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(c) Pester Lloyd / 25 - 2011  WIRTSCHAFT 23.06.2011

 

In die Magengrube

Exemplarisch absurd: die neue "Hamburger-Steuer" in Ungarn

Mit Sanktionen und Verboten hat man noch kein Volk gesund bekommen, diese Regierung versucht es trotzdem nochmal. Mit der Strafsteuer auf "ungesunde Lebensmittel" hat man ein Oxymoron erster Güte und ein Gesetz zur "Hebung der Volksgesundheit" von exemplarischer Absurdität geschaffen. Eine kleiner Rundgang durch den Supermarkt der beratungsresistenten Legislative.

Eine traditionelle Orgie aus Fett, Fett, Fett und Salz, - weiter strafsteuerbefreit. Lángos mit tejföl (Sauerrahm) und angeblichem Käse, ausgebacken in Öl, aber nicht zu heiß, damit es sich auch schön vollsaugt. Nach einem Rezept von Laci bácsi, dem bekanntesten Fernsehkoch des Landes und Hohepriester der Transfette.

Schnellfressketten werden durch Auflagen noch aufgewertet

Die Regierungskoalition hat am Dienstag die kürzlich angekündigte, sogenannte "Hamburgersteuer" im Parlament beschlossen. Was darin nicht besteuert wird, sind Hamburger. Die einschlägigen, zumal ausländischen Ketten kamen sonderbarerweise mit ein paar Auflagen zur Kennzeichnung und Schaffung von Spiel- und Bewegungsräumen in ihren "Restaurants" davon. Außerdem müssten Kindermenüs, die mit Spielzeug daherkommen, in Zukunft besondere low-fat und low-sugar-Werte einhalten. Das war´s auch schon. Spielplätze bei McDonalds als Muss, das hört sich eher nach einer Aufwertung als einem Abhalten an, auch wird das “Happy Meal” dann wohl bald mit der aufschrift “besonders wertvoll - von der Regierung empfohlen” daherkommen, aber gut, wie der fette Nachwuchs in Bewegung kommt, ist nicht so wichtig, Hauptsache es bewegt sich was.

Eine kranke Gesellschaft kann nicht arbeiten...

Massive Steuern gibt es dagegen ab 1. September 2011 auf eine ganze Palette von der Regierung als gesundheitsschädlich eingestufter Lebensmittel. Das Gesetz bringt in seiner Einleitung zum Ausdruck, dass es der Regierung um den "Schutz und die Erhöhung der Gesundheit des ungarischen Volkes geht", um die es deutlich schlechter bestellt ist als im europäischen Schnitt, wie man richtig feststellt. Eine kranke Gesellschaft aber, so heißt es weiter, hemmt die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Daher: je weniger die Ungarn für ungesunde Lebensmittel ausgeben, umso weniger müsste der Staat für das Gesundheitswesen ausgeben. Man erwartet sich im Jahr 20 bis 30 Milliarden zusätzliche Einnahmen, ca. 80 bis 113 Mio. EUR. Man werde auch - "einen Teil" - der neuen Einnahmen für "Projekte im Gesundheitswesen" verwenden. Zuvor war noch vom größeren Teil die Rede und direkt von der Anhebung der Gehälter der Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die in Scharen ins Ausland fliehen. Davon ist nun nichts mehr zu hören.

Wer zahlt, wieviel, wofür...

Steuerpflichtig werden die Hersteller der als "gesundheitsgefährdend" eingestuften Lebensmittel, bzw. bei Importware derjenige, der sie zuerst in Ungarn verkauft. Auf der Liste stehen Produkte mit hohen Anteilen an Zucker, Salz, Kohlehydraten sowie mehr als 20 mg Koffein pro 100 ml, interessanterweise hat man sich an "Fett" nicht herangetraut. Somit stehen vor allem Chips, aber auch gesalzene Nüsse, Energy Drinks, aber auch Kekse, Schokoriegel, Konfitüren, Eiscreme und Tütensuppen auf der Liste der Strafbesteuerung. Wichtig: die Steuer gilt nur auf verpackte Ware, ausdrücklich nicht für in Restaurants zubereitete Kalorien-, Fett- oder Salzbomben, offenbar, weil dies unmöglich zu kontrollieren wäre.

Konkret fällig werden so für ein Kilogramm Naschereien (abgepackte Süßigkeiten) ab September 200 Forint Steuer (100 Forint sind knapp 40 Cent), ab 2012 schon 250 Forint. Limonaden mit einem hohen Zuckeranteil werden mit 10 Forint je Liter, ab 2012 mit 15 Forint je Liter belegt, 300 Forint werden pro Liter energy drink fällig, 400 Forint pro Kilogramm Chips oder andere gesalzene Snacks, 100 Forint für den Liter Eiscreme und 500 Forint für das Kilo Tütensuppe oder sonstige Instant-Verbrechen.

Ungesunde LEBENS-Mittel gibt es nicht

Interessant ist die Abgebrühtheit, mit der die Regierung die Steuer als Gesundheitsförderung verkauft, ohne dabei auch nur die mindesten ernährungswissenschaftlichen Grundlagen zu beachten. Ungesunde "Lebens"-mittel gibt es nicht, bzw. umgekehrt gesagt, ist eigentlich alles ungesund, wenn die Dosierung nicht stimmt. Die Steuer ist so ein ziemlich gutes Beispiel für eine beratungsresistente Politikentscheidung, wenn man nicht unterstellen mag, dass es eh nur um die Einnahmen weniger um die Volksgesundheit ging. Aber wer würde das dieser Regierung unterstellen wollen? Natürlich setzt man - vielleicht - auf einen gewissen psychologischen Effekt. Das Wissen darum, dass etwas so schädlich sein soll, dass man es mit einer Steuer belegt, hält den einen oder anderen vielleicht doch davon ab, zuzugreifen. Doch wo greift er dann hin? Rucola statt Chips? Oder wird er statt des Energydrinks direkt gepressten Bioapfelsaft zu sich nehmen?

 

Ein paar Beispiele für den Fehlgriff: so fallen z.B. mit Unmengen von Süßstoff- also Chemiecocktails befüllte Light- oder "Zero"-Limonaden aus dem Raster, obwohl deren verheerend irritierende Wirkung auf Sättigungsgefühl und Ernährungsverhalten längst bekannt ist. Gegen Eiscreme, Süßigkeiten und Nüsse hat - in Maßen - kein Ernährungsmediziner etwas einzuwenden, letztere haben - ohne das Salz - sogar ganz guten Einfluss auf Gehirnentwicklung und -funktion. Wenn die Menge und die Mischung stimmt, ist eigentlich alles erlaubt. Wer aber süchtig ist, lässt sich vom Preis nicht abschrecken, wie wir aus Prohibition, Drogenszene, Zölibat und Nichtraucherhysterie wissen. Ist man konsequent - und ein Gesetz sollte das sein - müsste man auch die Packung Zucker oder Salz und das Stück Butter besteuern, ach was, verbieten, schließlich werden hier sämtliche nur denkbaren Grenzwerte überschritten. Wer sich seine Süßwaren also selbst bäckt, die Nüsse selbst salzt oder sich in “Restaurants” durchfrisst, geht steuerfrei aus.

Produkte, die man nichtmal als Lebensmittel
bezeichnen dürfen sollte, bleiben steuerfrei

Das besonders üble an der Sache ist jedoch, dass bestimmte Produkte, weil sie gerade knapp unter die Messlatte fallen, nun als gesund gehandelt werden können, ohne das sie es wirklich sind. Beispiel: die vielen unsäglichen abgepackten Mehlspeisen, Hörnchen mit irgendwelchen Füllungen aus den Laboren der Lebensmittelkartelle, könnten es, aufgrund ihrer teigigen Umhüllung schaffen, die sanktionierten Zuckerwerte zu unterlaufen, was sie dafür durch Fette und eine Hülle aus nichts wieder wettmachen. In nicht wenigen Familien sind sie das Standardfrühstück der Kinder.

Überhaupt: Fett ist kein Thema, auch nicht die Cocktails diverser E-Orgien, die nicht nur Kinderaugen, mitunter irgendwann die ganzen Kinder zum leuchten bringen könnten. Tiefkühlpizza und ähnliche Konstruktionen - an sich untauglich als Lebensmittel bezeichnet zu werden, bleiben steuerfrei, ebenso wie die übersalzenen Panierberge vieler heimischer Schänken und der volksgefährdende Charakter der gemeinen Fritteuse (nur ein Wort: Lángos), die weiter unbesteuert ihr Vernichtungswerk fortsetzen kann. Nicht zuletzt sei daran erinnert, dass diese Regierung die Produktion von Alkohol (privates Brennen von Pálinka) in delirischen Ausmaßen steuerfrei gestellt hat, so dass der, der den Empfehlungen der Regierung folgt, seinen Schnaps womöglich bald auf nüchternen Magen kippt, ein Schlag direkt in die Magengrube.

red.

Zum Thema:

Staat fördert kleine Pálinka-Brennereien - 21.06.11
http://www.pesterlloyd.net/2011_25/25palinkasubventionen/25palinkasubventionen.html

Kippe aus, hoch die Tassen!
Das strenge Rauchverbot in Ungarn und dessen flüssige Kehrseite
http://www.pesterlloyd.net/2011_17/17nichtraucher/17nichtraucher.html

Fusel für´s Volk
Steuerbefreiung für private Pálinkadestillation in Ungarn
http://www.pesterlloyd.net/2010_39/39palinka/39palinka.html

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