(c) Pester Lloyd / 25 - 2011
POLITIK 26.06.2011
Nur die Mauer fehlt noch...
Wen Jabao in Budapest: Warum sich China in Ungarn wie zu Hause fühlen kann
Orbán nähert sein Land immer weiter chinesischen Verhältnissen an: ein Riesenheer staatlicher "Wanderarbeiter" unter Aufsicht des Innenministers steht bald bereit.
Sozialhilfeempfänger, auch ehemalige Frührentner werden zur Arbeit gezwungen. Wächst nun zusammen, was zusammen gehört? - Der ungarische Ministerpräsident
meint jedenfalls, dass zwischen seinem Land und dem Reich der Mitte Kooperationen von "historischen Ausmaßen" anstehen. Politische Bedenken hat
Orbán bei China nicht, im Gegenteil, "er zieht seinen Hut" vor der "fantastischen Politik."...
Foto: Amt des Ministerpräsidenten
Es waren immer nur vermeintlich schlaue Schachzüge von Klein- und Mittelmächten, sich
im kontinentalen oder globalen Poker verschiedenen großen Playern anzudienen, um die Abhängigkeiten möglichst klein, die Manövrierfähigkeit indes so groß wie möglich zu
halten. Am Ende zahlten sie meist die Zeche selbst. Ungarn kann davon nicht nur ein Lied, sondern eine ganze Oper singen, doch aus der Geschichte lernt man nicht mehr, man schreibt sie ja neu.
Nun soll also China das Gegengewicht zur EU darstellen, den Tiraden Orbáns von Brüssel als
"dem neuen Moskau", von "dem man sich nichts sagen lassen wird", folgen praktische Schritte. Ungarn wird einen Teil seiner Staatsschulden demnächst in China
gegenfinanzieren. Orbán spricht in sich fast überschlagenden Formulierungen von "historischen Dimensionen" und “neuen Verbündeten”, einer “strategischen
Partnerschaft”. Die Chinesen wollen "in Größenordnungen" ungarische Staatsanleihen kaufen und massiv in Logistik- und Industrieprojekte investieren. Orbán meint, dass auf
diese Weise "mittelfristig die Finanzierung" Ungarns gesichert sei. Dabei, das sollte man nicht vergessen, sprechen wir immer noch und immer wieder von Schulden. Außerdem
winken “tausende neue Arbeitsplätze”, freut sich Minister Tamás Fellegi, doch dazu gleich mehr...
Lieber bei Pseudokommunisten als bei Finanzhaien in der Kreide stehen?
Orbán traut dem dirigistischen Staatsfinanzkapitalismus des postkommunistischen China
offenbar mehr als den entfesselten internationalen Finanzmärkten, die sich die Politik längst Untertan gemacht haben, einschließlich der Internationenbank IWF, dem wohl
wirksamstem politischen Machtinstrument des entmenschten Neoliberalismus. Diese Wahl mag im Hinblick auf das Verhalten letzterer in der Finanz- und Griechenland-Krise einleuchten.
Doch aus reiner Freude an Ungarns Sehenswürdigkeiten oder aus Solidarität, weil die
ungarische Sprache den meisten in Europa ebenso unverständlich ist wie Chinesisch, wird Ministerpräsident Wen Jiabao die "großzügigen" Zusagen beim ersten Besuch eines
chinesischen Regierungschefs in Ungarn seit 24 Jahren nicht gegeben haben. Zinsen wollen sie sehen und Einfluss bekommen, Ungarn wird so zum Schlüssel für Europa, vielleicht zum
Einfallstor. Allein der Umstand, dass Jiabao zwei seiner fünf Tage in Europa in Ungarn verbringt (neben Deutschland und Großbritannien), wertet nicht nur Ungarn, sondern auch
Orbáns Regime ungemein auf - oder ab, je nach Sicht der Dinge.
Der chinesische Regierungschef beim Kaffeekränzchen im Gerbeaud...; Fotos: fidesz.hu
Ein Dutzend Milliarden-Projekte - vor allem die Regionaloligarchie sahnt ab
Rund ein Dutzend Wirtschaftsabkommen schlossen beide Länder vor der versammelten
Presse, immer geht es um Milliarden, ob in der Logistik oder beim Verkehr, in der Chemiebranche, sogar ein Barkredit ist dabei. Man will das Handelsvolumen binnen vier
Jahren verdoppeln, auf rund 15 Mrd. EUR 2015. Besonders freut sich die "Demján Gruppe", das Konsortium von Ungarns einflussreichstem Oligarchen, Sándor Demján (u.a.
TriGranit) freilich mit besten Drähten zum Premier. Dieser schloss einen Vorvertrag mit der HNA Group einem großen, staatlich kontrollierten Industriekonsortium. Man wird hier
einen Frachtflughafen entwickeln, dazu einen Logistihub, Tranpsortinfrastruktur, die Demjáns werden in China dafür Immobilienenprojekte bauen, inklusive Hotels und
Shoppingcenter und Kulturpaläste errichten. Von einem "zentralen chinesischen Logistikhub" für dessen Europa-Handel in Westungarn ist schon seit Jahren die Rede, den
Russen machte man gleiches Angebot im Osten des Landes, mit noch verhaltenem Echo.
Politische Bedenken hat man in Ungarn keine - warum auch?!
Seit Monaten baggerten verschiedene ungarische Regierungsdelegationen in China um die
Gunst der "Kommunisten", - alles, nur nicht die EU und lieber nicht die Russen, so die Parole. Dass in China Oppositionelle von der Straße weg verhaftet werden, Opposition
gnadenlos und dikatorisch unterdrückt wird, es keine Presse-, Meinungs-, Versammlungsfreiheit gibt, eine Millionenheer von Wanderarbeitern als Quasi-Sklaven das
Wachstum tragen, Hunderttausende durch Großprojekte wie Staudämme schlicht enteignet werden, China also nicht einmal ein Minimum an Grundrechten gewährt, von
Marginalien wie Umweltschutz etc. ganz zu schweigen, - o.k. über solche "ideologischen Fragen" hat man auch gesprochen. Orbán beantwortete die Frage danach mit einer
"fantastisch erfolgreichen Politik", die er in China sieht und dass "man den Hut vor dem
Aufschwung" dort ziehe. Ungarn brauche für seine eigene Wende "neue Verbündete", immerhin sagten "beide Länder nein zur Spekulantenwirtschaft."
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...und beim zwanglosen Stadtspaziergang über den Vörösmarty tér, heute wegen der Sicherheitskräfte
ein Platz von himmlischem Frieden...
Man muss nicht einmal böswillig sein, um zu sehen, dass sich Ungarn in einigen Bereichen
mehr China als Europa angenähert hat: angefangen von der Allmacht einer Partei (die freilich nicht vom Himmel gefallen kam), einer Staatsideologie samt exlusivem
Vertretungsanspruch, über einen restrktiven bis vernichtenden Umgang mit demokratischen Institutionen, einer zwangesbeglückenden bis dikatorischen Attitüde in
der Legislative, einer Beeinflussung der höchsten Einrichtungen der Judikative (Verfassungsgericht), bis hin zu einem restriktiv anwendbaren und so bereits auch
wirkenden Mediengesetz, inkl. der praktizierten Totalkontrolle über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Fehlt eigentlich bloß noch die Mauer, aber wer weiß...
Während des Besuchs des chinesischen Gastes wurden Demonstrationen, u.a. von Tibetern
und Menschrechtsgruppen unterbunden. Zum Teil durch Platzverweise, durch große Fahnen als Sichtsperre, durch weiträumige Polizeiabsperrungen bis hin zu vorbeugenden
Vorladungen potentiell renitenter Elemente. Die linksliberale Opposition ist entsetzt, wie kann es angehen, dass ausgerechnet das Fidesz, das sich den Antikommunismus quasi auf
das Gesicht geschrieben hat, einen solchen Kotau vor den Vertretern der KP macht? Eine LMP-Vertreterin sagte, “das Fidesz spuckt sich so selbst ins Gesicht...”
Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger?
Am eindrücklichsten aber ist hier ein aktueller Fall, der besonders chinesische Züge trägt
und einem den eigentlich angebrachten Glückwunsch für den Megadeal im Halse stecken lässt: Ungarn wird im Rahmen seines "Ungarischen Arbeitsplans" die Sozialhilfe teil- und
schrittweise abschaffen und durch öffentliche Arbeitsprogramme ersetzen. Dazu wird das Arbeitsrecht abgeändert, wer nicht arbeitet, bekommt kein Geld, egal wie sinnvoll oder
-los die angebotenen Tätigkeiten sein werden. Gleichzeitig wird die Dauer der Zahlung von Arbeitslosengeld von 270 auf 180, womöglich 90 Tage gesenkt, das steht noch nicht genau
fest, zigtausende Frührentner werden zu Sozialhilfeempfängern umdeklariert. Bis zu 400.000 Menschen sollen, ja müssen "so in Arbeit gebracht werden", der Wohlfahrtsstaat
soll wieder zu einem Leistungsstaat werden.
Vorher - nicht so zwanglos - das Abschreiten der Ehrenformation
Das geht soweit - und hier beginnt nun der eigentliche Skandal -, dass die auf diese Weise
per Dekret entstandenen Arbeitskräfte vom Staat an private Unternehmen "ausgeliehen" oder für staatliche Projekte "benutzt" werden können, z.B. zum Ausheben von Gräben und
anderen Bauhilfsarbeiten oder in der Landwirtschaft, im Katastrophenschutz oder einfach zum Wald fegen - und das in ganz Ungarn, unabhängig vom Wohnort, irgendwelchen
Berufswünschen und der sozialen Situation der Familie. Das ist kein Planspiel, sondern so bereits auf Ministerbene präsentiert worden, bis hin zur Art der Unterkunft und der
Entlohnung, die Vergesetzlichung ist eine Formsache. Der Staat will auf diese Weise bis zu 60 Mrd. Forint im Jahr einsparen und ein neues Ethos verbreiten: wer arbeiten kann, soll
arbeiten, egal was, für wieviel und mit welcher Perspektive.
Um die Massen von neuen Billiglöhnern in den Markt zu drücken, wird sogar der
Mindestlohn gekippt werden müssen, - auf diese Weise schafft sich der Staat ein Heer von flexibel einsetzbaren Prekariern und vor allem auf dem Land werden diese "Sklavenheere"
lagebedingt überwiegend aus Roma bestehen, denen so endlich die Faulheit ausgetrieben wird. Hier geht es also nicht um eine langfristige Perspektive, sondern um einen schnelle
Bereinigung des "Problems" durch die Bildung einer neuen Unterschicht. (Mehr zum “Romaproblem” in Ungarn in diesem Beitrag.
Überwacht und organisiert wird die Sache durch das Innenministerium (!). Dieses holt
dazu - ebenfalls per Gesetz - frühberentete Polizeibeamte aus dem Ruhestand, Innenminister Pintér wörtlich: "...diese Leute haben für die komplizierte Aufgabe,
300.000 Menschen in Arbeit zu bringen, genau die richtigen Fähigkeiten..." - Werden also bald von Ex-Polizisten bewachte "Zwangsarbeiter" Teil der ungarischen Landschaft sein?
Die bekannten Pläne der Regierung lassen diesen Schluss zu, dabei ist es schon kriminell, dass sie es nicht ausschließen.
Im grünen Bereich wäre noch Platz z.B. für den Iran... - Fotomontage: PL
"Zur Arbeit gibt es keine Alternative mehr", heißt es aus Fidesz-Mündern, was im
Umkehrschluss nichts anderes bedeutet, als dass der Staat bei Weigerung seinen Menschen das Existenzminium verweigern wird. Nicht wenige applaudieren diesem Ansatz. In diesem
Zusammenhang klingt die sonst freudig zu begrüßende Ankündigung von Nationalentwicklungsminister Fellegi wie eine deutliche Drohung, als er sagte: "die
Chinesen werden in Ungarn tausende neue Arbeitsplätze schaffen und Ungarn wird sie dabei unterstützen." Auf die Umsetzung darf man also gespannt sein, auch auf die
Reaktionen im In- wie Ausland, besonders die der EU.
Die chinesischen Großinvestoren würden jedenfalls auf ein bestens bestelltes, ja geradezu
heimeliges Investitionsumfeld bauen können und auch darauf, dass kein Gericht, keine Gewerkschaft die neue strategische Partnerschaft zwischen dem pannonischen Mao und
seinem großen Vorbild stört, - ganz so wie zu Hause.
red. / m.s.
Das Original des "Ungarischen Arbeitsplans" http://www.kormany.hu/hu/nemzetgazdasagi-miniszterium/foglalkoztataspolitikaert-elelos-allamtitka
rsag/hirek/a-kormany-megtargyalta-es-elfogadta-a-magyar-munka-tervet
Links zum Thema und weitere Details gibt es u.a. unter dieser Adresse: http://pusztaranger.wordpress.com/2011/06/23/sie-kommt-zwangsarbeit-fur-roma-sozialhilfeempfan ger/
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