(c) Pester Lloyd / 21 - 2011 WIRTSCHAFT 31.05.2011
Friede den Hütten...
Ungarn will mit dem "Hausrettungsplan" eine soziale Zeitbombe entschärfen
Premier Viktor Orbán verkündete Ende letzter Woche das mehrfach verschobene neue Hilfspaket für in Not geratene Hypothekenkreditnehmer in Ungarn, den
"Hausrettungsplan". Damit wird eine langwierige und teure Aufräumarbeit für eine Phase übermütiger Verschwendung geleistet, die sich sonst zum sozialen Bumerang
entwickeln würde. Die Banken werden dafür langfristig mit einer Strafsteuer belegt.
Rund 750.000 Haushaltskredite, die meisten davon auf Fremdwährungen lautend, sind in
Ungarn notleidend, 90.000 Schuldner von Hypothekendarlehen gelten als extrem gefährdet und würden ohne Interventionen einer Zwangsräumung und -versteigerung
entgegensehen. Dies ist, gemessen an einer erwachsenen Bevölkerung von rund 8 Mio. Menschen sozio-ökonomischer Sprengstoff.
Für dieses Problem schnürten schon die Vorgängerregierungen, aber auch die neue
Administration immer wieder kleinere Hilfspakete, die sich aber als nicht schlagkräftig genug erwiesen und teils nur Konfusion stifteten. Der Anteil fauler Kredite wuchs auch
nach der unmittelbaren Finanzkrise kräftig weiter, weil Arbeitsmarkt, Lohnentwicklung und Wechselkurse sich pardou nicht nach den Wünschen der Regierung richten wollten.
Ein Moratorium auf Zwangsversteigerungen wurde immer wieder verlängert, was aber kaum etwas an der Situation änderte, nur brachliegendes Kapital vermehrte.
Nun soll ein klares System für mehr Ordnung sorgen und die Kosten für den privaten
Schuldenabbau auf die Schultern der Banken, der Kreditnehmer und den Staat verteilen, allerdings nicht gleichmäßig. Orbán bezeichnete das Hilfspaket als eine der wichtigsten
"sozialpolitischen Maßnahmen" seiner Regierung. Ebenso wie bei den Staatsschulden, denen Orbán gerade zum x-ten Male öffentliche martialisch "den Krieg erklärt" hatte,
muss die Regierung hier enorm kraft- und ressourcenzehrende Aufräumarbeiten für eine Phase leisten, in der Geld offenbar keine Rolle spielte, private Kredite als Substitut für
organisches Wachstum galten und den Mächtigen dazu dienten, das Volk bei Laune zu halten. Auch das jetzige Paket ist keine revolutionäre Tat, wenn sie auch fast so
angekündigt wird, sondern ein Plan für unvermeidliche Notreparaturen, wenn man nicht den Einsturz des gesamten sozialen Gebäudes riskieren will.
Die Banken hatten die Maßnahmen des neuen 5-Punkte-Planes - naturgemäß - zuerst als
unabgesprochen, einseitig und finanziell untragbar abgelehnt. Die Regierung kam den Banken etwas entgegen, doch der Preis dafür wird ein hoher sein: die Bankensteuer wird
nicht nur verlängert, sondern "Teil des ungarischen Steuersystems". Zu Recht.
1. Wechselkurse können eingefroren werden
Die wichtigste Errungenschaft des neuen Paketes ist das Einfrieren der Wechselkurse:
Schuldner von Hypothekendarlehen auf Fremdwährungsbasis (und das sind die meisten) können freiwillig die Fixierung des Wechselkurses ihrer Verbindlichkeiten in Schweizer
Franken vornehmen lassen, auf 180 HUF/CHF, 250 HUF/EUR bzw. 200 HUF/JPY. Die Fixierung der Wechselkurse gilt bis 31. Dezember 2014. Damit entfällt zwar ersteinmal
der Spekulationsdruck von den Märkten und die Angst der Schuldner, bei jeder externen Markterschütterung (oder unbedachten Äußerung des Wirtschaftsministers), könnten sich
ihre Raten erhöhen, wie das schon mehrmals geschah. Dennoch müssen die “gesparten” Summen ab 2015 zu einem Fixzinsatz von rund 6% nachgezahlt werden. Der Kredit wird
somit gestreckt, vrläuft die reale Kursentwicklung ungünstig, kann die Verlängerung der Laufzeit mehr als ein Drittel betragen.
Gleichzeitig werden die bisherigen jahmarktähnlichen Verhältnisse von Stundungen,
Ratenkürzungen etc. vereinheitlicht. Die Kosten dafür tragen im wesentlichen die Banken über Rückstellungen und erhöhte Risikoprovisionen, die sie ohnehin schon getätigt haben.
Die Hoffnung ist, dass durch die Stabilität der Raten weniger Totalausfälle eintreten, so dass die Banken letztlich nicht viel mehr draufzahlen als heute. Ihnen gelang es jedoch,
die Regierung von einem Wechselkurs von 160 zum Franken abzubringen.
2. Zwangsversteigerungen wieder möglich - aber streng reglementiert
Weitere Maßnahmen sind die Limitierung und Regulierung von Zwangsversteigerungen.
Hier kam die Regierung der Finanzwirtschaft insoweit entgegen, dass das generelle Auktionsmoratorium nicht weiter fortgeführt wird, was viel Kaptial unnütz auf Eis legte.
Nun will man darauf achten, dass möglichst zunächst nur über dem Grundwohnbedarf wertige Immobilien zwangsversteigert werden. Bis zum Herbst sind daher nur Immobilien
ab einem Schätzwert von 30 Mio. Forint aufwärts für die Banken verwertbar, die außerdem mit mindestens 20 Mio. HUF belastet sein müssen.
Hier geht man - ganz vernünftig - nach dem Prinzip "Friede den Hütten, Krieg den
Palästen" vor, wobei die Einzelfälle doch differenzierter sein dürften, was z.B. macht man nach diesem Plan, wenn unter einem 40 Mio. Dach (140.000 EUR, auch nicht die
Welt) z.B. drei Generationen zusammleben, was es ja gibt... Weiterhin wird ein Quotensystem die Versilberungslust der Banken bremsen, in diesem Jahr fürfen nur 2%
aller überfälligen Immobilien verwertet werden, ab 2012 3%, 2013 4% und so weiter. Leicht wird das ohnehin nicht, denn der Wohnungsmarkt liegt auch ohne den Rückfluss
aus dem Hypothekenmarkt weiter am Boden, im ersten Quartal wurden nur rund 4.000 neu gebaute Einheiten übergeben, vor der Krise waren es einmal 12.000.
3. Wohnungsbau für Bedürftige, Übernahme von Schuldobjekten durch Kommunen
Der Staat, bzw. das nationale Liegenschaftsamt werden gleichzeitig
Wohnungsbauprojekte "auf der grünen Wiese" starten, für jene, die zwangsgeräumt worden sind und nicht aus eigener Kraft neuen Wohnraum finanzieren können. Damit ist
klar, dass trotz langer Moratorien eine nicht so kleine Gruppe von Schuldnern abgeschrieben werden muss und endgültig zu Sozialfällen werden. Hier vermeidet man
bisher das Nennen von konkreten Fallzahlen. Außerdem behält sich der Staat ein Vorkaufsrecht auf fällig gestellte Immobilien vor, die er dann an den Schuldner vermieten
kann, mit dem er notfalls eine neues Abzahlungssystem mit langer Laufzeit vereinbart.
Die Verantwortung für die Abwicklung dieses Teils des Hilfspaketes soll allerdings bei den
kommunalen Verwaltungen liegen, die aber ohne staatliche Hilfe kaum genug Gelder haben werden, um sich solche ungeplanten Zukäufe zu leisten. Hier besteht noch einiger
Klärungsbedarf, zumal der Fidesz-Fraktionschef Lázár schon vorausposaunt hatte, dass man staatlicherseits nicht gewillt sei mehr als 8-9 Mrd. Forint (ca. 35 Mio. EUR) pro Jahr
für das Hilfsprogramm aufzuwenden. Vergibt man aber - z.B. über die nationale Entwicklungsbank - Kredite an die Kommunen, kommt der nächste Schuldenkreislauf in
Gang, erhöht man die Abhängigkeit der Kommunen vom Zentralstaat, - falls das gewollt sein sollte.
Premier Viktor Orbán mit Bankenvereinigungschef (rechts) und Nationalwirtschaftsminister (links) und
Fahnenmeer (hinten), am Freitag bei der Verkündigung des 5-Punkte-Hausrettungsplanes
4. Fremdwährungskredite nur noch für Bestverdienende
Vom Tisch ist auch das grundsätzliche (bzw. faktische) Verbot von EUR-Krediten. Dies
war von der jetzigen Regierung vor allem deshalb eingeführt worden, um die Bürger des Landes vor erneuten Dummheiten zu bewahren. Aufgrund der EU-Gesetzgebung, ist
dieses Verbot jedoch nicht so generell umsetzbar, meinte Orbán bei der Präsentation. Die Hürden dafür legte er allerdings so hoch, dass kaum jemand in den "Genuss" dieser
riskanten Kreditform kommen wird. Fremdwährungskredite können nämlich nun nur noch an jene ausgereicht werden, die ihr Einkommen in Euro beziehen und deren Einkommen
15fach über dem Mindestlohn liegt, d.h., sie müssten deutlich über 6.000 EUR verdienen.
5. Zinszuschüsse für Umstieg auf kleinere Immobilien
Weiterhin soll in Zahlungsverzug befindlichen Schuldnern ein Anreiz geboten werden, ihr
Wohneigentum zu verkleinern, um so die monatliche Zahlungsbelastung zu verringern. Wer sich dazu entschließt, kann vom Staat einen Zinszuschuss bekommen, so dass der
effektive Zinssatz bis zu 3,5 Prozentpunkte verringert werden kann. Auch hier ist das Hauptziel, möglichst viele Kredite am laufen zu halten, Förderung kommt also vor Liquidation.
Banken sehen noch Gesprächsbedarf
Die Bankenvereinigung freute sich offiziell über das Paket, meint aber, dass dies noch
nicht das Ende der Verhandlungen mit der Regierung sei, obwohl diese mit der großen Verkündung eigentlich genau diesen Eindruck erweckte. Besonders die Aufhebung des
Moratoriums für Zwangsversteigerungen wird von den Banken freudig bejubelt, band dieses doch enorme Werte, die die Banken nun, wenn auch streng reglementiert wieder
verflüssigen können. Der Preis für das Entgegenkommen wird ein hoher sein, Finanzstaatssekretär András Kármán schoss eine nicht so erfreuliche, wenn auch
erwartbare Nachricht Richtung Banken ab: die Bankensteuer wird langfristig Teil des ungarischen Steuersystems bleiben. Eigentlich sollte die Sondersteuer in 2-3 Jahren
auslaufen, immerhin wird sie nun 2013 "wahrscheinlich" zumindest halbiert.
Bankensteuer wird von temporär auf dauerhaft gestuft
Eine Bankensteuer werde - ganz nach ungarischem Vorbild - in Zukunft Standard in ganz
Europa werden, begründete der Staatssekretär die (eigentlich nicht neue) Ankündigung. Ob die Hälfte für die Banken wenig genug sei, werde "sich herausstellen, wenn wir
herausgefunden haben, ob die ungarischen Bankenwirtschaft mit einer Steuer dieser Größenordnung konkurrenzfähig genug ist." Indirekt angedeutet wurde, dass die Höhe
der dann dauerhaften Bankensteuer auch als Verhandlungsmasse bezüglich der Bereitschaft der Banken zum Ausreichen besonders günstiger Kreditprogramme für kleine
und mittelständische Unternehmen dienen wird. Am Auslaufen der Branchensteuer für Energie, Telekom, Handel mit Ende 2012 hielt Kármán fest.
Mitleid darf sich in Grenzen halten
Das Mitleid mit den Banken sollte sich aber landesweit in Grenzen halten, immerhin waren
sie es, die den Bürgern in den wilden Jahren des vorgetäuschten Überflusses für jeden Mist eine Ratenzahlung anboten, die Leute sogar auf Kredit Urlaub machten und jeder
Durchschnittshaushalt mit umgerechnet ein paar hundert Euro Monatseinkommen ein Importauto auf Pump vor der Tür stehen hatte, sogar kleiner Haushaltsgeräte wurden auf
Raten gekauft. Jahrelang haben die Banken mit der Lüge, man könnte den westlichen Lebensstandard durch einen Kreditvertrag prächtig verdient, durch die nicht
unerheblichen Zinsen, Gebühren und Forex-Spekulationen.
Dieses Geld ist lange abgeflossen und kann steuerlich nicht mehr belangt werden. Angesichts des Schadens,
der angerichtet wurde, natürlich auch sehenden Auges seitens der Bankkunden, kommen die Kreditinstitute noch recht gut dabei weg. Dass sich die Banken die Zusatzsteuern
irgendwann, irgendwie wiederholen werden, ist ohnedies sicherer als das Amen in der Kirche.
red.
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