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(c) Pester Lloyd / 24 - 2011  POLITIK 14.06.2011

 

Von Wespen und Bienen

Ungarische “Sozialisten” vor der Spaltung

Die Ungarische Sozialistische Partei, MSZP, hält am Samstag, 18. Juni, einen mit Spannung erwarteten Parteitag ab. Bei dem Kongress in Budapest könnte sich entscheiden, ob die Partei eine Spaltung verkraften muss und Ex-Premier Ferenc Gyurcsány mit seiner Plattform eine neue Mitte-Links-Partei gründen wird. Die Granden hinter dem führungsschwachen Parteichef Mesterházy beschwören aus schierer Angst um ihre Posten eine Einheit, die es längst nicht mehr gibt.

Der Machtkampf zwischen der gewählten Parteiführung um Attila Mesterházy und Ex-Chef Ferenc Gyurcsány mit seinem unendlichen Sendungsbewußtsein und seinem Führungsanspruch, der ihm schon den Ehrentitel "Orbán der Linken" eintrug, lähmt die MSZP seit ihrer gewaltigen Wahlniederlage vor mehr als einem Jahr. Der Kampf um die Macht in der Partei verhinderte nicht nur eine personelle und programmatische Erneuerung, sondern auch die Mobilisierung der Anhängerschaft gegen aktuelle Politikprojekte der neuen Regierung, so dass die Bevölkerung die MSZP nur noch als einen orientierungslosen und zerstrittenen Haufen wahrnimmt.

Die Umfragewerte bestätigen dies, während die Regierungsparteien Fidesz-KDNP deutlich an Gunst - auf weiter hohem Niveau - verlieren, kann die MSZP von wachsender Unzufriedenheit nicht profitieren, sie wird schlicht nicht als Alternative wahrgenommen. Viele Führungsmitglieder der ehemaligen Regierungspartei, die bei 20% Zustimmung grundelt, sind entweder orientierungslos oder unfähig zu einer echten Erneuerung. Wohl auch aus der Angst, dass sie das notwendige, reinigende Gewitter selbst mit hinwegfegen könnte.

Gyurcsánys Realitätsverweigerung

Das sieht auch der Ex-Premier Gyurcsány so, zieht aber die falschen Schlüsse daraus, weil er glaubt, er wäre die richtige Person, die linke Opposition "bis hinein in die Mitte" zu einen. Das Gegenteil ist der Fall. Er ist der wichtigste Hinderungsgrund. Die Parteispitze hingegen will sich vielmehr als eindeutig linke Partei positionieren und als solche Bündnispartner für einen Machtwechsel suchen. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass 55% der Wahlbürger Gyurcsány, der von vielen für die Misere der letzten Jahre verantwortlich gemacht wird, in überhaupt keiner politischen Funktion mehr sehen wollen, 20% akzeptieren eine Mitarbeit als Abgeordneter, nur 6% wollen ihn jedoch als Parteichef, gar nur 5% wieder als Regierungschef sehen.

 

Während einige Kräfte in der Partei krampfhaft an der Einheit festhalten, aus Angst, sonst endgültig in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, haben andere Gruppen Gyurcsány direkt zum Austritt aus der Partei aufgefordert, um die andauernde Lähmung durch einen Befreiungsschlag zu beenden. Umfragen ergeben bisher nur eine Randexistenz für eine "Demokratische Partei" unter Gyurcsánys Führung. Lediglich 4% der MSZP-Wähler würden ihm demnach folgen, 6% aller Wähler hätten Sympathien für diese Partei.

Mesterházys Führungsschwäche

Der langanhaltende sozialistische Eiertanz ist auch in der Schwächlichkeit ihres heutigen Vorsitzenden begründet. Attila Mesterházy war von den Parteigranden vor der Wahl 2010 als jugendliche Übergangslösung installiert worden, fand aber nie zu eigenem Profil. Er vermied alles, was die Partei weiter in Unruhe versetzen könnte, ohne dabei zu erkennen, dass er damit eine Art Friedhofsruhe hegt. Weder konnte er sich selbst klar politisch profilieren, seine Kampfansagen gegen die Regierung waren rhetorisch schwach und aus Trotz geboren, noch brachte er bis heute eine echte Programmdebatte bei den "Sozialisten" voran.

Auch im Vorfeld des Parteitages weicht Mesterházy wieder notwendigen Konfrontationen aus. Er warnt vor "selbstzerstörerischen Argumenten", man solle die Partei wie einen "Bienenstock, nicht wie ein Wespennest" behandeln. Er rief weiter zur Einheit der MSZP auf, auch wenn diese sichtbar immer brüchiger wird. Gyurcsány hatte die Spaltung im April vorangetrieben und die Parteistrukturen schlicht ignoriert, als er auf eigene Faust ein parteiinternes Referendum ausrief, das u.a. über die Frage der Direktwahl der Parteifunktionäre entscheiden sollte. Er verfügt über eine treue, fast ergebene Anhängerschaft, vor allem bei älteren Parteianhängern und bei den Damen. Nun will er seine sechs Fragen vor dem Parteitag stellen, was zum Showdown um seinen Verbleib werden könnte. Die größte Gefahr, die von diesem Parteitag für die "Sozialisten" ausgeht, ist jedoch, dass die offensichtlichen Probleme wieder unter den Teppich gekehrt werden.

"Niemand hat die Absicht..."

Ein Beispiel für diese selbstgewissen Bremser ist das Vorstandsmitglied und Urgestein Tibor Szányi. Er hält eine Spaltung der MSZP weiter für "unmöglich." "Sie wird nicht auf diesem Parteitag oder sonst irgendwann stattfinden." Gespräche mit etlichen führenden Parteimitgliedern hätten ihn davon überzeugt, "praktisch niemand hat die Absicht... " die MSZP in Richtung einer von Gyurcsány geführten "Demokratischen Partei" zu verlassen.

Eine Partei solchen Namens steht übrigens seit Februar dieses Jahres im Parteienregister, quasi als Blankogründung. Szányi ist überzeugt, Gyurcsánys Austritt würde keine "Schockwellen" auslösen, auch vorherige Abgänge wie die von Sándor Csintalan, Katalin Szili, der damaligen Parlamentspräsidentein, Imre Pozsgay u.a. hatten dies nicht. Szányi warf Gyurcsány zudem vor, die berühmte "Lügenrede" von Oszód 2006 selbst lanciert zu haben, wogegen Gyurcsány heftig widersprach, der die Legende vom Verrat wohl aufrecht erhalten will, um an seiner eigenen Legende weiterzubauen.

 

Er verwechselt hier wiederholt die Zustimmung in traditionellen MSZP-Schichten mit der Akzeptanz beim Wahlvolk. Dass diese gegen Null geht, liegt nicht nur an der Kreierung eines blutsaugenden Monsters durch die Fidesz-Wahlpropaganda, sondern daran, dass Gyurcsány ein System repräsentiert, das tatsächlich volksfern war und versagt hat. Auch wenn die Zeit der heutigen Machthaber bald oder dereinst abgelaufen sein wird, Gyurcsány wird kaum der Nachfolger sein.

red.

Hintergründe zum Thema:

Der Orbán der Linken - 19. Mai
Gyurcsány will die Opposition in Ungarn beherrschen
http://www.pesterlloyd.net/2011_20/20gyurcsMSZP/20gyurcsmszp.html

Prozess gegen Gyurcsány - 2. Mai
Immunität des Ex-Premiers wird aufgehoben - MSZP: Politjustiz
http://www.pesterlloyd.net/2011_18/18prozessgyurcsany/18prozessgyurcsany.html

Der Pferdefuß der Demokraten - 21. Feb
Gyurcsány will schon "wieder" Ungarn retten
http://www.pesterlloyd.net/2011_08/08gyurcsanyRede/08gyurcsanyrede.html

Selbstentsorgung - Feb 2011
Was macht eigentlich die ungarische Opposition?
http://www.pesterlloyd.net/2011_05/05opposition/05opposition.html

Die Republik der Bürger - Juni 2011
Bürgerprotest und neue Opposition in Ungarn - Teil I
http://www.pesterlloyd.net/2011_23/23republik1/23republik1.html

 

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