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(c) Pester Lloyd / 44 - 2011  POLITIK 03.11.2011

 

Absolutistischer Feinschliff

Aus der politischen Woche in Ungarn

Nachdem die meisten Personalien erfolgreich umbesetzt und die maßgeblichen Organe gleichgeschaltet wurden, macht sich die Orbán-Regierung nun an die absolutistischen Feinarbeiten. Dazu gehört u.a. die Quasi-Abschaffung von Referenden durch das Errichten unerreichbarer Quori und die Streichung von Geldern für die Zivilgesellschaft, - hatte man wohl zunächst übersehen. Auch das aberwitzige Geschlinger rund um das Budget 2012 geht weiter. Es ist längst schon Makulatur, woran natürlich nur die "Eurokrise" Schuld hat, Gesetz wird es trotzdem. Außerdem vergibt der Lehnsherr großzügig Latifundien an viehzüchtende Untertanen.

Nicht mehr von direkter Demokratie belästigen lassen

Das Gesetz über bindende Volksabstimmungen wird eine "Renovierung" erfahren, wie uns die Staatssekretärin des Justizministeriums, Erika Szabó wissen lässt. Dabei ginge es darum, das "Instrument des Referendums vor Diskreditierung" zu schützen und vor "unseriösen und überlappenden Fragestellungen" zu bewahren. Szabó erläuterte, dass die staatliche Wahlkommission (OVB), die für die Vorsortierung und Erstprüfung der Referendumsanträge zuständig ist, offenbar regelmäßig von Wichtigtuern mit Anträgen bombardiert wird, daher sollten in Zukunft nur noch Anträge, die von wenigstens zwanzig Bürgern unterstützt werden, vorgebracht werden können. Um "Überlappungen" zu vermeiden, wird in Zukunft das Prinzip, wer zuerst kommt, mahlt zuerst, gelten. Außerdem wolle man das "nichtbindende Referendum" mit der neuen Verfassung abschaffen. Dies bringe nur Verwaltungsaufwand, aber keinen legislativen Fortschritt mit sich.

Erklärt uns die schöne neue Welt und weiß immer, wo der Feuerlöscher hängt. Fidesz-Fraktionschef und bekanntester Audi-Fahrer Ungarn, János Lázár, vielleicht bald Szuperminiszter und, wer weiß, eines Tages..., Foto: MTI

Gesetzlich bindende Referenden werden weiterhin ab einem Quorum von 200.000 Unterschriften ausgerufen, vorausgesetzt, die staatliche (mehrheitskontrollierte) Wahlkommission lässt die Fragen überhaupt zu. Neu ist, dass die Regierung oder der Staatspräsident ein bindendes Referendum schon mit 100.000 Unterstützererklärungen starten können, deren Stimme zählt also 100.000fach, wieso auch immer. Schon bisher verliefen die meisten Referenden für die Antragsteller erfolglos, die Hürde von einer Mindestbeteiligung von 25%+1 der Wahlberechtigten und 50%+1 Ja-Stimmen daraus, war meist zu hoch. Das Fidesz verdoppelte das Quorum nun nochmals auf eine Wahlbeteiligung von 50%, was so ziemlich sicherstellt, dass die Regierung kaum mit direkter Demokratie belästigt wird, was ja doch nur von der Arbeit abhält. Falls doch, müssen die Abgeordenten ein Gesetz verabschieden, dass sich am Volksentscheid "orientiert", aber nur 3 Jahre Gültigkeit behalten muss.

Kürzung der Förderung der Zivilgesellschaft

Offenbar hat man bei der Regierung die wachsende Gefahr außerparlamentarischer Opposition und selbsttätig aktiver Bürgergruppen erkannt, daher kürzt man ab dem kommenden Jahr die Zuschüsse für die Zivilgesellschaft um weitere zwei Drittel. Der staatliche "Nationale Bürgerfonds" wird im neuen Haushaltsplan nur noch mit 1,3 Mrd. Forint (rund 4 Mio. EUR) ausgewiesen, in diesem Jahr waren es noch 3,4 Mrd. Forint, unter der Vorgängerregierung noch rund 7 Mrd. Außerdem werden alle Vereine und Parteien mit dem neuen Organisationsgesetz ab kommenden Jahr einen neuen Registrierungsprozess durchlaufen müssen, die Regierung sagt, um inaktive Karteileichen aussortieren zu können.

 

Flut von Änderungsanträgen zum Budget

Der Haushalt 2012 soll - in seinen Hauptkennziffern - am 29. November zur Abstimmung kommen. Gleichzeitig - und das ist typisch für den Umgang mit dem wichtigsten Zahlenwerk des Landes - kündigte die Regierungspartei an, dass man bis Mitte Dezember einige Änderungen, sprich Anpassungen vornehmen werde. Fast 500 Änderungsanträge liegen jetzt schon vor, die Opposition bombardiert die Regierung damit regelrecht, denn nur 40 von diesen Anträgen stammen aus dem Regierungslager. Während die MSZP nur einen Antrag startete, der allerdings einen komplett eigenen Haushalt umfasst, brachte LMP sagenhafte 255 Änderungsanträge ein, Jobbik 173 und ein einzelner "unabhängiger" Abgeordneter sechs.

Keine Zahl mehr haltbar

Im übrigen erläuterte Fidesz-Fraktionsschef, nur für jene, die da noch Fragen hätten, dass die derzeitige Forintschwäche (es geht stramm Richtung 310 zum Euro), allein (!) der Schwäche des Euroraumes anzulasten sei. Alles, was die Regierung gezwungen ist an Korrekturen am Haushaltsplan 2012 vorzunehmen, sei nur darauf zurückzuführen. Dazu gehört u.a. die Neuberechnung des gesamten Budgets aufgrund der Tatsache, dass die Regierungsprognose von einem durchschnittlichen Forintkurs von 268 zum Euro 2012 wohl nicht mehr ganz zu halten sein wird, ebenso wie die Prognosen zum BIP, dem Arbeitsmarkt, Investitionen, Konsum, Inflation, Einkommen, Steuereinnahmen und andere Kleinigkeiten. Mehr dazu in der WIRTSCHAFTSPOLITIK und im aktuellen Beitrag “Széchenyi würde auswandern...”.

Die strategische Budgetreserve (gespeist aus Rentenbeiträgen und Sondersteuern) von 300 Mrd. Forint (950 Mio. EUR) könnte womöglich noch aufgestockt werden, so Lázar. Im Klartext heißt das: der Haushalt ist schon heute Makulatur, Gesetz wird er trotzdem. Lázár: "Die Regierungsmitglieder werden raus ins Land gehen, herumreisen und den Menschen den Entscheidungsprozess erklären. Die Menschen müssen das verstehen." sprach er am Mittwoch in ein Radiomikrofon. Miese Gesetze durch Gelaber verbessern, Ungarn ist näher am Westen als ihm lieb sein sollte. Er machte sich auch dafür stark, die vereinfachte Firmensteuer EVA beizubehalten und widersprach damit einem Parteikollegen, der sie abschaffen lassen will.

Neue Sondereinheit mit unklarer Auftragslage

Ein weiterer erklärungsbedürftiger Posten im neuen Budget ist das "Büro für nationale Strategie und Planung", NSTH, dass nach der dürftigen Beschreibung, die bisher dazu vorlegt, sowohl eine Art staatliche Plankommission seligen Angedenkens sein könnte als auch eine Agentur zur Steuerung von öffentlichen Aufträgen in die richtigen Taschen. Immerhin 100 Mann / Frau werden für diese dem Nationalwirtschaftsminister beigefügte Sondertruppe rekrutiert, was zunächst einmal 1,2 Milliarden Euro kostet (die hat man ja von den Bürgerbewegungen abgezogen). Offiziell soll das NSTH "langfristige Ziele für strategische industrielle Entwicklungen verfolgen und Entscheidungen von nationalem, ökonomischen Interesse fällen". Wir dachten bisher, dass genau dies die Aufgabe des Nationalwirtschaftsministers, ja der ganzen Regierung sei, aber von Kämpfern für das "nationale Interesse" kann man eh nie genug haben.

Ackerbau und Viehzucht

In diesem liegt auch die Aktion "Ungarland in Bauernhand", die vom Nationalen Landfonds Management (NFA) gesteuert wird. Darin finden sich sämtliche beackerbare staatliche Latifundien, die, in Schollen von 30-50 Hektar geteilt, nun an Selbstbearbeiter per Ausschreibung verpachtet werden sollen. Insgesamt geht es in einer ersten Welle dabei um 65.000 Hektar Staatsland, "heilige ungarische Erde", die man auf diese Weise "den Händen ausländischer Spekulanten und ihrer einheimischen Komplizen" entrissen habe, wie die Regierung die Verlängerung des Landkaufmoratoriums für EU-Bürger und andere Ausländer begründete.

Am liebsten sähe die NFA die Ländereien in den Händen von "Ehepaaren und jungen Familien", die sich der Tierzucht widmen. Anträge dieser Art werden bevorzugt, heißt es. Grundbedinung ist aber in jedem Fall, dass man auf dem gepachteten Land auch leben wird. Im kommenden Jahr werden nochmals 11.000 Hektar ausgeschrieben, für die erste Runde müssen die Bewerbungen bis Jahresende eintreffen. Jungbauern erhalten zudem vergünstigte Kredite, um einer krisenfesten, kleinteiligen Landwirtschaft wieder auf die Beine zu helfen.

red.

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