(c) Pester Lloyd / 21 - 2011 RUMÄNIEN 23.05.2011
Sensibles Siebenbürgen
Ruhe vor neuen Stürmen zwischen Ungarn und Rumänien
Der rumänische Außenminister, Teodor Baconschi besuchte am Freitag Budapest. Offiziell ging es um Abstimmungen zu europäischen Themen und
nachbarschaftlichen Kooperationen. Im Hintergrund jedoch hat Premier Orbán, der sich zum Vertreter "aller Ungarn im Karpatenbecken" ernannte, einen regelrechten
Machtkampf um die Vorherrschaft und Leitkultur bei den Rumänienungarn losgetreten, der noch für jede Menge Ärger sorgen und die Nachbarn früher oder
später zu einer Reaktion herausfordern wird.
Außenminister Baconschi traf sich u.a. mit seinem Amtskollegen János Martonyi,
Vizepremier Zsolt Semjén sowie Staatspräsident Pál Schmitt. Auf der offiziellen Agenda standen Gespräche zum Schengenbeitritt des Landes sowie seines Nachbarn Bulgarien,
sowie weitere wichtige Punkte der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft, darunter die "gemeinsame EU-Romastrategie", der Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien
sowie die Donaustrategie.
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Beide Außenminister betonten zudem die Wichtigkeit des Schutzes der Rechte ethnischer
Minderheiten, in beiden Ländern, wie die rumänische Seite hervorhob, die dabei speziell den Zugang zu muttersprachlichem Schulunterricht erwähnte, der in Ungarn immer
weniger gewährleistet ist, während in Rumänien sogar ungarische Universitäten vom Staat mitfinanziert werden. Weiterhin sprach man über den Ausbau der
Energieverbindungen beider Länder, speziell des Nord-Süd-Gas-Interconnectors zwischen der Ostsee und der Adria bzw. dem Schwarzen Meer, den Ungarn seit der Gaskrise vor
zweieinhalb Jahren besonders forciert.
Offiziell scheint alles in Ordnung, doch im Hintergrund brodelt es
Zwar betonten die beiden Außenminister die "exzellente Entwicklung der bilateralen
Beziehungen", doch gibt es mit Rumänien immer wieder Spannungsfelder. Diese betreffen vor allem die Position der ca. 1,5 Mio. ethnischen Ungarn in Rumänien, die hauptsächlich
von der sog. Ungarnpartei (Romániai Magyar Demokrata Szövetség (RMDSz) vertreten werden. Die RMDSZ ist in der Regierung vertreten, ihr neuer Vorsitzender Hunor
Kelemen, der Béla Markó nach langer Amtszeit nachfolgte, stellt den Kulturminister und ist derzeit wichtiger Machtgarant für Premier Emil Boc, der nur über eine hauchdünne
Mehrheit im Parlament verfügt und über die auch nur Dank der Unterstützung unabhängiger Abgeordneter. Kürzlich gab es Gerüchte von Abwerbeversuchen seitens der
oppositionellen Koalition von Liberalen und Sozialdemokraten, Kelemen wies jedoch jeden Gedanken an Abtrünnigkeit von der Regierung Boc zurück.
Boc umwirbt die Ungarnpartei massiv, diese kann aufgrund ihrer Position eine Reihe von
Zugeständnissen bei der kulturellen und kommunalen Autonomie herausholen und fuhr generell mit ihrer relativ moderaten Linie gut. Es hat ohnehin lange gedauert, bis sich die
Rumänienungarn die heute erreichte Position erarbeitet haben. Wenn die Ära Boc zu Ende geht und das dürfte spätestens 2013 der Fall sein, wird Siebenbürgen und das
Gebahren "der Ungarn" dort Wahlkampfthema, mit allen denkbaren Nebenwirkungen. Denn auch in Rumänien nehmen Parteien, die sonst nicht viel zu bieten haben, jede
Einladung zu Stellvertreterkriegen dankbar an.
“Siebenbürgen, wieder ungarische Erde” - ein Plakat aus den Vierzigern oder von heute, man weiß es nicht genau...
"Minderheitenpolitik" nahe am Revanchismus
Seit einigen Monaten wird die günstige Position der
Rumänienungarn nämlich gezielt hintertrieben, versucht doch die nationalkonservative ungarische Regierungspartei Fidesz die RMDSZ zu schwächen wo
sie nur kann, weil sie nicht den gewünschten strikt nationalistischen Kurs Orbáns gegenüber den Nachbarn anschlägt. Gelder (keine geringen Summen)
für das ungarische Kulturleben in Siebenbürgen und im Szeklerland werden nun nicht mehr über die RMDSZ, sondern eine andere Struktur vergeben, hinter der
der altbekannte Hardliner, Pfarrer und ehemalige Revolutionsheld, László Tökes, mit seiner neuen "Siebenbürger Ungarischen Volkspartei" (Érdelyi
Magyar Néppart) steckt. Mehrmals zuvor waren Versuche des Fidesz der Gleichschaltung der ohnehin eigentlich recht konservativen Ungarnpartei oder auch der Entwicklung bzw. Abspaltung
neuer Bewegungen gescheitert.
Szekler verkünden die “territoriale Autonomie” von Rumänien, März 2009
Vor allem der Chef der fundamental-christlich-nationalen Fidesz-Anhängselpartei KDNP, Vizepremier Zsolt
Semjén exponierte sich bei verschiedenen Anlässen dahingehend, dass es für die Ungarn in "Érdely" nur eine Richtung geben kann und das ist die stramm
(ungarisch) nationale, die bei ihm jedoch gar nicht mehr weit vom Revanchismus der Partei Jobbik entfernt liegt, die am liebsten gleich die Grenzen
überrennen will. - Der nationalistische Teil der Rumänienungarn sorgt - mit eifrigster Hilfe aus Budapest - für jede Menge provokanten Zündstoff. Da
werden ungarische Heilige aufgestellt und eigenartige "Helden" aus der Horthy-Zeit reaktiviert, regelmäßig rufen besonders hysterische Eiferer die "Autonomie"
Siebenbürgens aus. Ungarische Schüler werden zu Schulungslagern in das "mythische Kernland der
Stephanskrone" gekarrt, um sie historisch-ideologisch einzunorden. Dabei geht es sichtbar nicht um Traditionspflege. Auch die “Magyar Gárda” formierte Ableger in Rumänien.
Nun wundert man sich in Budapest empört darüber, dass "ungarische Denkmäler von
rumänischen Nationalisten geschändet" werden und stellt die Regierung zur Rede. Die Streitereien sind nicht neu, schon Vorgängerpräsident Sólyom provozierte den Nachbarn
durch Besuche zur Unzeit ungarischer Nationalfeiertage als Staatsoberhaupt "aller Ungarn". Zwar untersagten die Rumänen ihm nicht - wie die Slowakei - die Einreise,
verhängten aber Landeverbot für seine Maschine und verweigerten Eskorten, so dass der Präsidentenkonvoi stundenlange Odysseen durch Transsylvanien absolvierte. Dabei hat
Rumänien sogar den Doppel- bzw. Trianonpass geschluckt, auch, weil man in Moldawien selbst vereinnahmende Ambitionen hegt. Dass es anders reagieren muss, wenn Ungarn
tatsächlich das Wahlrecht in Ungarn auf 1,5 Mio. rumänische Staatsbürger ausweitet, liegt auf der Hand.
Einmarsch ungarischer Truppen 1940 in Siebenbürgen, nach dem “Schiedsspruch von Wien”, einem
Ergebnis des Paktes zwischen Horthy und Hitler.
In der Slowakei hatte sich Fidesz verrechnet
In der Slowakei passierte eine ähnliche Geschichte, dort konnte sich die moderate
Abspaltung Most-Híd, die ausdrücklich auch Slowaken zur Mitarbeit einlädt, gegen die durch das Kernland magyarisch-nationalistisch hochgepeitschte SMK bei den letzten
Wahlen durchsetzen, die SMK flog aus dem Parlament, Most-Hid sitz in der Regierung. Der SMK-Ex-Chef, Ultranationalist Pál Csáky, beschimpft seitdem unflätig die
Abtrünnigen, Orbán schneidet Most-Híd wo er nur kann und lehnte bei einem Besuch sogar ein Gespräch ab. Der neue SMK-Chef Bérényi war einer der ersten, der mit großer
medialer Begleitung den neuen ungarischen Pass beantragte. Most-Híd indes will ein möglichst gutes Verhältnis zwischen magyarischen und slawischen Nachbarn entwickeln,
aus der Einsicht heraus, dass es gar keine andere Möglichkeit gibt als Toleranz und Koexistenz.
Trotz der dümmlichen Hasstiraden eines Jan Slota ließen sich die Slowakoungarn nicht
radikalisieren, sondern wählten schlau. Most-Hid nahm mit seiner Programmatik die ethnische Karte weitgehend vom Tisch, was im offiziellen Budapest heute gegen die
Staatsdoktrin verstößt und offiziell mit der Angst vor Assimilsation begründet wird. Diese findet zweifellos statt, ist aber am wenigsten durch nationale Aufpeitscherei einzudämmen.
Die Auslandsungarn haben sich für die europäische Realität entschieden - Budapest noch nicht
Orbán setzt im Ausland die gleiche fehlleitende Taktik ein wie zu Hause, in dem er den
Alleinvertretungsanspruch seiner Ideologie formuliert und absolute Unterordnung fordert. Dabei nimmt er hier wie dort Radikalisierungen bewußt in Kauf, das Ergebnis davon
marschiert derzeit munter durch ungarische Orte. Orbán hatte nicht nur einmal die "Vertretung aller Ungarn im Karpatenbecken" als seinen politischen Auftrag formuliert und
nur Blinde oder absichtliche Verhamloser können diese Politik noch immer nicht als "völkisch" erkennen. Sie ist durch die "Heilige Krone" kodifiziert und somit wurden die
"Kronländer" Teil der neuen Verfassung. In deren Präambel geht es nicht, wie von mancher Seite behauptet, einfach nur "um Werte" (Christentum an sich ist nämlich noch
kein solcher, Nächstenliebe etc. wiederum sind längst keine christlichen Domänen) und die "berechtigte Suche nach Identität", (über seine Identität ist sich ein Ungar schon im
klaren oder sie interessiert ihn nicht sonderlich, was auch sein Recht ist), es geht auch um Machtansprüche und um die Definition einer "historischen" Leitkultur als Blendwerk
und bindender Kitt für die Sicherung der Hausmacht.
Anders als in Ungarn allerdings leben die Ungarn in Rumänien und der Slowakei unter
anderen Regierungen und mit nichtungarischen Nachbarn in einer europäischen Realität, die sie aus ganz praktischen Gründen ungern mit Orbáns feuchten Träumen vertauschen
werden. Es wird die Oberideologen in Budapest eines Tages ziemlich wundern, dass es ausgerechnet die Ungarn in den Nachbarländern waren, die als erste den geforderten
"Patriotismus" verweigerten, weil sie dessen Kalkuliertheit und Fehlleitung erkannten.
Das rigide Vorgehen Orbáns ist politisch unklug und sogar seinen eigenen Interessen abträglich. Denn die
Destabilisierung der jeweils an der Regierung beteiligten Ungarnpartei würde letztlich nur der Minderheit schaden, die Stärkung nationalistischer, zum Teil revanchistischer
Elemente, eine ebenso nationalistische Antwort aus der Mehrheit herausfordern und damit wieder zu dem Kalten Kriegszustand führen, den wir vor gerade zwei Jahren
hatten. Die Frage, ob Orbán das Schicksal der ungarischen Minderheiten wichtiger ist als seine eigene Macht hat er längst auf unvernünftige Weise beantwortet, in dem er
versucht das ohnehin sensible Gleichgewicht der Interessen in Siebenbürgen endgültig zu zerstören.
red. / ms.
Zum Thema:
Gratwanderung in Markós Fußstapfen - Feb 2011
Kulturminister wird Chef der Ungarnpartei in Rumänien http://www.pesterlloyd.net/2011_09/09ROUMDR/09roumdr.html
Nationaler Traumatag - Mai 2010
Fidesz macht den Kampf gegen "Trianon" in Ungarn zur Staatsdoktrin - MIT KOMMENTAR http://www.pesterlloyd.net/2010_20/20trianon/20trianon.html
Nationaltheater - Nov. 2010 Ungarn vs. Rumänien: eine Tragikkomödie in vier Akten
http://www.pesterlloyd.net/2010_47/47nationaltheater/47nationaltheater.html
Gefährliche Leidenschaften - Sep 2009
Szekler erklären die territoriale Autonomie von Rumänien http://www.pesterlloyd.net/2009_37/0937szekler/0937szekler.html
Der unerwünschte Staatspräsident - März 2009
Ungarn hat mal wieder Zoff mit einem Nachbarn: diesmal Rumänien http://www.pesterlloyd.net/2009_12/0912romania/0912romania.html
Heimspiel - Juli 2008 Ungarns Oppositionschef politisiert in Rumänien http://www.pesterlloyd.net/2008_31/0831orbanrumaenien/0831orbanrumaenien.html
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