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(c) Pester Lloyd / 41 - 2011  POLITIK 14.10.2011

 

Mächtig Ärger

Ungarn droht Serbien mit Veto gegen EU-Beitritt

Der ungarische Außenminister János Martonyi hat Serbien einmal mehr mit "ernsthaftem Ärger" gedroht, wenn die Regierung in Belgrad das "moralisch, rechtlich und politisch unakzeptable" Restitutionsgesetz, welches, so Martonyi, die "ungarische Minderheit diskriminiert" nicht schnell ändert. Tatsächlich enthält es einen Passus übelster Sippenhaftung, doch auch dem sonst so umgänglichen Chefdiplomaten gingen die Pferde durch, was der Sache gar nicht hilft.

Mächtig Ärger - Außenminister János Martonyi fährt aus der Haut...

Der ungarische Außenminister drohte offen damit, das sein Land ein Veto gegen den EU-Beitrittskandidatenstatus Serbiens einlegen könnte. Dem entgegen empfahl die EU-Kommission gestern, wenn auch mit Vorbehalten anderer Art, Serbien diesen Status im Dezember zuzuerkennen. Die letzte Entscheidung, ob Ungarn von seinem Vetorecht Gebrauch macht, "falle, wenn die Zeit gekommen ist", Serbien könne sich jedoch auf "mächtig Ärger" einstellen.

2 Milliarden Euro für 150.000 Betroffene

Das serbische Parlament verabschiedete am 26. September ein Gesetz, das die Restitution bzw. Entschädigung von Immobilien- und Grundbesitz regelt, der in der Tito-Ära enteignet worden war. Es umfasst einen Fonds, der mit 2 Mrd. EUR ausgestattet ist und betrifft die Ansprüche von bis zu 150.000 Menschen. Darin findet sich auch ein Passus, der keinesweges ethnische Minderheiten von Ansprüchen ausschließt, wohl aber "Angehörige von Besatzungstruppen und ihre Nachfahren", was im Falle der vor allem in der Vojvodina ansässigen ethnischen Ungarn ein heikles Thema ist.

Historisches Paradoxon von "einheimischen Besatzungstruppen"

Nach den sogenannten "Wiener Schiedssprüchen", die eigentlich "Hitler-Horthy-Pakt" heißen müssten, fiel 1940 die nach dem Ersten Weltkrieg von Ungarn abgetrennte Südslowakei und Teile Siebenbürgens wieder an Ungarn und wurden von Horthys Truppen besetzt. Nicht so viel bürokratische Mühe machte man sich mit der Vojvodina, hier marschierten 1941 deutsche und ungarische Truppen gemeinsam ein. Polizei- und Militäreinheiten richteten zum Teil grausige Massaker unter Serben, Juden, Roma an. Diese Polizeitruppen rekrutierten sich natürlich auch und vor allem aus den ungarischen Bewohnern der Vojvodina, was zu dem Paradoxon einheimischer Besatzer führte. Gegen Kriegsende und auch danach revanchierten sich die Tito-Truppen, wie auch viele Bürger für diese Freveltaten, wie immer bei solchen Abrechnungen auch an vielen Unschuldigen, unter Milosevic wurden diese Feindbilder zum letzten Mal erfolgreich niederträchtig aufgewärmt.

Deutsche Wehrmacht und ungarische Polizeitruppen besehen sich ihr “Werk”... 1942 in Novi Sad.

Sippenhaftung wie in den Benes-Dekreten

Das jetzige Gesetz, so die ungarische Sicht, unterwerfe die ungarische Volksgruppe einer Kollektivschuld, was "mit europäischen Normen unvereinbar sei", wie Martonyi hier besonders deutlich betont. Serbien beharrt indes darauf, dass nur die Familien betroffen wären, deren Vorfahren sich etwas zu Schulden kommen ließen, was dann zwar keine Kollektivschuld, sondern eher Sippenhaft zu nennen, aber genauso verwerflich wäre. Warum jedoch Töchter oder Söhne von Besatzern für die Taten ihrer Vorfahren herhalten sollen, kann die serbische Seite genausowenig erklären, wie es die tschechische und slowakische angesichts der Benes-Dekrete konnte bzw. wollte, deren Fortbestand die EU auch nicht von der Aufnahme dieser Länder in die EU abhielt.

Etwas dick trug Martonyi in seiner Argumentation jedoch auf, als er behauptete, dass es nicht sein könne, dass auch noch "Enkel als Kriminelle" eingestuft würden, in seinem Land würden sogar "die 1956 nach Ungarn kommandierten Sowjetsoldaten nicht als Kriminelle, sondern als Opfer betrachtet werden", so der Minister in offener Unterschlagung der tatsächlichen Haltung und Stimmung in seinem Lande zu diesem Thema.

Die parlamentarischen Oppositionsparteien unterstützen den Protest der ungarischen Regierung zu diesem Thema, am lautesten natürlich die Jobbik, deren Äußerungen zum Thema jenen der übelsten serbischen Nationalisten nicht auch nur um einen Deut nachstehen.

Budapester Marktschreierei torpediert gemäßigte Lokalpolitiker

Insgesamt werden die erfreulichen Entwicklungen in der Region, die sich im kürzlichen Abringen einer für serbische Verhältnisse relativ weitgehenden kulturellen und kommunalen Autonomie der ungarischen Minderheit zeigten, durch dieses Gesetz und die unklug lautstarke Reaktion aus Budapest wieder gefährdet. Anstatt hinter verschlossenen Türen die tatsächlich inakzeptablen Punkte abzuarbeiten, zerrte Ungarn die Sache auf die Bühne des politischen Theaters, was auch den Schmierenkomödianten beider Seiten wieder die Gelegenheit gibt ihre hässlichen Verslein beizusteuern und die Atmosphäre für vernünftige Verhandlungen weiter zu vergiften.

Budapest riskiert durch seinen aggressiven Stil, offenbar bewusst und wie zuvor schon in der Slowakei und Rumänien und - zum Teil auch der Ukraine - die sorgsamen Bemühungen der Minderheitenpolitiker vor Ort ihrer marktschreierischen Nationalideologie zu opfern. Offenbar sind die Politiker beider Seiten zu einem Umgang mit einer derart sensiblen Thematik nicht qualifiziert. In Europa, mit seinen zahlreichen und kaum vernarbten Wunden, sollten das aber alle maßgeblichen Politiker sein.

red. / ms.

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http://www.pesterlloyd.net/2009_45/0945vojvodina/0945vojvodina.html

Mehr zum Verhältnis Ungarns zu seinen Nachbarn in der AUSSENPOLITIK

 

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