Kleinanzeigen: effektiv und günstig

Hauptmenü

 

Sie möchten den PESTER LLOYD unterstützen?

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 25 - 2011  POLITIK 22.06.2011

 

Wer Wind sät...

Angriff auf ungarische Minderheit in Rumänien

Es kommt wie es kommen musste, die gegenseitigen Provokationen und Machtspielchen der "Vertreter" von rumänischer Mehrheit und ungarischer Minderheit greifen allmählich auf den Mob über, es gibt die ersten Verletzten. Wer sehen wollte, musste die wachsenden Spannungen erkennen, die sowohl von der rumänischen wie der ungarischen Seite betrieben worden sind und das friedliche Zusammenleben der Ethnien gefährden - aus reinem Kalkül.

Am vergangenen Samstag wurde im rumänischen Alba Iulia / ung. Gyulafehérvár Zoltán Oláh, Dekan des dortigen theologischen Instituts und Angehöriger der ungarischen Minderheit, von drei offensichtlich nationalistisch motivierten Gewalttätern mit Baseballschlägern angegriffen und bewußtlos geprügelt. Der Professor wollte die Randalierer fotografieren als diese Steine auf das Gebäude warfen. Ein anderer Mann, der Oláh zu Hilfe kommen wollte, wurde ebenfalls verletzt. Die drei Angreifer schrieen dabei antiungarische Parolen.

Blick auf Alba Iulia, vorn die Reste der Festung, erbaut unter Prinz Eugen gegen die Türken, rechter Turm die röm.-kath. Kathedrale, linke Kuppel die orthodoxe Wiedervereinigungskirche. Foto unten: mittelalterliche Zitadelle vor den Toren der Stadt.

Parteien quer durch das politische Spektrum in Ungarn wie in Rumänien verurteilten die Attacke deutlich und lobten die schnelle Ermittlungsarbeit der rumänischen Polizei, die kurz nach dem Angriff alle drei Täter identifizieren und zwei von ihnen bereits verhaften konnte. Radikale Gruppen in Ungarn forderten eine "adäquate Antwort", der Außenminister zeigte sich geschockt und wies daraufhin, dass diverse von der ungarischen Minderheit frequentierte Kirchen der Region Angriffen "von Vandalen" ausgesetzt gewesen sind. Ein Vertreter der ung. Sozialisten bedauert, dass wegen solcher Vorkommnisse die "Trends zur Verbesserung" der Beziehungen zwischen beiden Ländern gefährdet würden.

Verwaltungsreform als kalkulierter Schachzug

Die Spannungen zwischen rumänischer Mehrheitsbevölkerung und der ungarischen Minderheit sind in letzter Zeit gestiegen, jedoch vor allem wegen der Tätigkeit von Politikern beider Seiten, nicht so sehr aus Gründen nachbarlicher Abneigung im alltäglichen Leben. So machten der rumänische Präsident und sein Premier erneut den Vorschlag einer Verwaltungsreform, die die rumänischen Bezirke - über jede historische Ausformung hinweg - zahlenmäßig enorm, auf gerade acht verkleinert. Dies soll - so die offizielle Intention - mafiöse Strukturen in den Regionen aufbrechen, die Verwaltung effektivieren und verbilligen, besseren Zugang zu EU-Fördermitteln ermöglichen.

Die ungarische Minderheit fürchtet indes, sie würde in den Großbezirken überall den kürzeren ziehen, denn in einigen Regionen Siebenbürgens bildet sie heute die Mehrheit, was ihre Stellung bei der Kommunalverwaltung und der Betreibung von Kultur- und Bildungseinrichtungen stärkt. In einem neuen Groß-Bezirk könnte dann ein rumänischer Präfekt vor die Nase der kommunalen ungarischen Größen gesetzt werden. Vor allem für jene rumänischen Ungarn, die ohne Not regelmäßig nach territorialer (!) Autonomie für das Széklerland rufen, ein willkommener Anlass der Empörung.

Dass die Initiative von Präsident Basescu und Premier Boc vordergründig nationalistisch motiviert ist, ist eher unwahrscheinlich, schon eher sollte die Macht regionaler Strukturen aufgebrochen und sich Vorteile bei den kommenden Wahlen verschafft werden, in dem alte Verteilungsmechanismen und Interessen vor allem unter sozialistischen Kommunalpolitikern beendet und gegeneinander ausgespielt werden, da nun viel weniger zu verteilen ist. Allerdings mussten beide Spitzenpolitiker wissen, welche Reaktionen im ungarischen Lager auf diesen Vorschlag folgen würden, was wiederum eine Reaktion der allzeitbereiten Nationalisten nach sich ziehen musste, die als Ablenkung der zähen und nicht sehr erfolgreichen Reformpolitik gerade recht kommen dürfte. Wer Wind sät...

Machtkampf um die Vertretung der Rumänienungarn

Zusätzlich nationalistisch aufgeladen wird die Atmosphäre in Rumänien durch das Bestreben der Orbán-Regierung, die gemäßigte Ungarnpartei RMDSZ, die Teil der rumänischen Regierungskoalition ist, durch eine Neugründung, die "Siebenbürger Ungarische Volkspartei" des Radikalnationalisten und reformierten Pfarrers wie Orbán-Schützlings László Tökés, zu schwächen, um - ganz wie in Ungarn - die alleinige Interessensvertretung wahrnehmen zu können. Dazu sind zahlreiche Aktionen zum Teil zweifelhafter Art gestartet worden, über die wir bereits berichteten und auch darauf hinwiesen, dass die nationalistischen Gruppen in Rumänien die Einladung zu solcherart Stellvertreterkriegen dankend annehmen werden. Wir hätten es vorgezogen, im Unrecht zu sein.

Die üppigen Finanzhilfen aus Budapest, Prozessionen von Politikern, Stiftung von Denkmälern ungarischer Nationalisten und Staatsheiliger, staatlich finanzierte Wallfahrten von Schulklassen etc., bleiben in Rumänien nicht unbemerkt und auch nicht die dahinter stehenden Projekte, wie die kürzlich von der Budapester Lottogesellschaft überwiesenen 940.000 EUR für ein ungarisches Medienzentrum als weitere Machtstütze für Tökés` Leute. Die "Vertretung der Ungarn im Karpatenbecken" ist eine der zentralen ideologischen Stützen der heutigen Machthaber in Ungarn, Kollateralschäden werden dabei für die große Sache der "Einheit der Nation" in Kauf genommen. Wind säen, ist sozusagen Teil des Parteiprogramms von Fidesz. Auch die Eröffnung einer Vertretung der Székler bei der EU, betrieben wieder durch Tökés, gemeinsam mit zwei ungarischen (!) EU-Abgeordneten, kam zur absoluten Unzeit und war - auch in der Art und Weise der Umsetzung - eine klassische Provokation. Da nutzt auch der Hinweis nichts mehr, dass ja auch andere Regionen, z.B. die Region Stuttgart, das Basenkenland etc. anderkannte Vertretungen in Brüssel unterhalten.

Beide Länder haben verloren

Umgekehrt werden von den rumänischen Nationalisten die Rumänienungarn, die mit der politischen Vereinnahmung wenig am Hut haben - und das ist tatsächlich die Mehrheit - sozusagen in Sippenhaft genommen und sogar Premier Emil Boc muss sich als ungarischer Sklave beschimpfen lassen, weil er die RMDSZ zum weiterregieren braucht und daher regelmäßig seinen Kotau auf deren Veranstaltungen zu absolvieren hat. Nun gibt es die ersten Verletzten, beide Seiten haben objektiv verloren, auch wenn man das selbst dort jeweils ganz unterschiedlich bewertet. Dekan Oláh ist sozusagen Opfer der gestrigen Politiker in Bukarest und Budapest geworden, es ist zu fürchten, er bleibt nicht das einzige.

Alba Iulia bzw. Gyulafehérvár, früher Festungsstadt der Habsburger, war um 1900 noch eine unbedeutende Kleinstadt im östlichen Siebenbürgen mit rund 10.000 Einwohnern, rund die Hälfte davon waren ethnische Ungarn. Der Ort hat für die ungarische Geschichte Bedeutung, weil sich dort einer der magyarischen Stammesführer taufen ließ, die Rumänen erinnern sich vor allem an die Königskrönung von 1922. Heute leben rund 66.000 Menschen dort, nur noch ca. 3% sind Rumänienungarn. Der Ort ist sowohl ein Zentrum der rumänischen Orthodoxie als auch römisch-katholische Diözese. Auch eine winzige deutsche Minderheit gibt es noch, der Ort heißt bei ihnen Karlsburg.

red.

Sensibles Siebenbürgen - 23. Mai 2011
Ruhe vor neuen Stürmen zwischen Ungarn und Rumänien
ZUM BEITRAG
 

 

Sie möchten den PESTER LLOYD unterstützen?

LESERPOST & GÄSTEBUCH

 


 

 

 

IMPRESSUM