(c) Pester Lloyd / 35 - 2011
POLITIK 30.08.2011
Orbán ex cathedra
Regierungschef von Ungarn gibt außenpolitische Marschrichtung vor
Ministerpräsident Orbán hat die Sommerpause mit einer Rede beim jährlichen Treffen der im Ausland tätigen ungarischen Diplomaten beendet. Dabei versprühte
er die üblichen - und angesichts der Lage im Land immer abwegiger klingenden - Floskeln von neuer ungarischer Stärke und Unabhängigkeit und übte sich in
außenpolitischer Kaffeesatzleserei. Deutlich wurde einmal mehr die strategische Gewichtsverlagerung Richtung Osten, die sich wenig um den Zustand von
Demokratie und Menschenrechten im potentiellen Partnerland kümmert.
Körpersprachen: Während Orbán seinen Diplomaten die Welt erklärt,
lauscht sein Außenminister in Hab-Acht-Haltung
Ungarn habe es mit "einer sehr gefahrvollen Situation in den letzten drei Monaten" zu tun
gehabt und auch der Herbst wird eine "schwierige Periode, in der Ungarn seine Souveränität verteidigen muss", diktierte Ministerpräsident Orbán seinen Diplomaten, die -
wie stets am Ende des Sommers - in Budapest zum Rapport angetreten waren. Der Feind ist immer noch der internationale Finanzmarkt, der diesmal vor allem in Form des
Schweizer Franken über die Ungarn herfällt. Er, Orbán, werde jedenfalls auf dem "Weg der Veränderungen" bleiben, den er voriges Jahr begonnen hat, man werde niemals auf
den "Weg der griechischen Krise" zurückkehren, die Griechenland die Unabhängigkeit gekostet habe, so dass es nicht mehr über seine eigene Zukunft bestimmen kann. Dieses
Schicksal muss Ungarn erspart werden, hieß es im bekannten Orbánschen Pathos.
Daher wende man sich auch gegen eine einheitliche Steuerpolitik in Europa, diese sei
gegen die "ungarischen Interessen". Er werde vielmehr dafür sorgen, dass die Schuldenquote des Staates von derzeit 80 in Rekordzeit auf 70 und 60% des BIP sinke.
Wann die in der neuen Verfassung vorgeschriebenen 50% erreicht sein sollen, sagte Orbán jedoch nicht, so hätte der Zuhörer nämlich auch erfahren können, ab wann das
Verfassungsgericht wieder voll handlungsfähig würde, was an die Erreichung dieses Planziels gekoppelt wurde. 200-300.000 Jobs werde man in Ungarn "in den nächsten
Jahren schaffen", nur leise wurde angedeutet, dass es sich bei den meisten davon um sinnlose kommunale Beschäftigungsprogramme ohne Perspektive für die
Zwangsverpflichteten handeln wird. Das Kardinalsziel von 1.000.000 neuer Jobs binnen zehn Jahren wurde nicht mehr explizit genannt.
Dann darf auch Martonyi etwas zum Besten geben, aber nicht ans Rednerpult
Orbán will dafür sorgen, dass Ungarns ökonomische Perspektiven so "gut sind wie die von
Polen, Tschechien oder den baltischen Ländern". Man werde sich bei allem Unabhängigkeitsstreben jedoch nicht von den erfoglreichen Lokomotiven der europäischen
Wirtschaft abkoppeln (was, mit Verlaub, auch ökonomischem Selbstmord gleichkäme). Auf dem Weg aus der Krise in der EU sei "politische Stabilität das wertvollste Gut für die
nächsten 8-10 Jahre" meinte Orbán, eine Zeitspanne, die Orbán für das Anhalten der Euro-Krise ausgab und resümierte, dass Ungarn "die stabilste politische Führung in Europa
hat", was ein "wichtiger Vorteil" ist, was ihm zudem auch die ausländischen Partner bescheinigten.
Orbán wiederholte in allesverleugnender Sturheit, dass sein Land "aus der
EU-Ratspräsidentschaft gestärkt hervorgegangen" sei und man sich nun wieder mit breiterer Brust in Europa blicken lassen könne. Die kommenden 15-20 Jahren werden eine
Periode von "wachsendem Wettbewerb" mit den aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie China, Russland, den Arabischen und Zentralasiatischen Ländern sein, prognostizierte
Regierungschef Orbán seinen Diplomaten. Es sei wichtig, hier "die richtigen Allianzen zu schmieden, ohne dabei die transantlantischen Verbindungen in Frage zu stellen."
Die Blicke gehen in verschiedene Richtungen...
Binnen der nächsten 1-2 Monate will der ungarische Außenminister János Martonyi eine
"neue außenpolitische Strategie" vorlegen. Auch sollen die gesetzlichen Regelungen für die zwischenstaatliche Kooperation angepasst werden. Die baldige Reise einer ungarischen
Delegation unter Führung des Premiers nach Saudi-Arabien wurde bestätigt. Bereits zuvor hatte Ungarn große Mühen darauf verwandt, sich China als "Hub nach Europa" anzubieten
und so eine Alternative gegenüber Brüssel "dem neuen Moskau" (O-Ton Orbán & Co.) zu finden.
Der Besuch von Premier Wen Jabao im Juni wurde zu einer "neuen Ära" und einer
"Rettung" hinsichtlich der Finanzsicherheit stilisiert, man müsse sich "nun keine Sorgen mehr um die finanzielle Zukunft Ungarns machen", hieß es von der begeisterten
Regierung. Von zwölf zwischenstaatlichen Vereinbarungen blieben bisher sechs unter Verschluss, was die Opposition dazu brachte, gerichtlich eine Öffnung der Akten "im
öffentlichen Interesse" erzwingen zu wollen. In selbigem sei es jedoch, die Vereinbarungen unter Verschluss zu halten, argumentiert die Regierung. Politisch lobte die
Orbán-Regierung ihre chinesischen Kollegen und "zog den Hut" vor den großen Leistungen im Reich der Mitte. Eine Gegendemo in Budapest wurde von der Polizei mit zweifelhaften
Methoden unterbunden, was sogar in Teilen der Regierungspartei für Unmut sorgte.
...doch Orbán zieht seinen Minister letztlich wieder in die seine...
Die außenpolitische Marschrichtung, die Orbán seinen Diplomaten vorgab, ist deutlich: wer
uns nutzt, ist unser Freund, was immer in dessen Land auch sonst passieren mag. Ungarn wird seine "Souveränität" betonen, Kritik an der Innenpolitik - wie gehabt - als
unangemessene Einmischung und Kampagne frustrierter Sozis zurückweisen, unübertünchbare Misserfolge als Fremdverschulden verkaufen und darauf bedacht sein, die
eigenen absolutistischen Tendenzen als "starke Führung" zu verkaufen, um die sie andere Länder nur beneiden. Einzelabkommen mit potenten Investoren-Ländern, auch
undemokratischen, sollen Ungarn unabhängiger von EU-Einflüssen machen, das NATO-Bündnis bleibt unangetastet.
Ob János Martonyi als Außenminister bleibt, war nicht zu erfahren, es gibt seit längerem Gerüchte, er könnte sich nach Abschluss der EU-Ratspräsidentschaft oder kurz danach
zurückziehen, auch, weil es inhaltliche und weltanschauliche Differenzen zwischen ihm, der als gemäßigter Konservativer gilt, und seinem Chef geben soll. Unverkennbar war und
ist auch die Marginalisierung der Position des Außenministers im Orbán-Kabinett, der immer mehr in die Rolle eines Assistenten seines Chefs gedrängt worden ist.
red.
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