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(c) Pester Lloyd / 40 - 2011  WIRTSCHAFT 03.10.2011

 

Gegen die Wand

Das Budget 2012 meandert durchs Parlament in Ungarn

Selbst Wirtschafts- und Finanzminister György Matolcsy mochte nicht mehr so recht an sein eigenes Werk glauben, als er am Freitag dem Parlament den Haushaltsentwurf 2012 zur "Beratung" übergab. Er sagte, der Entwurf basiere auf "gefährdeten Annahmen", versuche aber Reserven aufzubauen und die Staatsfinanzen zu schützen. Die Verteidigung eines aufgrund seiner falschen Annahmen zum Scheitern verurteilten Budgetentwurfes wird immer absurder.

Erhöhte Bruchgefahr: Während sich Premier Orbán und sein Vize Semjén bei der Eröffnung eines vom Staat unterstützten Solarwerkes der Jullich Glas medial als anpackend inszenieren, stottern die Fidesz-Wirtschafsexperten um den heißen Brei herum.

Man habe zwar einen "Puffer von 250-300 Milliarden" eingebaut, einer (angekündigten) Rezession "von der die Regierung nicht ausgeht", hält dieser aber nicht stand. Auch der Forintkurs von 268 sei wohl nicht mehr sehr realistisch. Matolcsy selbst geht von 280-300 aus, sagte aber nicht, wieso er dann immer noch einen längst überholten Entwurf ins Parlament einbringt. Fast jede Position ist natürlich durch die nicht mehr haltbaren Annahmen gefährdet:

- Die Zinszahlungen des Schuldendienstes werden - so die Planungen, an die die Regierung selbst nicht mehr glaubt, eintreten, von 3,8 auf 3,6 % des BIP sinken und 1.100 Mrd. Forint ausmachen (bei angenommenem Kurs von 268, den es aber nicht gibt...)

- die Inflation wird bei 4,2% gesehen, Investitionen sollen um 3% wachsen (sollten sie in diesem Jahr auch, bisher sanken sie).

- Die Gesamtausgaben sollen 14.527 Mrd. Forint betragen, die Einnahmen 13.950 Mrd. Forint (14.000 Mrd. Forint = ca. 47,5 Mrd. EUR), das Defizit (2,5% des BIP) soll bei 577 Mrd. Forint landen.

- Der Minister geht von einem worst case Szenario bei der Arbeitslosenquote von 10-11% aus (derzeit seit einem halben Jahr fast unverändert 10.8%, somit worst case = Realität).

- Es werde das erste Mal seit 20 Jahren der Fall eintreten, dass die Ausgaben der Rentenkasse, durch Einnahmen gedeckt sind, was allerdings kein Wunder ist, da man in diesem Jahr umgerechnet rund 4-5 Mrd. EUR der zwangsverstaatlichten 10.5 Mrd. in die Kassen gepumpt hatte. Die Renten werden an die Inflationsrate angepasst, wahrscheinlich.

- Wie schon erwähnt, wird es "kleinere" Änderungen bei der sogenannten Flat tax geben, aus dem Super- wird für Einkommen bis 202.000 Forint ein Halbsuperbrutto (also die Hälfte der Arbeitgeberanteile an den Sozialabgaben wird den Arbeitnehmern auf die Steuerbasis aufgeschlagen), Einkommensbezieher über 202.000 Forint müssen mit einer "temporären" Soli-Abgabe für untere Einkommensbezieher leben, die minimalen Arbeitgeberanteile werden auf das eineinhalbfache des gesetzlichen Mindestlohns berechnet, dieser wird wiederum um 18% erhöht. Das nennt der in Minister in Gänze "ein Überführungssystem" zur totalen Flat tax.

- Die Mehrwertsteuer (Regelsatz) wird um weitere 2 Punkte auf den Europarekord von 27% angehoben, Steuern auf Alkohol, Tabak, Glücksspiel werden angehoben, die Zuschüsse auf Medikamente um 50% gestrichen, die einmal vorgesehene Senkung der Áfa auf Lebensmittel ist storniert.

- Die rund 300 Milliarden Schulden der Ungarischen Staatsbahnen MÁV werden nicht, wie zunächst vorgesehen, in diesem Jahr getilgt, um den Weg für eine umfassende Sanierung freizumachen. Die Gelder, die dafür u.a. aus den beschlagnahmten privaten Rentenversicherungsbeiträgen vorgesehen waren, werden für die Erreichung des Defizitziels 2011 benötigt, wo sich ganz überraschende Lücken auftaten... Der staatliche Bahnbetrieb kostet jährlich rund 350 Mrd. Forint, nur etwas mehr als 100 Mrd. erwirtschaftet die MÁV selbst, der "Rest" fließt als Staatszuschuss. Um die jährliche Neuverschuldung von ca. 50 Mrd. und die hohen Staatszuschüsse abzubauen, ist eine komplette Umstrukturierung notwendig, die die Regierung in Form einer Gesamtlösung für den öffentlichen Verkehr anvisierte. Woher später eine solche Unsumme kommen soll, ist völlig offen. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass auch die Staatshilfen für die Fluglinie Malév auf der Kippe stehen.

Inzwischen kommen weitere,immer widersprüchlichere Kommentare zur Qualität des Staatshaushaltsplanes 2012 an die Öffentlichkeit. Schon in der Vorwoche hatten wir von den haarsträubenden, vollkomen desorientierten Interpretationen aus dem Regierungslager (Berater Varga und Haushaltsratschef Járai) berichtet. Während Justizminister (auch öffentlicher Dienst) und Vizepremier Tibor Navracsics offenherzig von einer Art work in progress und dauernden Korrekturen am Budgetentwurf 2012 in den nächsten drei Monaten sprach, pries der Fidesz-Abgeordnete, gleichzeitig Vorsitzender des parlamentarischen Haushaltsausschusses, Antal Rogán, den Entwurf als "solide" und "wichtigen Schritt, um Ungarn ein griechisches Schicksal zu ersparen und sich von der europäischen Krise zu entfernen".

Rogán, auch bekannt als "His Masters Voice", ging weder auf die von sämtlichen Experten als völlig überzogenen Wachstums- und Steuerprognosen ein, noch auf dem Umstand, dass der Entwurf auf einem Forintkurs um Euro von 268 basiert, während wir heute rund 294 verzeichnen, sondern behauptet weiter, dass "in keiner Einkommensklasse" im nächsten Jahr die Steuern steigen werden, es eine "Rekordreserve" von 300 Mrd. Forint gibt, das Einkommen für Eltern mit Kindern im Schnitt wenigstens um 10.000 Forint pro Monat höher ausfallen wird als in diesem Jahr. Dass durch erhöhte Steuern und Abgaben unter dem Strich weniger bleiben muss, sagte der Demagoge nicht. Steuererhöhungen gäbe es nur in Bezug auf Konsum, nicht bei der Arbeit, lautet die Formel. Er möge das einmal einem Arbeitgeber erläutern.

Die Opposition von links bis extrem rechts, sieht im Budget und den realitätsfernen Einschätzungen der Regierungspartei eine Bankrotterklärung in der Wirtschaftspolitik, die Fehleinschätzungen werden in jedem Falle einen Nachtragshaushalt notwendig machen, die Vorhersagbarkeit der ungarischen Wirtschaftspolitik und somit auch das Vertrauen von Finanzmärkten und Investoren werde eine weiteres Mal beschädigt. Vor allem Gábor Scheiring, Wirtschaftssprecher der LMP widersprach der Rogánschen Behauptung, dass Familien und normale Bürger im nächsten Jahr nicht weiter belastet würden. Das Budget und die es begleitenden Steuernovellierungen packen "Normalverdienern, Familien und der Mittelklasse" im kommenden Jahr 1.000 Milliarden Extralasten auf, so Scheiring.

Während die für ihre verantwortungslose Haushaltspolitik zu recht gescholtenen Vorgängerregierungen, vor allem jene von Ex-Premier Gyurcsány, bewusst gelogen haben, um dem Volk die schmerzhafte Wahrheit im Tausch für Wählerstimmen zu ersparen, scheint bei dieser Regierung Zweifel an der Fachkompetenz angebracht. Alle Welt sieht, dass die vorgelegten Berechnungen nicht stimmen können werden, dennoch wird man sie zum Gesetz erheben. Das Fidesz fährt also sehenden Auges gegen die Wand und nimmt das Land dabei mit.

red.

 

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