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(c) Pester Lloyd / 36 - 2011  POLITIK 14.09.2011

 

Aufklärung unerwünscht

Goliath gegen Dávid im UD-Spionagefall in Ungarn

Die Persönlichkeitrechte eines politisch "interessierten" Oligarchen und dunkler Hintermänner sind wichtiger als der öffentliche Aufklärungsversuch einer Staatsaffäre. Bei den politischen Gegnern ist man hinsichtlich dieser Rechte nicht so zimperlich. Hat man womöglich etwas zu verbergen? Diesen Schluss könnte man beim Urteil gegen Ex-MDF Chefin und Bespitzelungsopfer Ibolya Dávid ziehen. Diese wird nun auch noch von ihrer eigenen ehemaligen Partei vor Gericht gezogen.

Die Reste des untergegangenen Ungarischen Demokratischen Forums, MDF, einer Partei, die vor allem in der Wendezeit maßgeblich die Politik des Landes bestimmte, verzehren sich in Vorwürfen und Klagen, auch gegen ihre Ex-Chefin Dávid. Die Partei wurde, zuletzt geprägt durch die inhaltlich so lavierende wie um Macht bemühte Parteichefin Ibolya Dávid, richtungs- und profillos im Kapf der beiden großen Blöcke zerrieben und schied 2010 aus dem Parlament aus, ging dann gänzlich unter. Dávid hat nun gleich zweimal mit finanziellen Forderungen zu kämpfen und einen Gerichtsprozess auf eine etwas wunderliche Weise verloren.

Die Nachfolgeorganisation JESZ, "Demokratische Bewegung für Wohlstand und Freiheit" fordert nun von Dávid und dem auf einem MDF-Ticket im Europaparlament sitzenden Lajos Bokros hohe Geldsummen. Dávid habe "verschiedene, für die Partei unvorteilhafte Verträge abgeschlossen" und Bokros "hat sein Mandat nicht an die Partei zurückgegeben" wie das abgesprochen war. JESZ verklagt die beiden bei Nichtzahlung, Bokros auf 280 Mio Forint (genau 1 Mio. EUR) sowie Dávid auf den angeblich von ihr angerichteten Schaden von 78 Mio Forint (270.000 EUR), kündigte der heutige Parteichef Zsolt Makay an. Seiner Partei würde jedoch auch dieses Geld wenig bringen, ihr ist dauerhafte Bedeutungslosigkeit vorhergesagt.

Die Ex-MDF-Chefin Ibolya Dávid verlor gerade einen anderen Prozess. Darin ging es um die Nachwehen des UD-Skandals von 2008, einem unappetitlichen Spionagefall, in den mutmaßlich Ex-Politiker, Sicherheitsdienste und Wirtschaftsleute verwickelt sind und der erahnen lässt, mit welch schmutzigen Tricks hinter den Kulissen der Macht gespielt wird.

Dávid, damals Opfer illegaler Abhöraktionen, die sie zu Fall bringen und das MDF mit dem Fidesz gleichschalten sollte, wollte den Fall öffentlich aufklären, freilich auch politisch für sich nutzen und veröffentlichte ein Telefonprotokoll der sich als Parallelgeheimdienst andiendenen Firma UD und dem OTP-Chef Sándor Csányi (Orbán halbwegs nahestehend), das die angeblichen Auftraggeber der Aktion bloßstellen sollte. (Csányi äußerte sich in dem Gespräch neutral und relativ unverfänglich, es klang eher nach einer gezielten Provokation). Das Gericht in Budapest urteilte, dass Dávid damit die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen - die hier, wo Fidesz-Getreue als Hintermänner vermutet werden, plötzlich eine überraschend große Rolle spielen - verletzt habe. Sie wurde zu einer Geldstrafe von 1,2 Mio. Forint (knapp 4.000 EUR) sowie zu einer "öffentlichen Entschuldigung" verdonnert. Der Fall an sich ist weiterhin nicht aufgeklärt.

Es ist bemerkenswert, dass bei etlichen anhängigen Fällen, in die Personen aus der sozial-liberalen Landeshälfte verwickelt sein sollen, die Persönlichkeitsrechte keine schützenswerte Rolle spielen. Der von Premier Orbán eingesetzte Sonderkommissar, auch "Abrechnungsbeauftragter", trägt seine Mutmaßungen über Ex-Premiers, Philosophen, Künstler, Kleinbeamte und Ex-Staatssekretäre richtergleich in die Medien und vor die Öffentlichkeit, auch wenn keine belastbaren Urteile oder wenigstens greifbare Beweise vorgelegt werden und er tut das jedes Mal mit Namen und Adressen, was zum Teil irreparable Folgen hat. Hier wird stets mit dem "Gerechtigkeitssinn des Volkes" argumentiert, man müsse "die Schuldigen für die Misere Ungarns zur Verantwortung" ziehen. Mittlerweile sieht sich Kommissar Budai selbst mit einer Reihe Klagen konfrontiert.

Auch wenn das Gericht im Falle Dávid / UD gesetzeskonform geurteilt hat, bleibt die äußerst schiefe Optik bestehen, dass, wenn es um die eigenen Leute geht, Persönlichkeitsrechte zur Verschleierung der Schuldfrage ganz gerne herangezogen werden, also zweierlei Maß angelegt wird. Immerhin wäre dem Gericht auch die Möglichkeit geblieben, "öffentliches" über "privates" Interesse zu stellen. Im Grunde genommen zahlt Dávid jedoch auch den Preis für ihre politische Verzweiflung im Angesicht des Untergangs ihrer Partei. Doch gerade im UD-Fall geht es um nicht weniger als um die Frage, ob politische Gruppen versucht haben, mit kriminellen Mitteln an die Macht zu kommen und wer im Geheimdienst- und Staatsapparat darin mitverwickelt war, also Hochverrat begangen hat.

Es gab kürzlich einige öffentlichkeitswirksame Verhaftungen und Verhöre von Ex-Sicherheitsleuten, darunter auch Chefs des Nationalen Sicherheitrates, doch ohne greifbare Ergebnisse, alle Akten bleiben auf Anweisung "von oben" unter Verschluss... Daher weiß man offiziell nicht einmal, ob die Einvernahme der Ex-Geheimdienstler überhaupt im Zusammenhang mit dem UD-Fall erfolgte. Fidesz-Freunde stehen nicht allein im Verdacht, sondern auch die naheliegende Frage im Raum, ob die politischen Gegner ihnen eine Falle gestellt haben könnten. Immerhin standen die Sozialisten seit 2008 permament mit dem Rücken zur Wand. Die andere Version lautet: Rache der Rechten für die Wahlniederlage von 2006. Aber so plump? Dass es hier zu keiner sichtbaren Aufklärung und in gewisser Weise zu einer Täter-Opfer-Umkehr kommt, ist für die gesamte Szenerie bedenklich, nährt den Verdacht überparteilicher Absprachen vorbei an allen Gesetzen und passt damit in das an beängstigenden Peinlichkeiten reiche Bild des politischen Ungarns, das gerade erst wieder durch WikiLeaks so eindrucksvoll coloriert wurde.

red.

Hintergrund:

Mehr zum UD-Fall: Goliath gegen Dávid - Ein Spionageskandal erschüttert Ungarn - Sep. 2008 http://www.pesterlloyd.net/2008_38/2008_38/0838mdfskandal/0838mdfskandal.html

Zur Rolle von Sonderkommissar Budai: Im Namen des Volkes? Budai auf Sozialistenjagd - Feb: 2011 http://www.pesterlloyd.net/2011_08/08budaijagtDrPhil/08budaijagtdrphil.html
 

 

 


 

 

 

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