(c) Pester Lloyd / 21 - 2011 WIRTSCHAFT 26.05.2011
Leben retten für einen Hungerlohn
Ärzte in Ungarn stellen der Regierung ein Ultimatum
Ungarn verlangt von seinen Jungärzten für 1,18 EUR in der Stunde nicht nur die Heilung von Kranken und die Rettung von Leben, sondern auch noch Patriotismus.
Den Medizinern platzt daher allmählich der Kragen. Jeden Tag verlassen drei Kollegen das Land gen Westen. Die Standesvertreter fordern nun ultimativ ein
menschenwürdiges Gehalt, sonst gehen sie massenweise. Die Regierung beschwichtigt, taktiert und beleidigt.
Ärztedemo 2009, noch unter der sozial-liberalen Vorgängerregierung,
die sich kaum um deren Belange kümmerte.
"Drei Ärzte geben den Existenzkampf in Ungarn jeden Tag auf und verlassen das Land.
Ohne eine Intervention muss das System irgendwann kollabieren." sagte Magor Papp, Chef der Vereinigung der Jungärzte in Ungarn (MRSZ). Auf einer Pressekonferenz stellte die
Organisation der Regierung ein Ultimatum. Wenn diese es nicht schaffe bis zum Jahresende eine "sprübare Verbesserung" der Entlohnung von Ärzten am Berufsstart zu
organisieren, werden sie in Massen kündigen und das Land verlassen.
Das Dreifache des Durchschnittslohnes als Einstiegsgehalt für einen Jungarzt sollte es
wenigstens sein (also umgerechnet ca. 1.200 EUR brutto), was die Regierung aufbringen müsste, weiterhin sind Überstunden zu bezahlen. Bis es soweit ist, werden viele Ärzte
ihre Kündigungen bereits deponieren. Die Aktion wiederholt, was Anfang des Jahres in Tschechien geschah und zu einem Exodus von fast 4.000 Medizinern führte, auch in
Ungarn gab es zu Jahresbeginn massenhafte Kündigungen von Klinikärzten, die die Regierung zu einer Lohnanhebung zwangen.
Ärzte bilden die Umrisse des Landes und ein Herz, Budapest 2009
Auf der Pressekonferenz erschien ein für das Gesundheitswesen zuständiger
Staatssekretär und forderte die Ärzte zu Geduld auf. Die Regierung würde an einer Lösung arbeiten. Wenn die Ärzte aber das Land verlassen, würden sie ihre hier bleibenden
Kollegen genauso im Stich lassen wie die Patienten, was nicht nur unprofessionell, sondern auch unehrenhaft und unpatriotisch wäre.
Gewerkschaftschef Papp rechnete dem politischen Beamten vor, was unehrenhaft und
unpatriotisch ist: Heute arbeiten Ärzte (in ihrer verpflichtenden Praxiszeit nach dem Studium) 60 bis 70 Stunden in der Woche für 80.000 bis 90.000 Forint im Monat (ca. 330
EUR im Monat oder 1,18 EUR Stundenlohn), sogar Straßenreiniger, Küchenhilfen oder Hilfsarbeiter am Bau würden mitunter mehr bekommen; als dis Stadt Budapest neulich
neues Reinigungspersonal im Zuge eines staatlichen Beschäftigungsprogrammes eingestellt habe, lagen deren Gehälter allesamt über dem Durchschnittseinkommen der Jungärzte.
Man verlange ja nichts Unverschämtes, so Papp, schon mit einem Fünftel dessen, was
man im Westen verdienen könnte, würden die meisten zum Bleiben bewogen werden können. Bereits vor einem Monat habe man Premier Orbán in diesem Fall geschrieben,
bisher aber lediglich einen nichtssagenden Empfangsbescheid eines Abteilungsleiters erhalten, der zeige, dass "wir der Regierung nicht wichtig sind." Der Staatssekretär
meinte zwar, dass es nicht stimme, dass der Premier sich nicht für die Probleme der Jungärzte interessiere, schwieg dann aber lieber.
Das Problem ist bei Leibe kein Neues, vorherige Regierungen haben die Branche sich
selbst überlassen. Die jetzige Regierung arbeitet derzeit an einer umfassenden Reformierung des strukturell problematischen Gesundheitswesens in Ungarn. Bisher
wurden jedoch nur massive Einsparungen bei den Medikamentenzuschüssen bekannt, was vor allem die Kosten für die Patienten erhöhen wird, auch beim Krankengeld soll gespart
werden, über die Schließung oder staatliche Unterstellung von Krankenhäusern wird ebenfalls spekuliert.
Wie immer eine Gesundheitsreform am Ende aussieht,
um eine deutliche Erhöhung der Gehälter für das medizinische, aber auch das pflegende Personal kommt man nicht umhin. Bisher fiel der Regierung jedoch dazu nur ein, den
medizinischen Abschluss gesetzlich an einen mindetstens dreijährigen Verbleib im Lande zu binden, was sicher ungemein motivierend auf angehende Medizinstudenten wirkt.
red
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