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(c) Pester Lloyd / 36 - 2011  WIRTSCHAFT 11.09.2011

 

Zahlungsbefehl

Regierung von Ungarn stürzt Banken in eine neue Krise UPDATE 11.09.

Es kam einem mittleren Erdbeben gleich, als Fidesz-Fraktionschef János Lázár und Orbán-Sprecher Szijjártó am Freitag vor die Presse traten und verkündeten, dass man "den Ungarn und den ungarischen Familien mehr Freiheit gewähren" wird. In der Folge rauschte die Aktie der größten ungarischen Bank, OTP, um 10% herunter, wurde vom Handel ausgesetzt und jagte nochmals 5% bergab als man sie wieder freigab. Lázár hatte sie durch seine Ankündigung praktisch teilenteignet. Was war geschehen?

OTP-Chef Sándor Csányi (hier rechts) dürfte das Lachen mittlerweile im Halse stecken geblieben sein. Hielt der Oligarch doch bisher fest zu Orbán. Wie der ihm diesen Schachzug nun erklären will, ist offen...

Die Regierungsfraktionen von Fidesz und KDNP besprachen auf ihrer Klausurtagung am Wochenende, neben vielen anderen heißen Eisen, einen Vorschlag, der es in sich hat: sämtliche Schuldner von Fremdwährungskrediten sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Forex-Kredite auf einen Schlag zurückzuzahlen, zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs. Sämtliche Währungsverluste, Gebühren und Gewinnausfälle müssten die Banken selber stämmen. Nun ist also raus, was Orbán vor wenigen Tagen als "Top-Priorität" angedroht hatte. Auch diesmal konsultierte er die Bankenvertreter nicht im Vorfeld, sie beschweren sich nicht einmal mehr, sie sind in Schockstarre.

Über 20% "Ersparnis" für den Kunden möglich

Nicht nur die OTP rauschte nach den Ansagen von Orbánversteher Szíjjartó und Kettenhund Lázár in den Keller, auch die Aktien der Raiffeisen und der Erste Bank machten in Budapest einen 8%-Knicks vor der ungarischen Regierung, die FHB schaffte -6%. Doch das dürfte nur der Anfang der Erschütterungen sein, wenn die Regierung das Vorhaben so drastisch wie angekündigt umsetzt. Bedeutet es doch nicht wengier als dass die Banken einen großen Teil ihrer Kreditportfolios auf Kundenwunsch abschreiben müssten, wohlgemerkt nicht nur vom notleidenden Teil - das tun sie seit Jahren ohnehin - sondern von ihrem gesamten Forex-Kreditportfolio.

Am Samstag legte Szijjártó nochmal nach und ließ von seinem Chef ausrichten, dass von “Ungarn eine neue Weltordnung ausgehen werde”, in der sich die Nationen von den Schulden lösen. Der Schnitt bei den privaten Schulden sei, so verlautbarte Orbán aus der Fraktionsklausur: “moralisch richtig, finanziell nachhaltig und rechtlich machbar”.

Ein zusammengeschustertes Hilfspaket, das den Dimensionen nie gerecht wurde

Im Zuge eines staatlichen "Rettungsprogramms für notleidende Hypothekenkredite" hat die Regierung den Schuldnern die Möglichkeit eingeräumt, die Wechselkurse ihrer Forex-Kredite bis 2014 einfrieren zu lassen, auf 180 Forint je Franken, 250 je Euro und 200 je 100 Yen. Die entstehende Differenz zu den Marktkursen (CHF 240 aufwärts, EUR 280 aufwärts) sollte dann in einem gesonderten Kredit an die Laufzeit des ersten angehängt werden, in Forint und zum Marktzins. Es war schnell auszurechnen, dass viele Kreditkunden den Banken so einfach wegsterben werden, sich die Lasten auch nicht wirklich verringerten. Die Regierung begann am Paket herumzudoktern, verankerte sogar eine Altersgrenze für die spätestmögliche Rückzahlung und machte damit alles nur noch schlimmer. Schon zuvor waren die Banken höchst verärgert über die hohen Kosten, die sie tragen: Abschreibungen, Rücklagen, Finanzsondersteuer.

Links Alleserklärer und hauptamtlicher Orbánversteher Péter Szijjártó, rechts Kampfhund Lázár, Fraktionschef des Fidesz, der Mann fürs Grobe, bei der Verkündung der frohen Botschaft am Freitag. Fotos: fidesz.hu

Wer kann sich ein solches Geschenk leisten?

Welche Auswirkungen für Banken, welcher Nutzen für die "Nation" wäre zu erwarten? Zunächst steht die Frage im Raum, wieviele der Forex-Kreditnehmer das generöse Angebot überhaupt wahrnehmen können, denn die meisten haben keinerlei Geldreserven und müssten für die Auslösung des ersten Kredites schon wieder einen Kredit aufnehmen, dann in Forint. Die Banken werden sicher nicht ihre eigene Enteignung finanzieren und der Staat kann sie kaum dazu zwingen. Oder kann er es doch? Rund 1,3 Mio. Menschen sind - laut Lázár - betroffen, für geschätzte 200-300.000 könnte der neue Regierungsplan greifen.

Das Wirtschaftsmagazin Portfolio.hu hat vorgerechnet, dass sich ein Kreditnehmer mit einem durschnittlichen Frankenkredit von 27.000 CHF, also rund 6,5 Mio. Forint, sich rund 1,35 Mio. Forint ersparen würde, der Ausfall für die Bank betrüge so über 20%. Hinzu kommen noch die ausfallenden Gewinne durch die hausinterne Finanzalchemie, denn während der Schuldner eine Rate zum festen Termin und dem dann geltenden Wechselkurs zu zahlen hat, kann die Bank auf ihr günstige Kurse warten.

Doch immer mehr können neben ihrer Rate noch nicht einmal mehr die monatliche Stromrechnung zahlen, wo sollen sie plötzlich 5 Mio. Forint hernehmen oder gar mehr? An dieser Frage entscheidet sich die Dimension der Ankündigung, erwartet wird eine Entscheidung dazu Anfang der neuen Woche. Da wird man dann auch erfahren "wer die Verantwortlichen für die unverantwortliche Vergabe von Fremdwährungskrediten ab 2002" sind, denn nach diesen werden die Fraktionsmitglieder auf ihrer Sitzung "fahnden". "Ab 2002" gibt den dezenten Hinweis darauf, dass es Orbán nicht gewesen sein kann.

Partieller Banküberfall als Eingeständnis des Scheiterns

Letztlich ist dieser partielle Banküberfall des Staates ein Eingeständnis des Scheiterns, das Abwälzen auf die Vorgänger macht das nur noch deutlicher. Alle wissen längst, dass Politik, Banken und (!) Konsumenten jahrelang sorglos bis grob fahrlässig von ewigem Wachstum ausgegangen sind, man hat sich quasi gegenseitig verschaukelt. Kunden konnten zuletzt jeden Haarfön auf Pump erwerben und so kamen auch Minimalverdiener zu einem Auto, einer Reise und einer Wohnung. Die Zinsen gingen gegen Null, Zauberwort: Schweizer Franken. Kein Gedanke an eventuelle Kursverwerfungen, auch kaum ein warnender Hinweis der Banken, denn die verdienten ab der ersten Rate.

Was will die neue Regierung aus dieser Geschichte von Gier und Dummheit noch bauen, einen weiteren Prozess gegen Guyrcsány vielleicht? Ablenken will sie. Seit Monaten wankt nämlich das Kartenhaus der überoptimistischen Zukunfts-Projektionen, immer neue Zahlen führen die visionären Zielvorgaben der Regierung ad absurdum, eine hektische Flickschusterei, ein ideologisch verbrämter Aktionisumus, schlicht Panik regiert das Land. Wir hatten die Gefahren und Tendenzen von Anfang an erläutert, etliche Fachleute hatten gewarnt, doch auf externe Expertisen legte diese Regierung noch nie Wert. Wir erleben seit eineinhalb Jahren staunend eine vorgetäuschte Revolution.

Das Wachstum, die Investitionen, der Konsum ziehen nicht so mit, wie das Orbán und sein Nationawirtschaftsminister Matolcsy gefordert haben, weil ihre Zahlen von Wünschen, nicht den Realitäten geschrieben wurden. Die Menschen haben - in der Mehrzahl - heute weniger Geld in der Tasche als unter den Sozialisten (!), die voreilig und blauäugig als "der Impuls für nachhaltiges Wachstum" eingeführte Flat tax kostet das "einfache" Volk Geld, nur mittlere und obere Einkommen, mithin eine kleine Minderheit profitierten. Schuldner zahlen einen immer höheren Anteil ihres Einkommens für Raten und das nackte Überleben, woher soll da Konsum kommen? Zusätzlich hat sich die Regierung durch gegen EU-Recht verstoßende Mehrwertsteuerregeln in ein neues Milliarden-Loch regiert, muss womöglich die weiteren Schritte der Steuerreform verschieben, Steuern sogar erhöhen, den Fidesz-Strategen geht der Allerwerteste allmählich auf Grundeis.

Der Staat entzieht den Banken die Geschäftsgrundlage - die Bürger werden zahlen

Die Regierung glaubt, mit ihrem überfallartigen Vorstoß, diesem - nach Bankensteuer, Rentenverstaatlichung, Sondersteuern - x-ten Befreiungsschlag, Druck aus dem Kessel zu nehmen, gießt aber gleichzeitig Öl ins Feuer. Denn zunächst würden sich die sozialen Ungleichheiten weiter vertiefen, die Schuldner nochmals gespalten, in jene, die sich den Schritt in die "Freiheit" leisten oder "organisieren" können und jene, die bis ans Ende ihrer Tage weiterzahlen oder ins komplette Elend stürzen.

Die Banken hingegen kämen in massive wirtschaftliche Schwierigkeiten, ihre Kapitaldecken würden angegriffen, die Refinanzierung bei anderen Banken praktisch unmöglich gemacht, die Kosten müssten sie bei der solventen Kundschaft generieren, was also auch den gesünderen Teil der Bankkunden angreift. Solch unverlässliche Größen wie "Vertrauensverlust in den Finanzplatz" braucht man gar nicht herbeiziehen, Fakt wäre aber, dass noch mehr Banken und Investoren einen Bogen um Ungarn machen werden.

"Die Aktion konnte zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen", sagen Analysten, denn der Forint ist gerade jetzt wieder schwer unter Druck geraten. Die Bankenvereinigung sagt schon gar nichts mehr. Klar ist: etliche Banken müssten Kapital nachschiessen, einige werden einfach gehen. Der Kreditmarkt müsste zum Stillstand kommen, denn die Banken müssen ja davon ausgehen, dass der Staat seinen überschuldeten Bürgern bald wieder einen Teil der Kredite "erlässt" und den Banken nach gutdünken Zahlungsbefehle zustellt. Er entzieht der Finanzwirtschaft die Geschäftsgrundlage.

Die Regierung hat die sozialen und gesamtwirtschaftlichen Dimensionen des Forex-Rroblems viel zu spät erkannt, ihr aktuelles Hilfspaket federt nur am sozialen Rand etwas ab, hilft aber nicht der Masse. Die Politik stellt nun endgültig fest, dass sie auf ein Wirtschaftsproblem, dass sozial-politische Auswirkungen zeitigt, keinen legalen Zugriff hat und übertritt die rote Linie kapitalistischer Grundregeln. Man fragt sich im Kabinett, wie es sein kann, dass das Land weiter darbt, Banken aber wieder und wieder Gewinne schreiben.

Warum nicht gleich ganz verstaatlichen?

Das Volk, sicher wieder bereit, diese vermeintliche Robin-Hood-Aktion "die Multis sind Schuld..." mitzumachen, wird über Jahre von den Banken auf die eine oder andere Weise abkassiert werden und müsste vor allem sehen, dass der scheinbar sorglose Zugriff des Staates auf Privatvermögen - denn um nichts anderes handelt es sich hier - eine (weitere) Präzedenz schafft, die keine Gewähr mehr bietet, dass der Staat nicht auch auf die Guthaben der Bürger zugreift. Zum einen tat er dies indirekt bereits über die Enteignung der privaten Rentenversicherung, zum anderen gab Premier Orbán schon einen deutlichen Hinweis: wenn die Ungarn ihr Geld nicht zum Konsum einsetzen, werde er sich überlegen, "wie man die Sparguthaben der Menschen auf die eine oder andere Weise für die Finanzierung des Staates nutzbar machen kann."

Langsam fragt man sich, warum Orbán nicht noch den letzten Schritt macht und das Bankenwesen komplett verstaatlicht, denn wie anders will man die Bürger vor der unvermeidlichen “Rache” der Finanzwirtschaft schützen? Das wäre immerhin kosenquent und gegen EU-Recht zu verstoßen, hat ihn bisher noch nie von etwas abgehalten. Doch die Systemfrage wird er nicht stellen, denn er ist Teil des Systems, wenn auch einem besonders beflaggten Ende davon.

Mitleid mit den Banken wird kaum jemand haben, muss man auch nicht. Aber die Sorge um die Bürger ist durch den nächsten verschlimmbesernden Tabubruch der Orbán-Regierung berechtigter denn je, dessen Trial-and-Error-Politik einem Offenbarungseid gleichkommt.

red. / m.s. / j.s.

 

 


 

 

 

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