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(c) Pester Lloyd / 45 - 2011  GESELLSCHAFT 14.11.2011

 

Hätte, müsste, könnte

Ungarns "Romastrategie" ist fertig und am Ende

Der für "soziale Integration", sprich Romafragen zuständige Staatssekretär, Zoltán Balog, erklärte den "breiten gesellschaftlichen Dialog" zur "nationalen Romastrategie" für "erfolgreich abgeschlossen", so könne das entsprechende Gesetzeswerk nun "der Regierung vorgelegt werden". Balog wiederholte seine Einschätzung von einem "europaweit vorbildlichen Meileinstein" bei der Bewältigung des komplexen Problemkreises. Hehre Worte über eine triste Realität.

Staatssekretär Zoltán Balog (rechts) mit dem Chef der “Landesselbstverwaltung” der Roma, Flórian Farkas, auch ein Fidesz-Mann.

Dem Europarat werde man die "nationale Romastrategie" bis Ende des Jahres vorlegen. Darin wird eine "effektive Behandlung der Probleme" angekündigt, "die von Armut verursacht werden und die Armut verursachen". Balog, der über eine tiefe Einsicht in die Mechanismen der Armut, Ausgrenzung und ethnischen Spannungen verfügt, aber kaum Macht hat, sie an der Wurzel zu packen, versucht durch Zahlen zu beeindrucken. Man woll die Quote derjenigen, die in Ungarn heute unter der Armutsgrenze leben von derzeit 28 auf 23% binnen der nächsten neun Jahre senken.

Dass die punktuellen Ausbildungs- und Trainee-Programme, die gerade ein paar tausend Menschen erreichen, nicht ausreichen werden, kann Balog als Regierungsmitglied nicht eingestehen. Er muss dabei zusehen, wie die Regierung die Mehrheit der arbeitslosen Roma durch sinn- und perspektivlose Beschäftigungsprogramme beaufsichtigen will, die ihre Randstellung in der Gesellschaft nur noch sichtbarer machen, ohne einen Ausweg aus der Bildungsarmut zu bieten. Balog kritisiert dies nur indirekt, in dem er den "Ausbau" der Bildungsinfrastruktur fordert und (sehr verhalten) anmahnt, das zunächst die Grundlagen für ein würdevolles Leben (Nahrung, Gesundheitsversorgung, Wohnung) geschaffen werden müssen, bevor man von den Roma Pflichten bei der Integration abverlangen kann.

Er schlägt neben Ganztagsschulen (Motto: je länger die Kinder von ihren Eltern getrennt sind, umso besser für sie), Förderung von organisierter Freizeit (Sportvereine), Nachhilfeunterricht vor. Desweiteren sollen Unternehmen, die Roma und andere "Unterpriviligierte" beschäftigen bei staatlichen Ausschreibungen bevorzugt werden. Auch soll - nach dem Vorbild von Hilfsmodellen in Entwicklungsländern - die Stellung der Roma-Frauen gestärkt werden, durch gezielte Job- und Lernangebote, die ihre Selbständigkeit fördern.

Balog fordert zwar die Stärkung der "Roma-Gemeinschaften" als Vertreter ihrer Interessen, sieht sich aber einem vom Fidesz gleichgeschalteten System der Pseudo-"Selbstverwaltung" gegenüber, eine eigene Vertretung der Roma auf legislativer und exekutiver Ebene ist in Ungarn weiterhin nicht vorgesehen. Balog fordert weiterhin eine spezielle Sensiblisierung der Mehrheitsgesellschaft und Schulungen für Exekutivmitarbeiter. Sie sollten sich "diskriminierungsfreie Routinen" angewöhnen, auch eine öffentliche Werbekampagne für die "nationale Romastrategie" schwebt ihm vor, die helfen soll, Vorurteile abzubauen.

In der Einschätzung von mit der Materie vor Ort befassten NGO´s, gilt der Staatssekretär als aufrichtig und engagiert, freilich auch als zahnloser Tiger, der seinen Enthusiasmus nur im ideologischen Rahmen der Regierungspartei ausleben darf. Die Vorgabe lautet - das haben die Aktionen, vor allem aber auch die Unterlassungen dieser Regierung bereits gezeigt, law-and-order, statt nachhaltiger Entwicklungspolitik mit nationaler Anstrengung. Die Roma hat man längst aufgegeben, der politischen Elite (aller Seiten) fehlt jede Empathie für diesen Teil des ungarischen Volkes, sie bleiben, was sie wurden: Fremdkörper. Der Mainstream spricht den Roma jede Entwicklungsfähigkeit ab und stellt sich auf den lapidaren Standpunkt: wenn sie so leben wollen wie wir, sollen sie sich auch so benehmen wie wir. Dass die Roma (die Mehrheit davon) von Geburt an, dafür nicht die gleichen Bedingungen vorfindet, wird ignoriert, sogar geleugnet.

Die "nationale Romastrategie" ist letztlich nur ein Papier, um die EU zufrieden zu stellen, denn die diskriminierende, verelendende Realität ist in den vergangenen Jahre eher noch schlimmer geworden, ein Blick in die Gerichtssäle des Landes oder nach Gyöngyöspata - um nur zwei Beispiele zu nennen - zeigen dies. Nicht zuletzt ist die "Romafrage" auch ein Spielfeld politischen Kalküls, bei dem sich das Fidesz darum bemüht, durch entsprechend zackiges "Durchgreifen" Wähler der neofaschistischen Jobbik auf ihre Seite zu ziehen. Dass unter diesen Umständen kaum ideologiefreie Arbeit pro humanum geleistet werden wird, liegt auf der Hand. Dabei sind die Verantwortlichen fein raus. Geht die Sache schief - und das wird sie - waren die Zigeuner einfach zu unbelehrbar, wie immer eben.

Mehr zur komplexen Problematik der Roma in Ungarn u.a. hier:
http://www.pesterlloyd.net/portalpolitik/gesellschaft/roma/roma.html

 

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