(c) Pester Lloyd / 34 - 2011
POLITIK 23.08.2011
Das Brot der Nation
Präsident Schmitt im "ungarischen Rumänien” und weitere Nationalnachrichten
Der ungarische Präsident, Pál Schmitt, reiste vergangene Woche - unmittelbar nach dem ungarischen Nationalfeiertag - nach Rumänien, besuchte Vertreter der
Rumänienungarn in Siebenbürgen und machte sich selbst zum Programmpunkt des Abschlusstages der "Ungarischen Tage", um eine Messe zur "Einheit der Nation" zu
zelebrieren. Auch andere Ereignisse berichten von einem für europäische Gemüter kaum verständlichen Paralleluniversum. - Bericht & Kommentar
Der ungarische Präsident Schmitt unter hocherfreuten Bewohnern Siebenbürgens.
Fotos: Ungarisches Präsidalamt
Schmitt rief die tausenden Rumänienungarn auf dem Hauptplatz von Cluj dazu auf,
möglichst in Scharen die ungarische Staatsbürgerschaft, nach der neuen, vereinfachten Prozdeur anzunehmen, "Jeder Antrag stärkt den Glauben der Ungarn hinter den Grenzen
an die Einheit und das Zusammenwachsen der Nation", so Schmitt. Die Stadt Kolozsvár (rum. Cluj, dt. Klausenburg) gibt "mit seiner jahrhundertelangen Tradition der
Kooperation zwischen Rumänen, Sachsen und Ungarn" ein "Beispiel, dass Menschen in der Lage sind, zu lieben was ihnen gehört und zu respektieren, was anderen gehört."
Der ungarische Staatspräsident traf sich mit verschiedenen, teils auch stark
konkurrierenden Vertretern der Rumänienungarn und rief sie zur Einheit auf. Ein Aufruf, der vor allem bei der in der rumänischen Regierung vertretenen Demokratischen Union
der Ungarn in Rumänien, RMDSZ, Verwunderung auslösen muss, betreibt die Regierungspartei Fidesz von Ungarn aus nämlich seit Monaten die Schwächung der
Organisation und fördert nach Kräften, u.a. auch mit Steuermitteln, die "Ungarische Bürgerpartei in Siebenbürgen", den "Székler Nationalrat" und andere separatistische
Organisationen, weil die konsensbereite RMDSZ sich nicht auf die konfrontative Fidesz-Linie trimmen ließ, die eine ideelle Einheit des "Ungarntums" mit völkischer
Konotation anstrebt, während die anderen lieber pragmatisch das bestmögliche für die Minderheiten im täglichen Leben herausholen wollen.
Nationalreiserei hat schon Tradition
Schmitt rief seine "Landsleute" weiterhin dazu auf, ihre "nationale Zugehörigkeit" offensiv
bei der bald stattfindenden Volkszählung zu vertreten und "gemeinsam die besten Kandidaten" für die rumänischen Parlamentswahlen Ende 2012 zu finden. "So wie wir die
Einheit der Nation in Ungarn vorantreiben, erwarten wir das gleiche auch von den ungarischen Organisationen in anderen Ländern", denn "nur die Einheit macht stark."
Schmitt hielt eine Rede auf dem Hauptlatz von Cluj und eröffnete einen "Internationalen Kongress für ungarische Studien", nahm an einer großen Messe teil, besuchte
Heimatmuseum, trank Pálinka mit Dorfbewohnern etc.
Die Reisen ungarischer Staatsoberhäupter in die von ethnischen Ungarn besiedelten
Gebiete der Nachbarländer, just im Umfeld ungarischer Nationalfeiertage, hat einige Tradition und bereits beim Vorgänger Schmitts, László Sólyom, desöfteren zu
diplomatischen Verstimmungen mit Rumänien und der Slowakei geführt. So irrte Sólyom - als persona non grata und ohne Landegenehmigung - einmal recht planlos mit dem Auto
durch Siebenbürgen und wurde - ebenfalls im Umfeld eines Nationalfeiertages - an der slowakischen Grenzbrücke vom Militär abgewiesen, weil man "für seine Sicherheit nicht
bürgen" konnte. Die nationale Rechte, damals noch im Wahlkampf, schlachtete die Reaktionen der Nachbarn stets als Beweise für die Feindlichkeit gegenüber den Ungarn aus.
Auf dem Hauptplatz von Klausenburg vor mehreren tausend Rumänienungarn
Die Beziehung mit der Slowakei: eisig bis hitzig
Während sich die rumänische Staatsspitze mit Rücksicht auf den Koalitionspartner, von
dem die Macht des dortigen Premiers derzeit abhängt, zur Zeit auf die Zunge beißt und wegen der eigenen Moldawien-Politik auch zum Thema Staatsbürgerschaft schweigt, sind
die Beziehungen mit der Slowakei weiterhin eisig. Noch immer streitet man sich dort um das Staatsbürgerschaftsrecht auf der einen sowie das Sprachengesetz auf der anderen
Seite. Zwar kommen seit dem Regierungswechsel ins konservative Lager versöhnlichere Töne aus Bratsilava, sogar von einer Anerkennung der Doppelstaatsbürgerschaft, wenn
auch unter Bauchschmerzen, ist zu hören, doch steht die Vier-Parteien-Koalition dort immer mehr mit dem Rücken zur Wand und wird von der
nationalistisch-sozialdemokratischen Opposition vor sich her getrieben. Auch in der Slowakei unterstützt das Fidesz ausschließlich separatistische Hardliner und lehnt
Gespräche mit der multiethnischen Most-Híd-Partei, immerhin auch in der Regierung, ab.
Gerade erst bezeichnete der slowakische Staatspräsident Gasparovic den ehemaligen
tschechoslowakisch-ungarischen Politiker der Zwischenkreigszeit, János Esterházy, anlässlich der Einweihung einer Statue in Kosice als "Anhänger Hitlers", was historisch
zumindest sehr undifferenziert ist. Esterházy begrüßte zwar als Führer der Slowakenungarn die Annektion "Oberungarns", also der Südslowakei durch Horthy-Truppen
auf Betreiben Hitlers, wandte sich aber aktiv gegen die nationalsozialistische Rassenpolitik und half hunderten Verfolgten, Tschechen, Slowaken, Juden bei der Flucht vor den Nazis.
Die Reaktion aus Budapest war entsprechend erbost, dabei handelt es sich nur um ein kleines Beispiele hasserfüllter Schlagabtausche der letzten Jahre.
Leben die Vojovdina-Ungarn immer noch wie unter Milosevic?
Derweil begrüßte das für die Einbürgerungen zuständige Staatssekretariat den 100.000
"Rückkehrer", sprich Bezieher der Staatsbürgerschaft nach dem neuen Gesetz. Es ist dies ein Einwohner Serbiens, die im Norden gelegene Vojovodina hat teilweise einen hohen
ungarischen Bevölkerungsanteil. In Subotica hielten die Vertreter der Serbo-Ungarn einen entsprechenden Festakt ab, bei dem deren Präsident, István Pásztor, Lobpreisungen auf
Viktor Orbán hielt, der "sein Wort gehalten und uns nicht im Stich gelassen hat". Bitter klagte er jedoch über die "proeuropäische Elite in Belgrad, die seit zehn Jahren an der
Macht ist", sich gegenüber der Minderheit aber immer noch aufführe "wie Milosevic". Eine ziemlich abwegige Aussage, wenn man verfolgt hat, welche selbstverwalterischen
Neuerungen gerade in der Vojvodina in letzter Zeit eingeführt worden sind und wie die Realtiät unter Milosevic wirklich war, als - auch - Ungarn ihres Lebens nicht sicher waren.
red. / J.S.
Orbánsche Traumwelt kollidiert mit der Realität
- KOMMENTAR
Man stelle sich nur einmal eine solche Reise der deutschen Bundeskanzlerin am
deutschen Nationalfeiertag in, z.B. Schlesien vor, die Schlesier deutscher Abstammung zum Übertritt in die deutsche Staatsbürgerschaft auffordert, um die ungefähren
Dimensionen zu erfassen. Doch wie auch immer: Die “Einheit der Nation”, bezogen freilich in erster Linie auf ein imaginäres Magyarentum und erst in zweiter Linie auf
die multiethnische Realität eines Staatsvolkes, ist der beliebteste Showact der heutigen Machthaber zur Unterhaltung des breiten Publikums und ersetzt das lahme Locken mit
Europa der Vorgänger.
Man will Ungarn auf den "richtigen Weg" zurückbringen, "historische
Ungerechtigkeiten" beseitigen und dem Land ein neues Selbstbewußtsein geben, auch das Wort "Auferstehung" ist in diesem Zusammenhang häufig aus offiziellen Munde zu
hören. Im Zentrum steht die Behauptung, dass "den" Ungarn die neue Betonung des Nationalen ein tiefes inneres Bedürfnis ist, deren Befriedigung ihm lange vorenthalten
wurde. Dabei steht - rein praktisch gesprochen - der freien Verbindung historischer Regionen durch EU + Schengen, heute weniger im Wege als je zuvor.
Der Partei- und Staatsapparat jedenfalls wendet viele materielle wie menschliche
Ressourcen, aber noch viel mehr warme Worte für die "Betreuung" der Nachbarländer und überhaupt die nationale Agenda auf. Wir hatten an verschiedenen Stellen bereits
auf die ahistorischen Exzesse dieser neuen Staats-Ideologie hingewiesen (Trianon-Gedenktag, Renaissance der Horthy-Ära, Umgang mit der Erinnerung an den
2. Weltkrieg, Gedenktag an die Schlacht bei Belgrad, Mystifizierung der Landnahmezeit etc., etc.), die nun auch systematisch bei der jungen Generation wirken sollen und
schon wirken. Die tatsächlichen historischen Ungerechtigkeiten, z.B. durch die Verträge von Trianon nach dem Ersten Weltkrieg, werden von der nationalen Rechten
maßlos instrumentalisiert und so dargestellt, als sei alles Unglück im Lande allein darauf zurückzuführen, mithin die Schuld auswärtiger Mächte. Dies ist der zentrale
ungarische Opfermythos, hinter dem sich die Nation, Volkslieder singend, zu versammeln hat. Auf diesem Humus gedeihen freilich noch ganz andere Pflanzen und
Früchtchen - auch die erfüllen ihre Rolle.
Brot backen ist das eine, bezahlen etwas anderes
Doch die Orbánsche Traumwelt kollidiert derzeit gar hart mit der Realität: am
Nationalfeiertag wurde ein "Nationalbrot" gebacken, eine tolle Idee, stammt es doch aus Korn von den verschiedensten Schollen "Großungarns". (der blog Pusztaranger hat
die Rezeptur mit seiner ihm eigenen Genauigkeit augearbeitet: http://pusztaranger.wordpress.com/2011/08/22/brot-blut-und-boden-sakrale-folklore-zum-nationalfei ertag/ ) Währenddessen stiegen die Preise für das täglich Brot in Ungarn binnen eines
Jahres um fast ein Drittel, Mehl um die Hälfte, während das Realeinkommen der meisten Arbeitenden dank einer "großzügigen" Steuerreform dieser Regierung gesunken
ist. Der Plan aber, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu senken, damit die Ärmsten etwas entlastet werden, wurde gerade heute vom "Nationalwirtschaftsminister" als zu
teuer zurückgezogen. Für ein neues ungarisches Pressezentrum in Siebenbürgen, Wallfahrten an heilige Orte der Székler, die Finanzierung von "allungarischen
Konferenzen" und anderes mehr, fand man aber Gelder, passenderweise auch bei der staatlichen Glücksspielgesellschaft. Man setzt eben alles auf Sieg, das Risiko dürfte bekannt sein.
ms.
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