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(c) Pester Lloyd / 45 - 2011  POLITIK 15.11.2011

 

Lichtgestalten

Ungarn intern oder His Master´s Voice

Tag für Tag melden wir tröge Wirtschaftsdaten und politisch Deprimierendes aus Ungarn. Das muss nicht sein. Mit ein bisschen gutem Willen und Freude an der Arbeit lässt sich der politische Alltag viel optimistischer meistern. Ja sogar Fakten kann man meistern, wenn man dazu die richtigen Leute hat. Ungarn hat. Ein launiger Blick hinter die Kulissen des politischen Budapests am Beispiel zweier Lichtgestalten.

Péter Szijjártó ist für in Budapest stationierte Journalisten eine zentrale Figur. Er ist Sprecher, manchmal auch der einzige Versteher von Ministerpräsident Orbán und füllt diese Rolle so aus, als wäre auch er schon so ein kleines bisschen Premier. Sein Ruf unter Kollegen rangiert irgendwo zwischen Reichswitzbold und blitzgescheitem Haudrauf. Seine Worte können Karrieren vernichten oder Hundertschaften von Berufszynikern in basses Staunen versetzen. Fast magisch. Zumindest kann er lügen ohne rot zu werden und findet noch für jede Absurdität aus dem "Kreml" die passende Erklärung. Er könnte also auch Börsenanalyst sein, wurde jedoch rechtzeitig auf den rechten Weg gebracht.

“Brings back the old-time melodies...” - Reklametafel der “Victor talking machine”

Péter ist ein Glücksfall für das Land und für sich selbst. Der 34jährige war schon als 19jähriger Berufspolitiker, studierte nebenbei Sportmanagement und internationale Beziehungen, im Hauptberuf aber war er Abgeordneter im Komitat Györ und dortiger Chef der Fidelitas, der Fidesz-FDJ. Mit 24 wurde er Mandatsträger im Nationalen Parlament. Der Mann hat also das Glück, völlig unbeeinflusst von der widrigen Realität Politik für sein Volk machen zu können, er ist sozusagen steril. Das merkt man bis heute. Was man ihm vorne reinsteckt, kommt hinten, nur leicht angewärmt, wieder heraus. Während sein deutsches Pendant, Steffen Seibert, der angeblich mal Journalist gewesen sein soll, noch den Versuch macht, glaubwürdig darzustellen, er hätte über das, was er nicht sagt, tief reflektiert, rutscht es bei Szijjártó einfach unverdaut durch. Flutsch.

Vorn (ins Fäustchen lachend) Justizminister Tibor Navracsics, daneben, wie immer sinnierend Premier Orbán, dahinter links National-Rottweiler Lázár im Gespräch mit Sprechblasen-Péter, der prüft, ob seine Milchzähne schon wackeln. Foto: fidesz.hu

Vollguss und Hohlkörper

Genau der richtige Mann also für Premier Orbán, der sich wohl gesagt hat, Persönlichkeit und Charakter habe ich selbst, warum soll sich meine Umgebung auch noch damit abschleppen? Irgendwo muss es eine Fabrik für solche Leute, diese aalglatten, glitschigen Alleserklärer geben. Höhepunkt seiner bisherigen Erklärbär-Karriere war der "lange geplante Osterausflug" der Roma von Gyöngyöspata. Sein größerer Zwillingsbruder ist Fidesz-Fraktionschef János Lázár (der Volkswille bin ich), kommt aus der gleichen Fabrik, ist aber aus Vollguss, kein Hohlkörper. Er agiert als Kettenhund Orbáns, während Sziijártó die - manchmal zickige - kleine Mietzekatze gibt. Lázár ist einen eigenen Artikel, ach was, ein Buch wert. Daher zurück zum Thema. Szijjártó, der Orbán-Sprecher, ist selbst Abgeordneter, also einzig seinen Wählern und seinem Gewissen verpflichtet, wie es - so ähnlich - auch in der neuen Verfassung steht. Doch: "Wozu braucht man Grundsätze, wenn man einen Apparat hat?", fragte schon wissend Kurt Tucholsky.

Angeschraubtes Schelmenlächeln auf eigenen Beinen

Soweit die kleine Einleitung zur Auflockerung eines an sich tristen Themas. Heute: die Ausländer haben mal wieder keine Ahnung davon, wie prächtig in Ungarn die Wirtschaft läuft. Szijjártó sitzt am Montagabend mit angeschraubtem Schelmenlächeln im Studio "seines" Fernsehens, M1, Staatssender und sagt über die Brille hinweg seine Reime auf. "Ungarn kann sich selbst am Markt finanzieren und steht auf eigenen Beinen, es braucht keinen neuen Stand-by-Kredit vom IWF". Damit wies er entsprechende Aufforderungen der Opposition zurück, die eine Kreditvereinbarung als Notlösung in der Hinterhand empfiehlt. "Wir wollen nicht, dass irgendeine Finanzinstitution der ungarischen Regierung Maßnahmen diktieren und Einsparungen erzwingen kann.", so Szijjártó. Die Regierung habe sich "hingegen" für den "Weg einer glaubwürdigen und transparenten Wirtschaftspolitik entschieden" und damit bewiesen, dass sich "Ungarn am Markt refinanzieren kann".

Szijjártós Version ist besser für Ungarn

Das ist zwar eine glatte Lüge, aber es ist sicher gut, dass die Menschen in Ungarn nicht unnötig aufgeregt werden, schließlich haben sie mit dem täglichen Leben genug zu kämpfen. Die Dreistigkeit Szijjártós drängt den Vergleich mit dem (un)seligen Saddam-Sprecher "Comical Ali" geradezu auf, als der von "es gibt keine Amerikaner in Bagdad" sprach, während im Hintergrund die einrollenden GI-Panzer zu sehen waren. Am Montag musste Ungarn erneut eine Auktion von Staatsanleihen wegen mangelender Nachfrage abbrechen, nicht zum ersten Mal. In einem Geheimabkommen verkauft man Obligationen an die chinesische Zentralbank, also nicht am freien Markt. Das Volk erfährt weder etwas über die Höhe der Zinsen, noch sonstige Absprachen, die im Zusammenhang damit getätigt werden. Forint auf "all-time-low" zum Euro: 317 am Dienstagmorgen. Ich finde Szijjártós Version aber besser. Schuld am schwachen Forint? Die Eurozone. An der lahmenden Wirtschaft? Die Eurokrise. Korruption, Budgetlöcher? Die Vorgänger. Am schlechten Wetter? Die Juden. Ok. Das hat er nicht gesagt, das sagte ein anderer, doch dazu später.

Péter, hilf!

Übrigens geht es eh rasant aufwärts: 3% ist die Industrieproduktion im September zum Vorjahr gewachsen, sogar "kalenderbereinigt", im August war es noch ein Minus von 0,4%. Das BIP explodierte sogar im dritten Quartal, 1,4% statt der erwarteten 1%. Na also. Was hat Standard & Poors nur für ein Problem? Ok, der BIP-Zuwachs kommt nur von einer guten Ernte, die Exportwirtschaft legte 4,5% zu, d.h., die Werkbank für den Westen läuft wieder an, doch die Inlandsproduktion: -7,1%. Klar, wer soll auch investieren und kaufen? Die Banken machen kreditmäßig dicht, weil sie nicht wissen, ob die Kunden überhaupt noch was zurückzahlen können oder müssen. Banken eben, ausländische zumeist. Die Einkommen der Masse sinken permanent, dank Flat tax, die nur den "Mittelstand" entlastet, vor allem aber dank mehr Mehrwertsteuer, Verbrauchssteuern etc., Benzin ist bei 450 Forint, man kann sich bei dem Forint-Kurs ungefähr den Heizölpreis und die Kreditrate im Winter vorstellen. Was ist da los? Péter, hilf uns!

Sechs Ungarn unter den ersten Fünf

Szijjártó fährt unbeirrt fort, - leider nur in Worten: Ungarn wird das erste Mal seit 2004 ein Defizit von unter 3% des BIP aufweisen. Punkt. 3, 2, 1: "... neben Ungarn schafft es in diesem Jahr nur noch Schweden sein Defizit zu reduzieren..." Dieser Satz aus der Kiste "sechs Ungarn unter den ersten Fünf" ist bei Szijjártó unvermeidlich. Er ist ungefähr so wahr wie die DDR den zehnten Platz in der Welt bei der Wirtschaftsleistung belegt hat, denn, das nur am Rande, das Defizit konnte nur reduziert werden, weil man den Bürgern umgerechnet rund 10,7 Mrd. EUR an Beiträgen aus der privaten Säule der Rentenversicherung entzogen hat. Einfach eingesackt, unter Androhung des Verlustes des Rentenanspruches. Auf einen Schlag organisierte sich der Staat so 8% BIP extra. Vielleicht musste das sogar sein, um das Land zu retten. Ok. Aber Schweden? Und was macht Ungarn dann nächstes Jahr?

Wie man eine Gulaschsuppe am Köcheln hält

Nun wird es Péter Lustig zu kompliziert, uns auch, deshalb wechselt er das Thema. Er ist jetzt bei András Simor, dem Gouverneur der Nationalbank. Orbáns letzter im Amt verbliebener Feind, sein Lieblingsfeind und ein echter Volksschädling, allgemein bekannt als "Off-Shore-Ritter", vom gleichen Orden wie Gyurcsány, Bajnai etc. Simor wurde kurz vor der letzten Wahl ertappt, dass er Vermögenswerte bei einer "Off-Shore"-Firma auf Zypern "geparkt" hatte. Ok, Off-shore ist Blödsinn, Zypern ist ja EU, aber der Steuersatz dort war halt bedeutend niedriger als in Ungarn, damals. Gibt natürlich ein tolles Bild ab: der Wächter über die Stabilität des Forint bringt seine Forints als Euro ins Ausland. Simor hätte eigentlich noch ein Honorar als Wahlkampfhelfer des Fidesz verdient, dafür muss er sich heute noch anpatzen lassen.

Simor sollte dem Haushaltsausschuss des Parlamentes, dessen Vorsitzender ganz nebenbei auch Péter Szijjártó ist, nachweisen, dass er seine Vermögenswerte wieder nach Ungarn gebracht hat, so wie zugesagt und dass er Steuern nachgezahlt hat (sind ja eh nur mehr 16%, bzw. 10% für Firmen). Das hat er bis heute nicht getan. "Ich habe daher den Parlamentspräsidenten (László Kövér, auch Fidesz: "Überall wo Ungarn leben, ist Ungarn...") aufgefordert, in Aktion zu treten." Was wird der nun tun, Simor ein Ohr abbeißen? Denn natürlich: "erfreut sich die Zentralbank totaler (!) Unabhängigkeit. Die Finanzaffäre ihres Chefs hat ja nichts mit den Entscheidungen zur Währungspolitik zu tun". Was soll dann die Aufregung? Man muss das Gulasch schon ab und an umrühren, sonst brennt es an, das Süppchen soll aber am kochen bleiben.

Bei den Fidesz-Ministern wären solche Verstrickungen zwischen Amt und privaten Interessen schlicht undenkbar. Nur zwei Beispiele: Innenminister Pintér hat seine Beteiligungen an Sicherheitsunternehmen vor (!) Amtsantritt abgegeben, daher kann er von den sich dort jetzt zufällig häufenden Auftragseingängen durch sein Ministerium und andere Staatsbehörden gar nicht mehr profitieren. Klar, oder nicht? Tamás Fellegi, Entwicklungsminister (EU-Mittel) hat mit der Medienholding, die er vor Jahren zusammen mit dänischen Investoren gründete, auch nichts mehr zu tun. Daher bringt es ihm nichts, dass diese Holding (der zufällig eine regierungsnahe Zeitung gehört) sich nun auch um den Kauf eines nicht ganz unbedeutenden Privatsenders bemüht. Alles rechtlich und moralisch einwandfrei, würde Péter sagen.

Rettet die Mittelklasse! Bitte, wen?

Noch ein Satz zu Parlamentspräsident Kövér. Über ihn kann man denken wie man will, eine ehrliche Haut ist er. Er hat uns endlich reinen Wein eingeschänkt und erklärt, wie der Hase in Ungarn läuft. In einem Interview in der heutigen "Magyar Hírlap" (sinngemäß übersetzt: Völkischer Beobachter, hier wird auch schonmal bedauert, dass "damals" nicht genug Genickschüsse an Kommunisten und andere verabreicht wurden), meinte Kövér, "Ungarn muss sich weiter anstrengen, den in Not geratenen Fremdwährungs-Schuldnern zu helfen und damit die Mittelklasse vor dem Bakrott bewahren, sonst wird das ganze Land in die Binsen gehen." Immerhin erfuhren wir somit erstmalig offiziell, dass es in Ungarn eine Mittelklasse gibt. Bisher dachten wir nur, dass es Steuerhinterzieher gibt und solche, die zu dämlich zum Steuerhinterziehen sind. Wer nicht zur Mittelklasse gehört, soll sich im übrigen selber retten, man kann sich schließlich nicht um alles und jeden kümmern.

Vorher - nachher - hinterher: László Kövér, einmal als Parteimaskottchen, dann als total neutraler Parlamentspräsident und schließlich als deutscher Kaiser (sorry, Willi)

So gewisse Kreise...

Kövér - wir erinnern uns - total überparteilicher Parlamentspräsident, kommunizierte in der "Hírlap" das neue Fidesz-Lieblingsthema: Ungarn wird in eine strahlende Zukunft blicken, wenn es sich nicht mehr mit ausländischen Banken abgeben muss. Ungarn leiht nur bei Ungarn, "dann werden wir alle in einer besseren Situtation sein". Klar, völlig übertrieben. Immer diese Nazikeule, klassische Paranoia eines westlich geprägten Political Correctness-Opfers. Kövér auf die Frage, ob Ungarn insgesamt dem Bankrott nahe stehe? So nahe, wie ganz Europa am Abgrund steht. "Gewisse Kreise der internationalen Finanz haben ein Interesse am Scheitern der ungarischen Wirtschaftspolitik." "Gewisse Kreise" ist in Ungarn, leider ein Fakt, ein Synonym, ein Code für "Juden".

Es lebe die Nationale Front!

Dabei ist Kövér, intern: Karpaten-Kalle, durch und durch Demokrat, ein echter Fels in der Brandung. Er, Fidesz-Mann der ersten Stunde, hat sich für sein demokratisches Amt sogar den Bart und die Mähne stutzen lassen, also persönliche "Einschnitte" hingenommen. Auf die "Journalisten"-Frage, warum er Ex-Premier und Ex-MSZPler Gyurcsány und dessen neuer Partei DKP nicht den Fraktionsstatus zuerkennen will (die Hausordnung schreibt eine bis zu 6 monatige Wartefrist für Wechsler vor, die aber schon desöfteren unterlaufen wurde): "Wissen Sie, eigentlich sollte das Parlament ein Gesetz schaffen, das Abgeordnete ganz verbannt, die ihre Partei verlassen, um sich einer anderen anzuschließen oder eine neue Gruppe zu gründen."

Eine Aussage, die seine Überparteilichkeit nur bestätigt, denn dieses Gesetz würde gerade in der Regierungsfraktion Legionen von Parlamentariern in die Wüste schicken, die von KDNP zur Fidesz oder umgekehrt wechselten, sich vom MDF ins Fidesz hinein oder aus Jobbik hinausdienten, sich als "Unabhängige" anschlichen und dann vom großen Bruder ansaugen ließen. Die angestrebte Verkleinerung des Parlamentes ginge so ganz ohne neues Wahlgesetz von statten. Und überhaupt, hier kann doch nicht jeder machen, was er will. Danke Laci und nächstes Mal: "Unsere Stimme den Kandidaten der Nationalen Front."

Und beim nächsten Mal in "Lichtgestalten": Schmidt oder Schmitt? Fragen an Ungarns Präsidenten.

 

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