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(c) Pester Lloyd / 26 - 2011  POLITIK 29.06.2011

 

Konflikt der Gewalten

Oberstes Gericht in Ungarn erteilt Regierung Lektion

Das Oberste Gericht von Ungarn hat die geplanten Veränderungen bei polizeilichen und richterlichen Verfahren gegenüber Verdächtigen als Unrecht und "Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien" zurückgewiesen. Die Regierung ist offenbar bereit und willens, den Rechtsstaat einzuschränken, um politische Ziele zu erreichen.

In einem Entschließungsantrag hatte die Mehrheit der Regierungkoalition am Montag für einen Passus gestimmt, der vorläufig Verhafteten "in bestimmten Fällen", vor allem Korruption, Amtsmissbrauch sowie - später hinzugefügt - auch Mord, Kidnapping und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, das Recht auf einen Anwalt für bis zu 24 Stunden verweigert, sie also von fachlich qualifizierter Verteidigung abschneidet. Diese Maßnahme solle, so die Begründung der Einbringer, den Ermittlern wertvolle Zeit bringen, um hinterzogene Steuergelder sicherzustellen und das "Interesse der Öffentlichkeit" zu schützen.

In einem weiteren Schritt ist vorgesehen, dass Verdachtsmomente sowohl den Verdächtigen als auch den Anwälten aus "prozesstaktischen Gründen" bis zur Verhandlung vorenthalten werden können, die maximale Dauer einer vorläufigen Verhaftung von drei auf fünf Tage ausgeweitet wird. Zukünftig wird ein Staatsanwalt festlegen, welcher Richter, welches Gericht und in welcher Zeit bestimmte Fälle abzuarbeiten hat, um die "Effizienz von Verfahren" zu erhöhen und zu verhindern, dass sich "Betrüger am Volke hinter jahrelangen Prozessen verstecken" könnten. (hier mehr dazu) Am kommenden Montag soll über die Gesetzesänderung endgültig abgestimmt werden. Die Opposition spricht von Sieger- und Willkürjustiz. Premier Orbán hatte nach seiner Machtübernahme zudem einen “Sonderermittler” für Regierungskriminalität eingesetzt, der nicht viel von “Unschuldsvermutungen” hält und regelmäßig politische und mediale Kampagnen gegen “Verdächtige” lostritt. Er agiert außerhalb der Judikative als eine Art Politkommissar.

In einer 32seitigen Stellungnahme hat das Oberste Gericht der Regierung die denkbar schlechteste Beurteilung für die obigen "Ideen" gegeben. Die Gesetzeshüter erteilen den Gesetzgebern, darunter auch einem Abgeordneten, der nun Verfassungsgerichter wird, in dem Papier eine Lektion in Rechtsstaatlichkeit, in dem sie klarstellen, dass es zu den Grundprinzipien gehört, dass eine vorläufige Verhaftung schnellstmöglich in der Freilassung des Verhafteten oder in der Erhebung einer Anklage, nötigenfalls mit der Verhängung von Untersuchungshaft zu enden hat. Dabei haben die Organe die Pflicht, allein aufgrund richterlicher Entscheidungen und der gegebenen Gesetzeslage zu beurteilen und zu handeln, beides kann nicht durch einen Staatsanwalt ersetzt werden, auch das Vorenthalten von Fakten sei nicht zulässig. Außerdem haben Verdächtige auf jeder Stufe der Verfahren ein Recht auf fachlich adäquate Verteidigung.

Das Oberste Gericht wies darauf hin, dass eine Abkehr von rechtsstaatlicher Rechtspraxis nicht nur ein Verstoß gegen eigene Grundnormen darstellt, sondern auch eine Kollision mit internationalen Abkommen ergeben kann, an die Ungarn völkerrechtlich gebunden ist. Gegen die Vorlage der Regierung stimmten übrigens - erstmals - auch vierzehn Angehörige der Regierungsfraktion.

Der notwendige Kampf gegen Korruption und Amtsmissbrauch ist unbestritten, auch die Effektivierung der Gerichtsverfahren dringend notwendig. Die Stellungnahme des Obersten Gerichtes ist ein nicht zu unterschätzender Fingerzeig, dass diesem Willen nicht rechtsstaatliche Prinzipien unterworfen werden dürfen, eine rote Linie überschritten wird. Richter könnten unter Berufung auf “übergeordnetes Recht”, Fälle, die unter den oben geschilderten Gründen auf ihren Tischen landen, abweisen. Somit wäre der Sache noch weniger geholfen als heute und zudem noch ein ernsthafter Konflikt zwischen den Gewalten im Entstehen.

 

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