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(c) Pester Lloyd / 33 - 2011  WIRTSCHAFT 19.08.2011

 

"Was immer in der Welt passiert..."

Parolen statt Korrekturen in der Wirtschaftspolitik in Ungarn

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán stellt sein Land wieder einmal auf "harte Tage" ein. Weder die Krise des Euro noch die Wirtschaftsprobleme in Ungarn sind überwunden, stellt er richtig fest. Eigene Fehler oder zumindest Fehleinschätzungen gesteht man aber nicht ein. Dabei haben die schlechten Daten bei Wachstum, Arbeitsmarkt, Konsum und privaten wie öffentlichen Schulden die hochfliegenden Projektionen der Regierung längst wertlos gemacht.

Viktor Orbán und sein Flügeladjudant Szijjártó vor der Nationalwand

Anfang dieser Woche wurde das Wirtschaftswachstum für Ungarn für das Jahr 2011 von 3 auf noch 2% korrigiert. Im zweiten Halbjahr betrug es lediglich 1,5%, erwartet waren wenigstens 2,3%. Das ist "sogar mehr als in Deutschland" sagte das Wirtschaftsministerium, vergaß dabei aber zu erwähnen, dass Deutschland in der Krise nicht einmal ansatzweise solche Einbrüche erlebte wie Ungarn. Das reduzierte BIP wird ein zusätzliches Budgetloch von 100 Milliarden Forint zur Folge haben, das durch "zusätzliche Maßnahmen" im Herbst geschlossen werden müssen, da man Spielräume zuvor nicht einplante.

Weder Premier Orbán, der sich in einer Pressekonferenz am Mittwoch zu den aktuellen Wirtschaftsthemen äußerte, noch Regierungssprecher Szijjártó, der sich nach den Wortspenden seines Chefs stets um eine Übersetzung in neuzeitliche Sprachgewohnheiten müht, benannten jedoch konkrete Punkte, was auf Bürger und Unternehmen in Ungarn noch zukommen könnte.

Orbán sagte, dass sich "die Menschen in den nächsten Monaten auf ein wirtschaftliches Umfeld einstellen müssen, das noch schwieriger ist als heute." Das sagte er bereits direkt nach der Wahl, dann wieder im letzten Herbst und zuletzt im Frühjahr. Die Eurokrise sei Schuld daran, dass viele Ungarn mit Fremdwährungskrediten vor so großen Schwierigkeiten stehen - auch ein altes Lied. Auch die Regierung müsse unter "extrem schwierigen finanziellen und ökonomischen Bedingungen operieren." Man werde jedoch "nicht zulassen, dass der Preis der Krise und die Folgen früherer schlechter Entscheidungen von den Menschen mit den geringen Einkommen bezahlt werden müssen." Wie er das abstellen oder verhindern will, sagte er nicht, lediglich, dass es zusätzliche budgetäre Maßnahmen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite geben müsse. Die erste Fraktionssitzung am 7. September werde dazu genutzt.

Orbán versuchte - nach einer Krisensitzung mit einem inneren Zirkel seiner Minister - seine Landsleute ein wenig zu beruhigen, immerhin habe der Forint am Mittwoch mit einem Kurs von 269 ein "Ein-Monats-Hoch" gegenüber dem Euro geschafft, dabei grundelt der Forint vor allem gegenüber dem Schweizer Franken enorm, auf dessen Basis die meisten notleidenden Kredite lauten. Auch wenn der Wechselkurs auf Regierungsanordnung für solche Kredite bis 2014 auf niedrigem Niveau eingefroren wird, wissen die Schuldner, dass sie die Differenz in Forint am Ende des ersten Kredites durch einen neuen, ebenfalls verzinsten, abarbeiten müssen, sich ihr Leiden daher nicht mehr verschlimmert, aber enorm verlängert. Aktuelles zum Hilfspaket der Regierung gibt es hier. Echte Linderung würde eine verbesserte Einkommenssituation verschaffen, doch die wurde, aus Gründen der Dogmatik, für die meisten bisher verhindert.

Die Regierung kann nur noch schwer Kritiker widerlegen, wonach das Flat Tax Steuersystem (16% auf alle Einkommen) als voreilig, den wirtschaftlichen Gegebenheiten unangepasst und sozial nicht ausbalanciert, korrigiert werden müsste. Die Flat tax kostet vor allem den Ärmsten unter den ehrlich Arbeitenden im Lande jeden Monat Geld. Auf der anderen Seite hat der Staat wenig Anreize zu bieten. Dass man das gigantische Arbeitsbeschaffungsprogramm, das Hunderttausende Sozihalhilfeempfänger und Frührentner "in Arbeit bringen" soll, mit Dumpinglöhnen und ohne arbeitsrechtliche Minimalstandards, in die Hände des für die Polizei zuständigen Innenministers legte, hat seine Gründe: rund 80.000 Menschen sind derzeit akut von Zwangsräumungen betroffen, da lohnt es sich schon einmal die Wasserwerfer zu betanken...

Die Erreichung eines Haushaltsdefizits von unter 3% scheint nämlich zunächst wichtiger als die Leiden des einfachen Mannes, denn damit erfüllt "man erstmals seit dem EU-Beitritt des Landes 2004 die Maastricht-Kriterien", wie man stolz verkündet. "Wir halten daran fest, was immer in der Welt passiert." - offenbar auch dann, wenn weitere hunderttausende Landsleute in die Pleite gehen. Das erstaunt bei einer Partei, dessen Vorsitzender sich als der große Volksversteher darstellen lässt.

In diesem Jahr wird es Ungarn auch noch leichter fallen mit dem 3%-Defizit, denn Krisensondersteuern, vor allem aber die Abermilliarden zwangsverstaatlichter privater Rentenbeiträge, bilden ein einmalig sanftes Polster. 2012 hat Ungarn dann jedoch ein echtes Problem, wenn auch da die Planungen der Regierung hinsichtlich Arbeitsmarkt und Wachstum nicht eintreten, ganz zu schweigen von möglichen weiteren Verwerfungen im internationalen Umfeld.

Dass Ungarn schon in diesem Herbst zusätzliche budgetäre Notmaßnahmen ergreifen muss, liegt "an der Krise der Eurozone" erklärte Premier Orbán seinen Zuhörer wiederholt. Man werde alles analysieren und dann die "notwendigen Schritte ergreifen", war das Maximum an Information dazu. Wie gehabt also. Später werde Finanzminister Matolcsy erläutern, wie er "diese Phase zu überbrücken gedenkt". Hinsichtlich der vielfach als nachweislich unsozialen und unsolidarischen Flat Tax auf alle Einkommen, die zudem ernorme Steuerinbußen für den Staat bedeutet, wurde lediglich erklärt, dass dieses "Steuersystem die Basis für langfristiges Wachstum" darstellt.

Bisher wachsen jedoch nur die Bankkonten der Besserverdiener und damit die Bilanzsumme der Banken, alle unter 300.000 Forint Monatsbrutto zahlen drauf und die Steuerersparnis bei den Besserverdienern hat sich bisher weder in erhöhtem Konsum noch in gesteigertem Unternehmertum niedergeschlagen. Die Regierung behauptet, all diese Kinderkrankheiten des neuen "revolutionären" Systems werden nach und nach abgeschafft, spätestens mit der Abschaffung des Superbrutto für die Steuerberechnung (also das Aufschlagen der Sozialbgaben und Arbeitnehmeranteile auf die Steuerbasis des Arbeitnehmers) sei auch der soziale Ausgleich gewährleistet. Experten hingegen sprechen von einem stimmungstaktischen Schnellschuss, bei dem sich die Regierung gründlich verrechnet hat. Die Zahlen beim Nettoeinkommen belegen dies. Viel wichtiger wäre die Umsetzung der im Széchenyi-Plan angedachten Mittelstandsförderung. Doch die lässt - zumindest in wahrnehmbaren Größenordnung - weiter auf sich warten.

Ein Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums deutete indes leise an, dass man die Prognosen über den Staatshaushalt hinfort nicht mehr direkt an die Prognosen über das Wirtschaftswachstum koppeln wolle, da die Entwicklungen keineswegs so proportional verlaufen wie erhofft. Die Andeutungen von "Änderungen in den Voraussagen" lassen Marktbeobachter jedoch hellhörig werden, könnten sie schließlich auch genutzt werden, um schlechte Nachrichten und Tendenzen - zumindest zeitweise - zu unterdrücken. Niemand - außer den Wählern - hatte von der Orbán-Regierung in der Wirtschaft Wunder erwartet. Deren Ankündigungen ("1 Million Arbeitsplätze in 10 Jahren") waren jedoch derart hochtrabend, dass der tiefe Fall selbst herbeigeführt wurde. Diese schleichende Niederlage muss nun mit immer neuen Ankündigungen und immer mehr Parolen kaschiert werden, weil man die Wahrheit sich und dem Volk nicht zumuten will.

Orbán und das Fidesz unterliegen schon seit längerem - und nicht nur in der Wirtschaft - dem schwerwiegenden Charakterfehler, zu glauben, die Dinge allein durch Willenskraft ändern zu können. Diese Selbstherrlichkeit, ein Charaktermerkmal von Demagogen aller Zeitalter, gefährdet das Land. Durchhalteparolen als Reaktion auf wirtschaftliches Scheitern kennen die Ungarn noch zur Genüge. Die Antwort der heutigen Opposition? MSZP-Chef Mesterházy forderte den Regierungschef auf, endlich Klartext zu reden und den wirtschaftlichen "Notstand" auszurufen. Offenbar fühlen sich die ungarischen Sozialisten in diesem Zustand ganz wie zu Hause.

Ausführliche Einblicke in die ungarische Wirtschaftspolitik, Daten und Nachrichten finden Sie im entsprechenden Ressort WIRTSCHAFT

 

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