(c) Pester Lloyd / 36 - 2011 WIRTSCHAFT 15.09.2011
Säbelrasseln
Ungarn und Österreich bereiten “Krieg um den Finanzplatz” vor
Dass politische Provokation eines von Orbáns Lieblingsspielen ist, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Doch diesmal könnte er es etwas zu weit
getrieben haben: während der Regierungschef noch versucht, die Rechtmäßigkeit seiner “sozialen” Maßnahme zu erklären, blasen Banken, Märkte und Regierungen
zum Gegenangriff. Das System schlägt zurück, immerhin stellte Orbán die Machtfrage.
Kämpferisch wie eh und je - in eigener oder “nationaler” Sache?
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán "erwartet", dass "zwischen 150.000 und
300.000 Ungarn" über ausreichende Ersparnisse verfügen, um von der Möglichkeit der Rückzahlung ihrer Fremdwährungskredite auf einen Schlag und zu einem von der Regierung festgelegten, weit unter dem aktuellen liegenden Wechselkurs, Gebrauch
machen zu können. Das sagte der Regierungschef am Dienstagabend im regierungsnahen TV-Sender HírTV. Weitere könnten sich dabei "auch von Freunden und Bekannten helfen
lassen", zeigte er sich optimistisch.
Hinsichtlich der angedeuteten Staatshilfen für die OTP und FHB Bank, meinte er, dass
"ausländische Mutterbanken hinter ihren Tochtergesellschaften stehen, wenn diese Schwierigkeiten haben" genauso steht Ungarn hinter ungarischen Banken ohne
ausländischen Hintergrund. Und im Duktus eines Walter Ulbricht sagte er weiter: ...der Staat habe nicht die Absicht, Banken teilweise oder ganz zu übernehmen.
Was mit jener Mehrheit der in Bedrängnis oder schon Zahlungsunfähigkeit geratenen
Schuldner geschieht, die weder über Ersparnisse noch über bereitwillige solvente Freunde verfügen, dazu wurde Orbán erwartungsgemäß nicht befragt, wäre so doch offensichtlich
geworden, dass es sich bei dem Regierungsplan eben nicht in erster Linie um eine Maßnahme “sozialer Gerechtigkeit” oder “Fürsorge für die Bürger” handelt, wie das von
vielen Normalsterblichen in ersten Reaktionen bejubelt und von der ungarischen Regierung auch selbst verkauft wurde, (“Wir geben ungarischen Familien ihre Freiheit wieder...”)
sondern um einen Schritt aus Machtkalkül. Wer Orbán soziales Gewissen unterstellt, sollte sich das neue Arbeitsrecht und die Auswirkungen der Flat tax besehen, um eines Besseren belehrt zu werden. Wie es Orbán mit der Wahrheit hält, kann hier nachgelesen werden. zu glauben, wir hätten einen ungarischen Robin Hood vor uns, ist falsch und sträflich naiv.
Mit Hilfe der staatlichen Rückendeckung werden ungarische Banken ihre Position im
Heimatmarkt stärken können, in dem die Position der ungeliebten ausländischen, vornehmlich österreichischen geschwächt wird. Diese können in Österreich (eventuell)
gewährte Staatshilfen nicht einfach nach Ungarn transferieren, müssten also auf eigene Mittel zum Verlustausgleich zurückgreifen, während sich die ungarischen Banken auf
langfristige Hilfen und schonende Arrangements von der eigenen Regierung stützen werden, auch an EU-Regularien zum fairen Wettbewerb vorbei. Wir stellten an dieser
Stelle schon einmal die Frage, warum Orbán nicht konsequenterweise den Bankensektor komplett verstaatlicht. Dahinter stünde dann wenigstens Logik und Plan (mit welchem Erfolg immer).
Zudem beinhaltet der teilweise Schuldennachlass auch, dass nicht geringe Teile der
Ersparnisse der Bevölkerung, die derzeit auf Sparguthaben brach liegen, in die Finanzwelt umverteilt werden, wofür diese sich mit Gehorsam bedankt. Nicht umsonst sah man den
mehrfach gewendeten OTP-Chef Csányi häufig lächelnd an Orbáns Seite, dessen Wirtschaftspolitik lobend. Orbán drohte ja bereits vor Tagen damit, die Sparguthaben der
Ungarn “auf die eine oder andere Art für die Finanzierung des Staatshaushaltes nutzbar zu machen”. Kurz: Orbáns Vorschlag soll vor allem seine Machtbasis um eine weitere
Säule, die Kontrolle des heimischen Finanzmarktes, erweitern. Wenn er dabei auch noch den Eindruck einer Hilfe im Volksinteresse vermittelt, umso besser.
Der Befreiungsschlag, der keiner ist, ist außerdem ein grandioses Ablenkungsmanöver von
der immer offensichtlicher scheiternden Wirtschaftspolitik der Orbán-Regierung.
Orbán erwartet zunächst einen "Angriff" der Europäischen Gerichte, die Konsequenzen aus
der Entscheidung "für das ungarische Volk" werde jedoch "allein der Staat tragen, nicht die
Schuldner". "Soweit ich das ungarische Gesetz kenne, verstößt der Vorschlag der Regierungsparteien nicht gegen ungarisches Recht." sagte Orbán. Angesprochen auf die
internationalen Reaktionen, erklärte Orbán, er habe ein zwei Anrufe europäischer Regierungschefs und des EU-Kommissionspräsidenten erhalten, werde aber nicht
ausbreiten, was sie ihm gesagt haben. Bei der Einführung der Bankensteuer habe er genauso viele Anrufe bekommen.
Nachdem sowohl der österreichische Außenminister Spindelegger wie auch Kanzler
Faymann verbal gegen die Pläne der ungarischen Regierung protestiert hatten, setzte
einen Tag später auch die Fachministerin für Finanzen, Maria Fekter nach, mit einem Brandbrief nach Budapest. Der Chef der Österreichischen Nationalbank, Ewald Novotny,
empfahl der Regierung, vor Gericht zu ziehen. Die EU-Kommission äußerte "Bedenken", will die geplanten Maßnahmen jedoch zunächst prüfen. Anhängig seien hier Fragen nach
Wettbewerbsverzerrungen durch (indirekte) nicht statthafte Beihilfen, die Behinderung des freien Kapitalverkehrs sowie Eingriff in die Eigentumsrechte. Der Professor der
Wiener Wirtschaftsuniversität, Stefan Pichler, rüstete, laut Wirtschaftsblatt verbal bsonders heftig auf und nannte die Idee “faschistisch”. Er rät den österreichischen Banken
zum direkten Rückzug, “wenn sie es können.”
Auffallend bleibt, dass Aktionismus und Widerstandswillen in Österreich wie der EU bei
diesem Thema ungleich höher sind als beim Abbau von Demokratie und Grundrechten, wie er in Ungarn seit mehr als einem Jahr stattfindet. Die “Interessensvertreter” haben damit
ein deutliches Bekenntnis abgeliefert. Denn bei Mediengesetz, Verfassung, Arbeiterrechteabbau und institutioneller Gleichschaltung schwieg das politische Österreich
- ein vereinzelter SPÖ-EU-Parlamentarier ausgenommen - fein stille. Werden vitale Interessen des Kapitals angekratzt, geht man auf die Barrikaden...
Derweil starten die Finanzmärkte ihren Gegenangriff: der Forint schmierte gegenüber
dem Euro Richtung 290 zu einem neuen Jahrestief ab, nachdem Ratingagenturen Warnungen über den “Eingriff in den Rechtsstaat” herausgegeben haben. Ebenso steigen
die Zinsen auf Staatsanleihen drastisch - zunächst im Sekundärmarkt - weil sich große internationale Anleger in Massen von ungarischen Staatspapieren trennen. Somit wird sich
der Schuldendienst der Staatskasse wieder verteuern, ebenso die Fremdwährungskredite für jene, die nicht in der Lage sein werden sie abzulösen. (das staatliche Hilfspaket
prolongiert bloß die Zahlungen, verringert sie aber in Summe nicht).
Orbán könnte seinem Land also einmal mehr einen Bärendienst erwiesen haben, was
immer die “angemessene Antwort auf Angriffe von außen”, die er ankündigte, auch sein wird. Ideologie vor Pragmatismus, Wahn vor Vernunft, das Lebenslied dieser Regierung
bekommt die nächste Strophe.
Unsere Hauptbeiträge zu diesem Thema:
Ein Gespenst geht um... - 13. September
Ungarn fordert mit seinem "Banküberfall" Österreich und das System heraus
Zahlungsbefehl - 10. September
Regierung von Ungarn stürzt Banken in eine neue Krise
red. / ms. /js.
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