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(c) Pester Lloyd / 36 - 2011  POLITIK 13.09.2011

 

Ein Gespenst geht um...

Ungarn fordert mit seinem "Banküberfall" Österreich und das System heraus

Während beim Abbau von Grundrechten und demokratischem Rechtsstaat in Ungarn die Solidarität der europäischen Konservativen hielt: beim Geld hört die Freundschaft defintiv auf. Österreich will eine einstweilige Verfügung auf europäischer Ebene gegen den Widerspenstigen in Budapest erwirken, dessen legislatives Dauerfeuer nichts als nakte Panik verrät. Orbán wickelt seine Befreiungsaktion von der Last der Fremdwährungskredite in einen Aktionsplan und ruft wieder einmal den ökonomischen Verteidigungsfall aus.

Am Montagnachmittag begründete und konkretisierte Regierungschef Viktor Orbán seinen Vorschlag, zur vereinfachten Rückzahlung von Fremdwährungskrediten, der die Banken in Angst und Schrecken versetzte. Er verpackte ihn in einen "Aktionsplan zum Schutz des Landes" und warnte vor "spekulativen Attacken von außen" auf den Forint, auf die es konkrete Hinweise gäbe. Man werde in Zukunft gezielt gegen "Kredithaie" vorgehen. Kredite, deren Kosten mehr als 30% der Kreditsumme betragen, werden strafrechtlich verfolgt (bei etlichen Forex-Krediten ist das allein durch die Kursschwankungen längst der Fall).

Orbán stellt die Machtfrage

Für die Banker aber war das wichtigste die, zunächst beruhigende Nachricht, dass Orbán sie nicht zur Vergabe von Forintkrediten zwingen wird, damit die Kunden ihre Fremdwährungskredite loswerden. So bleibt also der groß angekündigte Befreiungsschlag aus den Frankenketten doch nur dem solventeren und also kleineren Teil der Schuldner vorbehalten, die über derartige Reserven verfügen, um ihren Kredit auf einen Schlag zurückzuzahlen.

Die Verluste, die sich die Banken dabei ausrechnen (allein die österreichischen rechnen nach ersten Schätzungen mit realen Verlusten von 1-2,5 Mrd. EUR) sind dennoch so hoch und der Tabubruch ist für die bürgerliche Welt so einschneidend, dass die Politik auf den Plan gerufen wird und sich das Thema zu einer diplomatischen wie europapolitischen Machtprobe auswächst, denn Orbán stellte die Machtfrage.

Die Interessen der Banken will Österreich "mit allen Mitteln" schützen

Wer noch Zweifel hatte, auf wessen Seite die Konservativen stehen, wenn es einmal wirklich hart auf hart kommt, wurde von der ÖVP in Österreich, namentlich von Parteichef und Vizekanzler Michael Spindelegger aller Unklarheiten beraubt: Dieser sprach in - für Wiener Verhältnisse - ungewöhnlicher Härte und Offenheit von einem "gehörigen Problem", dass man mit Orbán nun habe und rief sogleich die EU-Kommission an, sie möge beim Europäischen Gerichtshof eine einstweilige Verfügung gegen die Pläne erwirken.

Die österreichischen Banker, bis zum Hals in osteuropäischen Fremdwährungskrediten stehend, an denen sie jahrelang prächtig verdienten, auch wenn die Schuldner gerade nur ein Mindesteinkommen bezogen, schrien unisono "Enteignung". Spindelegger sagte am Rande einer EU-Tagung in Brüssel, dass die österreichische Bundesregierung auf EU-Ebene "mit allen Mitteln" gegen die Pläne der Regierung in Budapest vorgehen wird. Der ÖVP-Chef meinte, dass die Pläne Orbáns "europarechtlich nicht haltbar" sind, was er seinem Kollegen János Martonyi "in schroffer Form" zur Kenntnis gebracht habe.

Es sei "nicht akzeptabel" und verstoße gegen die EU-Binnenmarktregeln, wenn die ungarische Regierung in privatwirtschaftliche Verträge eingreife: "Das bedroht die Banken in ihrer Existenz." zitiert "Der Standard" den sonst eher als verbalen Weichspüler bekannten Politiker. Spindelegger meinte zudem, dass sich Kanzler Faymann (SPÖ), in gleicher Härte und gleicher Verbindlichkeit direkt an Orbán wenden werde. Das wäre allerdings das erste Mal, dass Kanzler Faymann wegen irgendetwas "mit Härte" vorgeht.

Fasziniert beobachtete die rechte Politikhälfte Europas, wie man mit demokratischen Mitteln die Allmacht erlangen kann. Und nun?

So hatte man wohl nicht gewettet. Man erinnere sich an die Reaktionen der Konservativen in Europa als mit Mediengesetz und neuer Verfassung in Ungarn Grundrechte ausgehebelt, die öffentlich-rechtlichen Medien gleichgeschaltet und - durch eine ganze Kavalkade von Gesetzen - der Rechtsstaat bis zum hohlen Gerippe ausgehöhlt wurde. Da hieß es nur: sozialistische Kampagne gegen eine demokratisch gewählte Regierung, man müsse in der Demokratie den Willen der Mehrheit des Volkes akzeptieren. Die Sozis sind nur neidisch auf die Mehrheit des Fidesz. Die Europäische Volkspartei steht hinter ihren ungarischen Partnern. Fasziniert beobachtete die rechte Politikhälfte Europas, wie man mit demokratischen Mitteln die Allmacht erlangen kann.

Und nun? Was ist schon die Meinungsfreiheit gegen eine saftige Umsatzrendite, das Verfassungsgericht gegen einen Aufsichtrat... - Dass ein funktionierender Rechtsstaat auch die Marktwirtschaft schützen kann, wird man im schwarzen Europa nun unter Schmerzen lernen, vielleicht sollte sich auch die Wirtschaft allmählich Verbündete suchen, die im 21. Jahrhundert angekommen sind, auch wenn es schwer ist, sich alter Reflexe zu entledigen. Und auch die Wähler im Westen bekamen durch die hektische Aufgeregtheit einmal ungeschminkt einen Hinweis, wer denn nun wessen Interessen vertritt.

Wieder ein Rettungspaket: Kein Landkauf für Ausländer, kommunale Kostengrenzen, neue Mehrwertsteuerregeln

Ein weiterer Punkt des "Plans zum Schutz des Landes", den Orbán am Montag, zu Beginn der Herbstsessionen im Parlament mit den üblichen patriotischen Formeln verkündete, lautet: "Solange Fidesz-KDNP eine Mehrheit im Parlament haben und die Regierung stellen, werden Fremde hier kein Land kaufen." - Ungarn hatte ja, von der EU unter Schmerzen genehmigt, das Landkaufmoratorium für Ausländer voriges Jahr verlängert, in Zukunft wird man also nicht einmal mehr die EU deswegen um Erlaubnis fragen.

Orbán und sein Wirtschaftsminister Matolcsy bestätigten die um die Hälfte reduzierten Wachstumsprognosen, freilich alles einer Folge der Krise im Euroraum nicht der eigenen Überschätzung - und die damit gewachsenen Herausforderungen für einen stabilen Haushalt, der Vorraussetzung für die neue "Weltordnung", die "von Ungarn ausgehen wird" und ein "Leben ohne Schulden" bedeuten soll. Dazu wird man im Oktober und November weitere 3 Milliarden EUR aus dem Rettungspaket an IWF und EU zurückzahlen, "ohne dafür neue Kredite aufzunehmen". Das gelingt freilich nur, weil man den Beitragszahlern vorher rund 10 Mrd. EUR an privaten Rentenbeiträgen abgenommen hat. So will man auch 2012 das Defizit zum BIP unter 3% halten. Mehr dazu in der Wirtschaft

Eine weitere Maßnahme wird die Umkehrung der Mehrwertsteuerpflicht in der Landwirtschaft sein. Ungarn wird in der EU den Antrag stellen, dass in Zukunft in diesem Sektor die Käufer, die auf Kaufverträge fällige Mehrwertsteuer nicht mehr an den Verkäufer zahlt, sondern direkt an den Staat leitet. Außerdem wird, wie schon angekündigt, ein neuer Mehrwertsteuersatz von 35% auf Luxusgüter eingeführt werden. Weiterhin werde man eine Obergrenze für die Kosten für kommunale Dienste, also Müllabfur, öffentlicher Verkehr, Abwasser und Wasser festlegen, neue "Kardinalsgesetze" (Gesetze, die mir 2/3-Mehrheit beschlossen, in der Verfassung verankert und auch nur durch 2/3-Mehrheiten zu ändern sind) wird es für das Gesundheitswesen, die Renten und die kommunalen Verwaltungen geben. Hausrettungsplan und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (mit hoher administrativer und finanzieller Drohkulisse gegen “Sozialschmarotzer”) werden Teil des "Landesrettungsplanes".

Legislatives Dauerfeuer - aus nakter Panik

Hinsichtlich der enormen Kosten, den die Möglichkeiten der Forex-Kreditrückzahlungen auf einen Schlag den Banken aufbürden können, versicherte Orbán die heimischen Institute, hier sind vor allem die OTP und die FHB gemeint, der Unterstützung des Staates. "An dieser sollten die Banken nicht zweifeln". Möglich, dass Orbán also eventuell notwendige Staatshilfen nutzen wird, um einen Fuß als Eigentümer in die Banken zu bekommen. Er kreirt sozusagen eine künstliche Bankenkrise bzw. forciert die latente, um den nächsten Schritt der Sicherung "nationaler Interessen in strategischen Branchen" zu gehen. Hinsichtlich "internationaler Kritik", gibt sich Orbán kämpferisch. Sein Land werde "passende Gegenmaßnahmen" ergreifen, sollten für das Land nachteilige Sanktionen ergehen.

Doch bevor "die Linke" einen neuen Helden entdecken möchte, möge sie bitte die Politik- und Gesellschaftsseiten dieser Zeitung studieren: tragisch an dem ganzen Wirbel, der sich nun um den Vorstoß Orbáns zusammenbraut, ist, dass den Menschen, zumindest der bedürftigeren Masse, dadurch nicht geholfen wird. Die dazu nötigen Maßnahmen sind durch Orbáns heilige Kühe, allen voran die Flat tax, zugestellt. Maßnahmen für ein langfristiges und nachhaltiges Wachstum mit strukturellen Reformen bisher so gut wie keine auf den Weg gebracht, denn dieser Regierung, das hat sie nun schon häufig gezeigt, fehlt dazu offenbar der nötige Sachverstand und Überblick, sie ist besessen von ihrer Sendung und unfähig wie unwillig Kompromisse einzugehen und damit das Mögliche zu erreichen. Orbán will ja nicht den Kapitalismus stürzen, er will ihn nur neu interpretieren. Eine gerechtere Gesellschaft ist nicht der Plan, eine ständische soll es sein, sehr national und ein bisschen sozialistisch und unter möglichst totaler Kontrolle (s)einer Partei.

red. / ms.

12. September

Erste Reaktionen auf den Forex-Vorstoß in Ungarn

Übers Wochenende kamen die ersten Reaktionen aus dem Fach- und Politlager zum Vortoß der Regierungsparteien, Forex-Kreditnehmern per Gesetz die Rückzahlung ihrer Kredite auf einen Schlag zu den von der Regierung festgelegten Kursen zu Lasten der Banken zu ermöglichen. Hier unser Beitrag dazu. Der Schreck über die Radikalität des Plans sitzt offenbar tief, denn die wenigsten hatten substantielles zu melden, meist handelte es sich um reflexartige Abwehr. - Der Regierungschef will heute konkreter werden.

Die Banken

Die geplante "Befreiung" von Schuldnern würde den Banken massive Verluste bescheren, sowohl beim operativen Gewinn als auch beim Aktienpreis. Doch die Banken sorgen sich - wie stets - in erster Linie nicht um sich selbst, aber "die finanzielle Stabilität des Landes" könnte "gefährdet sein", so lautet die Warnung der Ungarischen Bankenvereinigung, der wichtigsten Lobbyorganisation der Finanzwirtschaft. Dies würde zudem "einen drastischen Einfluss auf die Realwirtschaft haben", drohen die Banker, deren Vertreter gleich nach der Ankündigung am Freitag ein außerordentliches Treffen einberufen haben. Dabei riefen sie die Regierung dazu auf, "erwartbare Konsequenzen und mögliches Leid" zu bedenken. Viel mehr fiel den Bankern nicht mehr ein, sind sie doch nun schon desöfteren von der Regierung brüskiert worden.

Die Zentralbank

Die Zentralbank des Landes schloss sich den Geschäftsbanken in sofern an, dass sie "nur eine Lösung gutheißen kann, die das Funktioneren und die Stabilität des Finanzsystems sicherstellt."

Das Ausland

Es ist von hektischen Hinterzimmeraktivitäten in Österreich, deren Bankentöchter besonders betroffen wären, zu hören.

Die Analysten

Branchenanalysten sehen den Vorteil, dass Banken mit einem deutlich geringeren Forex-Kreditportfolio stabiler seien, durch die Gewinnausfälle wieder aufgehoben. Zudem würde bei einer massenhaften Rückzahlung von Frankenkrediten, der Forintkurs weiter leiden.

Die Politik

Die Reaktionen aus dem politischen Lager waren so deutlich wie hilflos. Die Sozialisten von der MSZP sprachen von einem "gefährlichen politischen Bluff". Für die am meisten in Not befindlichen Schuldner bietet die Idee einer Rückzahlung der gesamten Kreditsumme - zu welchem Kurs auch immer - überhaupt keine gangbare Alternative, diese könnten ja kaum die monatlichen Raten aufbringen. Außerdem würde der Fidesz-Plan mehr Probleme machen als lösen und unnötigerweise Bankensystem und Forint ins Wanken bringen.

Die LMP stellte ebenfalls bloß, dass mit dem Fidesz-Vorschlag wieder nur den Bessergestellten geholfen würde, man ermögliche jenen, die sich das leisten können, einen komfortablen Ausstieg aus den Krediten, während die breite Masse auf ihren Schulden sitzenbleibt.

Irritiert zeigte sich die Rechtsaußenpartei Jobbik, die sich "konsequentere Hilfe" für Schuldner in letzter Zeit auf ihre populistischen Fahnen geschrieben hatte und deshalb gerade eine Unterschriftenrallye durchführt. Das Fidesz hat ihr nun ein weiteres Mal ein zugkräftiges "Thema" weggenommen. Man hege jedoch Zweifel, ob die Regierung wirklich mehr auf der Seite des Volkes, statt der Banken steht.

red.

 

 


 

 

 

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