Purple Communications findet sich dazu ein interessantes Schriftstük. Der Letter of Intent (also eine Art Vorvertrag) zur Extraktion von Uran aus der Kohleasche von Ajka sowie vier weiteren Standorten in Ungarn. Als Partner wird hier explizit die Bakonyi Erőmű Zrt genannt, das Kohlekraftwerk, aus dem die MAL in Ajka die Flugasche zum Bau der Becken bezog. WildHorse Energy freut sich darin über die tollen Möglichkeiten, "keine Exploration oder Entwicklungstätigkeit ist nötig, denn die Ressourcen in Ajka ermöglichen eine billige und zügige Produktion". Man beruft sich dabei auf Messungen aus der Mitte der Neunziger Jahre, die einen Anteil von 94 bis 152 ppm (parts per million) Uran in der Flugasche und noch 33 bis 137 ppm in der Schlacke erbracht haben.

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Als Partner wählte man sich eine US-Firma, Lyntek, die "bei 30 Uranprojekten in zehn Ländern" aktiv war und als technologischer "Marktführer bei der Uranextraktion" bezeichnet wird. Man wolle versuchen, das Uran möglichst innerhalb der EU zu verkaufen und dies mit dem Anbieten von "Unterstützung beim Abbau der Müllhalden" in Ajka promoten, heißt es in dem Dokument weiter. Es ist also davon auszugehen, dass man die Urankonzentration als lohnend ansah. Es stellt sich sogar die Frage, ob die Katastrophe zu vermeiden gewesen wäre, wenn die australo-amerikanische Unternehmung sich der Sache tatsächlich angenommen hätte.
http://purplecom.com.au/_content/documents/600.pdf

100fach erhöhte Strahlungswerte auf "öffentlich zugänglich Plätzen"

Das radioaktive Uran, das die Australier so dringend haben wollten, ist nun zum Teil in der Landschaft verstreut, wie giftig ist es? Sagen wir so. Es ist so ungefährlich, dass es die U.S. National Library of Medicine für wert erachtete einen Artikel des Nationalen Gesundheitsinstitutes zu veröffentlichen, auf einer Regierungsseite: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12822580 Der Beitrag bezieht sich auf eine Studie am Nuklearforschungsinstitut der Universität Debrecen, dem führenden seiner Art in Ungarn und stammt von den Herren Papp Z. und Dezsö Z. Diese sprechen von "ungewöhnlich hoher" Urankonzentration in der Braunkohle, die in Ajka, übrigens schon seit 1943, verwandt wird. Der Anteil der an in die Athmospähre entlassenen und im Boden nachweisbaren Isotopen des Typs Uran 238 (bzw. des Radonausfalls) liegt im Bemessungszeitraum 66-80 mal höher als der Wert der von der UNSCEAR 1988 als "charakteristisch" für Kohlekraftwerke alten Typs bezeichnet wurde. (UNSCEAR = Wissenschaftliche Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen der atomaren Strahlung).

Neben Ajka wollte WildHorse Energy noch an vier weiteren Orten in Ungarn, in der Baranya Asche zu Gold machen. Wie es hier mit den Strahlungswerten aussieht, ist - offiziell - noch unbekannt.

Dazu hatte man 81 Bodenproben genommen und auf Gammastrahlung untersucht, fast alle waren positiv. Selbst noch in weiterer Entfernung an "öffentlich zugänglichen Plätzen", fand man in Bodentiefen von 0-5 cm eine fünffach höhere Belastung. In der Luft fand man eine bis zu 100fach über dem natürlichen Strahlungswert liegende Dosis, auch in Gärten, Höfen und anderen öffentlichen Plätzen. Die Forscher äußern sich nicht zu möglichen gesundheitlichen Folgeschäden, weder bei der Bevölkerung, noch den Kohlekumpeln. Wie auch, sie sind Atomphyisiker, dazu hätte es einer interdisziplinären Studie bedurft. Sie empfehlen Ajka aber den Kollegen als "lohnenswerten Platz", um "die Strahlungskonsequenzen der Nutzung von Kohle zur Energieerzeugung experimentell zu studieren". Live und in Farbe sozusagen. Dabei hat man nur Ajka untersucht, wie oben gezeigt, interessierten sich die Australier noch für vier weitere Standorte in Ungarn, wohl nicht ohne Grund und kommerzielle Hoffnungen.

Ungarn schuf neue Gesetze - streng nach europäischen Normen...

Der traurige Witz an der Sache: die neue ungarische Regierung, die alles besser machen will, hat die Betriebsgenehmigung für Ajka erstmal um 18 Monate verlängert. Das Unternehmen ist per Eilgesetz unter Staatsaufsicht gestellt worden, nun will man das Geld für die Kosten der Katastrophe erwirtschaften, koste es was es wolle. Zusätzlich wurde ein Gesetz verabschiedet, über den Umgang der Industrie mit "gefährlichen" Stoffen und Abfällen. Hier soll alles streng nach EU-Regeln laufen, heißt es. Die orientieren sich aber auch an den "Standards" in Ajka. Im übrigen betrieben die MAL-Leute noch eine weitere Aluhütte, in Almasfüzitö, von der sind immer noch die Rotschlammrückstände vorhanden und gelten keineswegs als “entschärft”. Hiervon ist vor allem das zugeschüttete Tal von Neszmély (Foto), ein Gebiet sehr nahe der Donau betroffen, kommt es dort zu einem Bruch, gibt es keine Nebenflüsse mehr, die man opfern könnte, die Donau wäre biologisch tot.

Mantel des Schweigens über Altlasten - Radonbelastung in Innenräumen

Über die erhöhte Uran-Strahlung der Reststoffe vom Kohlekraftwerk spricht man lieber erst gar nicht, obwohl sich sogar die Gesundheitsbehörde im fernen Amerika dafür interessiert. Zwar hat Betreiber MVM, der Staatskonzern vor Jahren eine neuere Gasturbine in Betrieb genommen, auch über die Beifeuerung von Biomasse wurde getüftelt, aber nördlich der Giftschlammbecken lagern, zum Teil schon von der Natur überwuchert, seit Jahren und Jahrzehnten insgesamt ca. 11 Mio. Kubikmeter jener strahlenden Flugasche, über die ökologische Stabilität der riesigen Halden und Hügel darf man sich Sorgen machen. Hier geht es vor allem um die Stabilität der Dämme der Flugaschedponien und um die Verhinderung weiträumiger und langwieriger Verwehungen, die schleichend das Gift über die Lande weht.

 

Zudem wurde in Vorwendezeiten, aber wohl auch noch danach, das gefährliche Material in der Baustoffwirtschaft verwendet, u.a. für Innenraumverkleidungen. Radon-Strahlung in Schulen und öffentlichen Gebäuden wäre keine Kleinigkeit. Eine Studie dazu gibt es von der Universität Veszprém, aus den Neunziger Jahren... http://www.irpa.net/irpa10/cdrom/01073.pdf. Laut einer aktuellen WHO-Empfehlung sollte die Innenraumkonzentration von Radon nicht höher als 150 Bq/m3 sein. In Ajka wurden Werte zwischen 547 bis 1310 Bq/m3 gemessen. Diesen Belastungen konsequent nachzuspüren, würde vermutlich einen Sanierungsbedarf ähnlich der Asbestbereinigung in westlichen Ländern nach sich ziehen, nur hat man hier nicht das Geld dafür, daher breitet man über all diese Altlasten lieber den Mantel des Schweigens.

red.

Schmutzige Geheimnisse II: Das ungarische Atomkraftwerk Paks und AGNES

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