(c) Pester Lloyd / 40 - 2011 WIRTSCHAFT 05.10.2011
Gyurcsány vor dem Staatsanwalt
Der ungarische Ex-Premier gilt nun offizell als Beschuldigter
Die ungarische Generalstaatsanwaltschaft hat am Montag offiziell Anklage gegen Ferenc Gyurcsány wegen Amtsmissbrauchs im „Sukoró-Fall“ erhoben. Dem
ehemaligen sozialistischen Ministerpräsidenten (MSZP) wird die illegale Einflussnahme auf einen Landtauschdeal zugunsten einer Investorengruppe im Zuge des
umstrittenen Casinoprojektes am Velencer See vorgeworfen. Gyurcsány behauptet seine Unschuld, greift die Anwaltschaft an und spricht weiter von einem "Schauprozess".
Unter dem Protest seiner vor dem Gebäude der
Generalstaatsanwaltschaft versammelten Anhängerschaft erschien Gyurcsány (auf dem Foto mit seiner Tochter) persönlich zu der 45-minütigen Anhörung am Montag in Budapest. Wie der
Staatsanwalt Imre Keresztes danach in einem Statement mitteilte, bestritt Gyurcsány alle gegen ihn vorgebrachten Anklagepunkte und reichte eine Beschwerde gegen die Beschuldigungen und seine
Einstufung als Beschuldigter ein. Die Fragen der Staatsanwaltschaft ließ Gyurcsány unbeantwortet, eine Aussage zur Sache lehnte er ab.
Politjustiz allemal, aber Gyurcsány, hier am Montag mit seiner
Tochter im Arm, umringt von Fans, scheint diese Vorlage gern für eine Inszenierung als “Märtyerer der Linken” zu nutzen...
Gyurcsány, dessen parlamentarische Immunität kürzlich aufgehoben wurde, um eine
gerichtliche Verfolgung zu ermöglichen, wird verdächtigt eine öffentliche Ausschreibung des Casino-Projektes bewusst umgangen zu haben, indem er der Regierung in dieser
Angelegenheit ein Prioritätsrecht einräumte. „Gyurcsány´s Entscheidung hat den Wettbewerb verzerrt und eine öffentliche Ausschreibung mit dem Ziel verhindert, der
Investorengruppe einen einseitigen und gesetzeswidrigen Vorteil zu verschaffen“, so Keresztes weiter.
Nach der Anhörung griff Gyurcsány die Staatsanwälte scharf an, indem er ihnen die
Verletzung ihres Amtseides vorwarf, welcher sie zur Unbefangenheit verpflichte. Stattdessen würden sie sich an einem skandalösen „Schauprozess“ beteiligen. Gyurcsány
betonte, dass der Prozess gegen ihn und sechs weiteren Mitangeklagten rein politisch motiviert sei. Er kündigte an, dass er die Mitschrift und die Aufnahmen der Anhörung
noch am gleichen Tag veröffentlichen werde.
Der Fall, der bereits im Oktober 2009 das erste Mal ins Rollen kam und den damaligen
Chef des Liegenschaftsamtes den Posten kostete, geht ursprünglich auf das Engagement des heutigen LMP-Parlamentiers András Schiffer zurück, welcher damals als Vorsitzender
einer Umwelt-NGO (Sukoró liegt in einem Naturschutzgebiet) gegen Gyurcsány wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch klagte. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass das
Geschäft dem Staat einen Verlust von 1.3 Milliarden Forint bescherte (4.8 Mio. Euro). Die Unterstützer des mittlerweile eingestellten Projektes geben hingegen an, dass rund um
das neue Casino und den Velencer See 3000 neue Arbeitsplätze geschaffen und enorme Steuereinnahmen generiert worden wären.
Varga / red
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