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(c) Pester Lloyd / 41 - 2011  NACHRICHTEN 11.10.2011

 

Richterdürre & Automatensterben

+ + + Nachrichten aus Ungarn auf einen Blick + + +

Wie verhindert man Spesenmissbrauch bei Parlamentariern? - Staat bastelt sich eigene Uni für Beamte - 274 Richter in 30 Tagen gesucht - Schüler von neuer Verfassung "irritiert und überfordert" - "Chipssteuer" soll steigen und auch auf Fake-Produkte und Kaffee kommen - Inflation pendelt sich auf Jahresziel ein - Kreditablöse auch für "gute" Kredite möglich - Glücksspielindustrie warnt vor "Automatensterben..."

Wie verhindert man Spesenmissbrauch bei Parlamentariern?

Fidesz-Fraktionschef János Lázár, dem eventuell bald eine saftige Beförderung bevorsteht, hat einige Änderungen im Vergütungssystem für die ungarischen Parlamentsabgeordneten vorgeschlagen, vor allem, um Missbrauch mit Spesenabrechnungen und Doppelvergütungen in Zukunft zu vermeiden. Danach steigen die Diäten auf steuerfreie 750.000 Forint im Monat (2.500 EUR bzw. der rund 8fache Mindestlohn, rund 800 EUR mehr als jetzt) erhöht werden. Büro- und Mitarbeiterzulagen entfallen, ebenso cash-ausgezahlte Reise- oder sonstige Spesenabrechnungen, weiterhin werden Bezüge aus Zweitmandaten (z.B. in der Stadtversammlung) untersagt (wohlgemerkt: andere Nebentätigkeiten sind es nicht!).

Dafür soll den Abgeordneten von Parlamentsseite eine Wohnung (wenn keine Bleibe in Budapest) gestellt werden, ein Büro mit einem "politischen Mitarbeiter" und zwei Sekretärinnen sind ebenfalls drin, wovon eine jedoch aus dem Heimatdistrikt des Mandatars bezahlt werden soll. Die Wohnungen sollte das Parlament kaufen und verwalten, einrichten müssten sich die Parlamentarier diese aber selbst (wir sind sicher, dass sich dazu auch Sponsoren finden.) Weiterhin gibt es eine Tankstellenkarte "mit Benzin für 5.000 km"- Gerade letzterer Vorschlag belustigt doch eingermaßen, da János Lázár wohlweislich die Kilometer- nicht die Literzahl begrenzte, braucht doch die hochgetunte Version seines V8, dessen Besitz die Öffentlichkeit, angesichts seiner deprimierenden Einkommensoffenlegung, doch etwas verwunderte, den einen oder andern Liter mehr.

Die Sozialisten finden es nicht so toll, durch diese Regelung als Parlamentarier unter den Generalverdacht des Missbrauchs gestellt zu werden, da es ja Anfang des Jahres vor allem Fidesz-Abgeordnete waren, die durch Unregelmäßigkeiten auffielen. Angesichts der laufenden Hinterziehungs-, Korruptions- und Amtsmissbrauchsverfahren gegen ehemaligen sozial-liberale Amtsträger auf allen Ebenen, ist diese Anmerkung schon eine Leistung. Ein parlamentarisches Unterkomitee soll nun verschiedene Vorschläge in einen Gesetzestext gießen.

Mehr dazu:
Wieder Spesenmissbrauch bei Regierungspartei - April 2011
Fidesz-Politiker kassierte doppelt: Abmahnung - März 2011
Der Obstgarten der Oberzensorin - Juni 2011
Ungarische Mandats- und Amtsträger legen ihre kaum existenten Vermögen offen

 

Staat bastelt sich eigene Uni für Beamte

Am Montag beschloss das Parlament mit den Stimmen der Regierungsparteien (245:100), dass die Militärakademie Miklós Zrinyi, die Polizeihochschule sowie die Fakultät für öffentliche Verwaltung der Budapester Corvinus Universität zu einer Hochschule für den Öffentlichen Dienst vereinigt werden, unter der direkten Leitung der zuständigen Ministerien für Verteidigung, Inneres und Justiz bzw. Öffentlicher Dienst.

 

274 Richter in 30 Tagen gesucht

Ab 1. Januar sinkt das Ruhestandsalter für Richter in Ungarn von 70 auf 62 (bzw. dann schrittweise auf 65 Jahre). Das bedeutet allein für das kommende Jahr einen Exodus von 274 Richtern, was Einfluss auf die Bearbeitung von rund 40.000 Fällen hat. Hinter der Entscheidung steht das unverholene, politische Kalkül viele ältere Richter, die mutmaßlich noch dem früheren System und damit tendentiell den Sozialisten nahestehen, schneller loszuwerden und durch "eigene" Leute zu ersetzen. Das Parlament wies nun die Gerichte an, bis spätestens 31. Oktober ihren Bedarf an Nachrückern anzumelden, damit bis 15. November die entsprechenden Stellenanzeigen aufgegeben werden können, schon bis 15. Dezember sollen die Kandidaten "ausgewählt" sein.

Das Schweigen der Richter - Unrecht oder nicht?
Oberster Richter in Ungarn fürchtet um seinen Job

 

Hoffmanns Erzählungen: eine Verfassung für jeden Schüler

Bildungsstaatssekretärin Rózsa Hoffmann hat in einem ihrer gefürchteten Rundschreiben (intern: "Hoffmanns Erzählungen") sämtliche Schuldirektoren dazu aufgefordert, Schülern ab 10 Jahren zumindest die Präambel, älteren auch den gesamten Text zur neuen Verfassung auszuhändigen. Dies geschah am 6. Oktober, dem nationalen Gedenktag für die Märtyrer von 1849. Wie das Wochenmagazin HVG schreibt, bekamen die Direktoren Rückmeldungen von Lehrern und Eltern, die davon berichten, dass vor allem die jüngeren Schüler von dem "für sie unverständlichen und nicht einzuordnenden Text" vollständig irritiert waren. Viele wissen noch nicht einmal, was eine Verfassung ist und wozu sie dient, heißt es. Ältere Schüler wüssten das zwar schon, diese hätten aber schlicht Verständnisschwierigkeiten bei einer unkommentierten Ausgabe der Verfassung. Erst vor kurzem belustigte man sich über "Verfassungsräume", altarähnliche Aufbauten in jeder Kommune, auf ministerielle Anweisung, in denen die Verfassung, hübsch beschmükt und umrankt von nationalen Symbolen an einer bestimmten Seite aufgeschlagen sein soll...

Hier die Präambel der neuen Verfassung, entscheiden Sie selbst,
ob das was für 10jährige ist oder auch für Erwachsene...

 

"Chipssteuer" soll steigen und auch auf Fake-Produkte und Kaffee kommen...

Ein mit der Materie befasster Politiker der Regierungspartei hat angekündigt, dass die als "Chipssteuer" bekannt gewordene Absurdität einer Steuer auf "ungesunde Lebensmittel" (die freilich die traditionellen, ungarischen Fettbomben ausschließt und noch einige andere Ungereimtheiten aufweist, wie dieser Beitrag zeigt) deutlich angehoben werden soll. So könnten sich die Leute auf eine 25% Erhöhung der per 1. September eingeführten Strafausfschläge vorbereiten, zudem denkt man über die Ausweitung auf Kaffee (warum nicht auch Tee?) nach sowie auf Marmeladen und sonstige Fruchtaufstriche, die diesen Namen wegen ihres geringen Fruchtanteils gar nicht mehr verdienten, auch Formschinken u.ä. Fake-Produkte sollen strafbesteuert werden, was der "ehrlichen ungarischen Landwirtschaft" eine "neue Chance" gäbe, so der Abgeordnete.

In die Magengrube - Juni 2011
Exemplarisch absurd: die neue "Hamburger-Steuer" in Ungarn

 

Inflation pendelt sich auf Jahresziel ein

Die Konsumentenpreise (CPI) in Ungarn sind nach einem Rückgang von 0,1 Punkten von August auf September auf Jahresbasis um 3,6% gestiegen, sowohl das Statistikamt KSH als auch die Regierung rechnen mit einer Jahresinflation von um die 3,8%. Dramatisch fällt jedoch die Steigerung bei Grundnahrungsmitteln aus, was vor allem die Menschen mit niedrigen Einkommensschichten besonders belastet.

 

Kreditablöse auch für "gute" Kredite möglich

Das Parlament hat in einer still und leise verabschiedeten Gesetzesergänzung zum Kreditablösegesetz für Fremdwährungskredite festgelegt, dass die vorzeitige Ablöse von Forex-Krediten zu dem vom Staat festgelegten Wechselkurs auch für alle Kredite gilt, die nicht "in Not geraten" sind. Bisher galt ein Zahlungsausfall von 90 Tagen als Mindestanforderung. Da sich dieser aber auch künstlich herstellen lasse, was nur unnötigen Verwaltungs- und Controllingaufwand sowie Gebühren verursache, habe man diesen Passus gestrichen. Die Kosten bzw. der Gewinnausfall für die vorzeitige Rückzahlung bleibt an den Banken hängen, was gestern u.a. zu enormen Bilanzbereinigungen bei der ERSTE geführt hat, deren Börsenkurs in der Folge zweistellig fiel.

Mehr zum vermeintlich sozialen Kreditablösegesetz
http://www.pesterlloyd.net/2011_38/38volkstribun/38volkstribun.html
und im
Finanzmarkt

 

Glücksspielindustrie warnt vor Automatensterben...

Die Meldung des Tages kommt von der Ungarischen Glücksspielvereinigung MSzSz. Weil die Regierung die Steuern auf Spielautomaten, Casinospiele etc. deutlich angehoben hat (z.B. 500.000 Forint pro Maschine + 20% auf alle Umsätze über 300.000 HUF), könnten "bis zu 30.000 Jobs verloren gehen". Wenn die Steuererhöhung am 1. November in Kraft tritt, "könnten 17.000 von 24.000 Spielautomaten des Landes stillstehen", im Frühjhar weitere, so dass letztlich "nur 5.000 davon überleben". Soll heißen, jeder Spielautomat in Ungarn hat bisher seinen eigenen, persönlichen Betreuer? Wir fühlen mit.

red.
 

 

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