(c) Pester Lloyd / 36 - 2011 FEUILLETON 16.09.2011
Am Anfang war...
Ein Zeitungsartikel als Staatsaffäre - eine Posse aus Ungarn
Als sich der ungarische Staatspräsident Pál Schmitt neulich die Zeitung vorlesen ließ, ist ihm ein Artikel aufgefallen worden, der ihm ganz und gar unmöglich erschien. Hat
es doch ein im Ausland lebender ungarischer J*** gewagt, die ungarische Nation als pathologisch unbelehrbares Untertanenpack zu diffamieren. Ein klarer Verstoß gegen
die Wettbewerbsregeln, denn Beleidigungen und Primitivität sind hierzulande Monopol der Rechten. Nun wird überlegt dem Schriftsteller seinen Kossuth-Preis wegzunehmen.
UPDATE 21.09.: Budapest entzieht Kertész Ehrenbürgerschaft >>>
Der Schriftsteller, Filmdramaturg und linke Kolumnist, Ákos Kertész, hatte Ende August
mit einem Beitrag in der "Amerikai Népszava" für entsetztes Aufsehen gesorgt, weil er darin "den Ungarn genetische Unterwürfigkeit" und die pathologische
Unfähigkeit bescheinigt, ihre wahren Probleme und historische Verbrechen erkennen und lösen zu können. Sie seien unwillig und unfähig zu lernen und suchten
die Verantwortung und Schuld stets bei anderen und wollten jene, die ein sinnvolles Leben führen am liebsten vernichten. Die Ungarn seien die einzigen, die ihre Mitschuld
am Holocaust bis heute nicht eingestanden haben.
Böser, alter Mann... und jetzt auch offiziell Feind der Nation: Ákos Kertész
Soweit, so billig. Kertész bediente sich dabei einem Duktus, den man hierzulande sonst bei
der extremen Rechten erlebt, die gerne die "Menschen nichtungarischen Herzens", Juden also, der Unfähigkeit zeihen, Ungarisch zu denken und zu fühlen. Kertész schlug in seinem
Beitrag auf demselben elendigen Niveau zurück, angeblich gedacht als doppelbödige Demaskierung der Gegenseite, - man darf feshalten, ein missglückter, ja dümmlicher
Versuch, zumal für einen sonst so virtuosen Schriftsteller.
Torte naschen mit dem Hassprediger
An die Hassrhetorik aus dem rechten
Lager hat man sich in Ungarn schon gewöhnt, ja, die Grenzen zwischen schwülstigem Orbán-Pathos, folkloristisch-frömmelndem Geschwafel von Vizepremier Semjén und Präsident
Schmitt und den revanchistischen Tiraden des Parlamentspräsidenten auf der einen und der blanken und plumpen Propaganda der Neofaschisten im Lande auf der anderen Seite verschwommen
ohnehin immer mehr.
So erhielt einer der führenden
Hassprediger des Landes, der Orbán-Freund und Fidesz-Mitgründer Zsolt Bayer, der in seiner Kolumne in der "Magyar
Hírlap" schon einmal bedauert, dass bei historischen Pogromen nicht genügend Juden und Kommunisten erschossen worden sind, kürzlich die Madách-Medaille aus den Händen seiner
Parteifreunde. Beim Fidesz-Geburtstag sah man ihn erst kürzlich wieder mit Orbán
zusammen die Geburtstagstorte naschen (Foto: fidesz.hu). Letzterer behauptete einmal im trauten Kreise ausländischer Diplomaten, dass die Linksliberalen schon von Geburt an
irgendwie unfähig sein, Ungarn zu regieren (stark sinngemäß wiedergegeben).
Dann schaltete sich der Präsident ein
Doch den Linken lässt man solche Dumpfheiten nicht so einfach durchgehen, - hier war
man wohl zumindest ein gewisses sprachliches Niveau gewöhnt oder erwartete man gar schon demütiges Schweigen? Jedenfalls war die Sache nicht durch die übliche mediale
Debatten-Welle, wie unungarisch Kertész womöglich sei (Jude halt, der Vater konvertierte zwar zum Katholizismus, aber...) und viel Kritik auch aus dem linken Lager an seiner als
halt- und maßlos empfundenen Tirade, abgehandelt. Nein, der Fall wurde in dieser Woche zum Politikum, ja zur Staatsaffäre als sich der Staatspräsident (!) persönlich einschaltete.
Kenner wussten sofort, dass die Sache nun nur schlimmer werden konnte.
Pál Schmitt fragte offiziell bei der Regierung an, ob man staatliche Auszeichnungen wegen
"unwürdigen Verhaltens" zurückziehen könne, insbesondere, wenn "das Benehmen die verfassungsmäßigen Rechte von Ungarn und der Nation verletzt.", so Schmitt in einem
Brief an Premier Orbán. Kertész ist u.a. Träger des Kossuth-Preises, der höchsten staatlichen Auszeichnungen für Künstler. Schmitt weiter: "Es ist meine Pflicht, die
verfassungsmäßigen Werte der Ungarischen Republik zu schützen", Auszeichnungen seien immerhin ein Ausdruck der Anerkennung durch die gesamte Nation, die Leuten
zustünden, die Ungarns Interessen wahrnehmen und Vorbildwirkung entfalten.
Einen Tag zuvor hatte Orbán-Sprecher Péter Szijjártó eine Entschuldigung von Kertész für
dessen "antiungarische Bemerkungen" gefordert. Prompt schaltete sich auch Vizepremier und KDNP-Chef (Fidesz-Wurmfortsatz) Zsolt Semjén ein. Es genügt ihm nicht, dass
Kertész einige Passagen seiner Äußerungen zurückgenommen habe, er solle sich entschuldigen oder seinen Preis entzogen bekommen, so Semjén, der gleichzeitig
ankündigte, eine Regelung zur Aberkennung von staatlichen Lorbeeren wegen ungebührlichen Verhaltens zu kreieren.
Präsident Schmitt (rechts) nahm vor wenigen Tagen die Ernennungsurkunde des neuen vatikanischen
Botschafters (Nuntius), quasi seines Führungsoffiziers, entgegen. Foto: KEH
Schmitt weiß, wer die wahren Feinde Ungarns sind
Die Initiative zur Aberkennung des Kossuth-Preises, wie sie Präsident Schmitt startete und
an der sich die ganzen anderen hauptamtlichen Nationenschützer nun abarbeiten, ging übrigens von einem Abgeordneten der neofaschistischen Partei Jobbik aus, die seit Jahren
durch chauvinistische und rassistische Rhetorik auffällt, ja eigentlich durch diese existiert, uniformierte Garden durch ungarische Dörfer marschieren lässt und in deren ideologischer
Bugwelle bereits eine Mordserie an Roma stattfand. Die Jobbik-Abgeordeten bringen es auch schon einmal fertig, im Parlament die Forderung nach staatlicher Geburtenkontrolle
bei den Zigeunern zu stellen. - Diese Leute haben jetzt Anzeige wegen Herabwürdigung einer ethnischen Gruppe, Beleidigung etc. erstattet.
Jobbiks Hauspostillen und Hofsender barikad, kuruc, jobbik-tv etc. üben sich täglich in
Volksverhetzung und Aufrufen zu Straftaten, ohne Konsequenzen oder derartige offizielle "Würdigung" zu erfahren. Der Staatspräsident ortet die Feinde der Nation ganz
offensichtlich eher bei einem eigentlich unbedeutenden ungarischen Exilantenblatt zu als in den "eigenen", schließlich "proungarischen" Reihen. Nun, Schmitt sieht die heutige
ungarische Ordnung auch von Gott gesandt, warum soll er, quasi dann als sein
Stellvertreter, nicht auch als oberste Zensurbehörde im Namen der Nation dienen dürfen und zeigen, wo der Hammer hängt, - denn schließlich: "... im Anfang war das Wort und
das Wort war bei Gott..." und nicht bei Kertész oder sonst irgendeinem dahergelaufenen *************.
M.S.
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