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(c) Pester Lloyd / 21 - 2011  KULTUR 23.05.2011

 

Giftbecher und Moralapostel

Die "Oralsexaffäre" am Ungarischen Nationaltheater

Eine unverschämte Antwort des Direktors des Ungarischen Nationaltheaters, Róbert Alföldi, auf die unverschämte Frage einer "Reporterin" eines “nationalen” TV-Kanals dürfte das Schicksal des mutmaßlich letzten enfant terrible der öffentlich finanzierten ungarischen Kulturszene amtlich besiegeln. Nationalisten haben nämlich weder Oralsex noch Humor.

Róbert Alföldi, Noch-Direktor des Ungarischen Nationaltheaters

Der Internet-TV-Sender "Nemzeti 1" ist ein Medium der rechtsextremen Partei Jobbik. Chefredakteur László Zajácz ist dort als Chefredakteur tätig, er gehört ebenfalls der von einem Jobbik-Juristen gegründeten "Nationalen Rechtsstiftung" an, die u.a. auch den Kriegsverbrecher Képíró vertritt. Eine seiner Reporterinnen hat nun endlich den "Aufhänger" geliefert, mit dem man den unliebsamen, weil nicht national genug gesinnten, zumal bestimmt homosexuellen Theatermann aus den heiligen Hallen zu entfernen. "Nationalressourcen"-Minister Miklós Réthelyi, dem auch die Kultur untersteht, ließ sich jedenfalls darauf ein, eine entsprechende Jobbik-Anfrage vom Abgeordneten Sándor Pörzse zur Einleitung einer "Untersuchung" zu nutzen, die prüfen soll, ob Alföldi für den Job noch tragbar ist. Réthelyi sagte, dass, wenn die Berichte stimmen, dann habe Alföldi eine "rote Linie" übertreten und sei nicht mehr als Leiter "einer prominenten nationalen Institution haltbar."

Das ungarische Nationaltheater in Budapest

Die "Nemzeti 1" - "Journalistin" stellte Direktor Alföldi auf einer Pressekonferenz im Vorfeld einer Neuinszenierung von Imre Madáchs Epos "Die menschliche Tragödie" (ein Faust-Verschnitt) sozusagen eine Venusfalle, in dem sie ihn aufforderte, aufgrund der "provokanten Inszenierung" zurückzutreten. Sie musste schreckliches mit ansehen, (angedeuteten) Gruppensex! - eine Szene, die sogar (angedeuteten) Oralsex zeige, woraufhin sie den Theaterdirektor fragte, ob er wolle, dass "12jährige Schüler so etwas sehen?" Alföldi soll daraufhin ziemlich cool gesagt haben, "Ja, klar, ich wünsche auch Ihnen solchen Oralsex, wenn es geht, das ganze Leben lang."

Noch bevor Jobbik das Wort "sofortige Entlassung" herauspressen konnten, stießen es schon die KDNP-Christemokraten hervor, höchste und offizielle Moralapostel des Landes. Jobbik-Abgeordneter Pörzse konnte dann nur noch hinterherschieben, dass er dem Direktor am liebsten an Ort und Stelle den Mund gewaschen und den Dreck die Toilette hinuntergespült hätte. Seine Empörung kannte keine Grenzen. Pörzse, selbst Laiendarsteller und gern im Kostüm für die “Rettung des Magyarentums” und ähnliche Blockbuster unterwegs, sagte, dass man nicht einmal in einer Kneipe eine solche Entgleisung gegenüber einer Dame zulassen kann. Er sagte dann noch etwas, in dem ein afrikanisches Land vorkam und wie geradezu persönlich beleidigt er sei. (an dieser Stelle wäre Platz für vertiefende Fragen...) - Hier sei nur am Rande erwähnt, dass es auch unter Jobbik-Größen Pornographieskandale gab und sogar die Vorsitzende des Medienrates, Annamária “Allmächtige” Szalai, eine Karriere als Herausgeberin eines Soft-Sex-Magazins vorweisen kann.

Pörzse bei einem Open-Air-Festival, einem oft wiederholten Passionsspiel, das sich wachsender Beliebtheit erfreut und die Anwohner in realistischer Weise mit einbezieht.

Die Geschichte hinter der Geschichte ist schnell erzählt: Alföldi ist seit einiger Zeit das Lieblingsfeindbild der Ultranationalisten von Fidesz bis Jobbik und darüber hinaus, die bekanntlich weder Oralsex noch Humor haben. Er ist ein links-alternativer Künstler, schwul, aufsässig und mit der internationalen Theaterszene verbandelt. Was im Westen quasi zwingende Einstellungskriterien wären, vereint im "neuen", sauberen Ungarn ausreichend Feindbilder für fünf fristlose Entlassungen. Hinzu kommt, dass er vor Monaten dem rumänischen Kulturinstitut auf dessen Anfrage den Saal des Nationaltheaters für eine Veranstaltung zum rumänischen Nationalfeiertag zur Verfügung stellen wollte, was einen großnationalen Affront, sozusagen eine Todsünde darstellte ("Wissen Sie denn nicht, was in Siebenbürgen geschehen ist?"). Jene Geschichte ist übrigens fast so komisch wie diese: Nationaltheater Ungarn vs. Rumänien: eine Tragikkomödie in vier Akten.

Eine Ausstellung mit ironisch kommentierten christlichen Symbolen, die unter normalen Umständen kein Mensch beachtet hätte, brachte dann das nationale Fass zum Überlaufen: Demos, Proteste, Morddrohungen und die Beistellung eines Ministerialaufsehers waren die Folge, es fehlte den kulturell schnell überforderten Nationalisten nur noch ein Anlass, um den Volksfeind endgültig aus dem Theaterschrein zu jagen. Offenbar fand man bisher keine "finanziellen Unregelmäßigkeiten", die sonst als Lieblingsgrund herangezogen werden und u.a. schon die Opernleitung entfernten und die Filmförderung sowie das liberale Philosophentum entsorgten.
 

 

Die Antwort Alföldis auf der Pressekonferenz gab jedenfalls klar zu verstehen, dass er wusste, wer ihm warum diese Frage stellte. Er hätte auch antworten können, dass die inkriminierten Szenen die furchtbare heutige Dekadenz darstellen, aus welcher der Held der Madachschen Geschichte letztlich ins erlösende Christentum flüchtet, was ja auch ein Ziel der Partei ihres TV-Senders ist und man die Idee und die Umsetzung vielleicht beschissen finden kann, das hier aber ein Theater und kein Tigerentenclub ist, auch wenn das den Kulturbegriff der Macher und Zuschauer von "Nemzeti 1" überdehnt und überhaupt, wie kann sich irgendein dahergelaufenr Nazisender erdreisten, die künstlerische Freiheit in Frage zu stellen, wo sie doch weder etwas von Kunst noch von Freiheit wissen wollen.

Doch warum sollte Alföldi seine Zeit mit jemandem verschwenden, der ohnehin keine Erklärung wünscht? Zumal seine freundliche Empfehlung für viele entspannende Momente im Leben doch all das oben Gesagte in einer genial kodifizierten und komprimierten Art enthielt. Alföldi war angelangt, wo Dr. Faust angelangt war, am Ende der Erkenntnis. Nun käme der Pakt mit dem Teufel, dazu ist er nicht bereit. Ein Theatermann kann eben nicht aus seiner Haut, er muss den Kelch immer bis zur Neige trinken. Und Alföldi soff in vollen Zügen. Der Minister will Donnerstag die Entscheidung Orbáns - denn nur er wird diese treffen - verkünden. Sie wird vielleicht nicht er-, bestimmt aber ablösend sein.

m.s.

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