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(c) Pester Lloyd / 47 - 2011  WIRTSCHAFT 25.11.2011

 

Erwarteter Schock

Moody´s stuft Ungarn auf “Ramsch” - Regierung: “Angriff gegen das Land”

Die Ratinagentur Moody´s hat ungarische Staatspapiere auf “Ramschniveau” gesetzt. Der Schritt war auch in Ungarn bereits erwartet worden, wie wir hier darlegten, sorgte in Budapest aber dennoch für heftige Reaktionen. Man will einfach nicht verstehen, dass weder Pläne noch schwammige “nationale Ziele” eine Rolle spielen, sondern nur blanke Zahlen.

Der Rat der Ratlosen? Die ungarische Regierungsmannschaft ist sich einig:
alles feindliche Angriffe auf das Land und die Politik der Regierung

Tendenz unterirdisch: Am späten Donnerstag gab die Ratingagentur Moody's bekannt, dass sie Ungarn auf das niedrigste Ratingniveau (Baa3) herabgestuft hat und der Staat damit praktisch nicht mehr „kreditwürdig“ sei. Daraufhin sackte Ungarn in sämtlichen Ratings ab: Aufnahme von Fremdwährungskrediten (von A1 auf A3), Bankeinlagen in Fremdwährungen (von Ba2 auf Baa3) und nationale Kredite sowie Bankeinlagen (von A2 auf A3). Der Grund für die Herabstufungen ist die allgemeine Skepsis, dass Ungarn in Zukunft seiner Schulden Herr werden kann. Standard and Poors vertagten ihre Prognose auf Ende Februar 2012, da dann die Chancen höher stünden, dass Ungarn sich mit dem IWF über weitere Finanzhilfen einig geworden ist.

Zu hohe Schulden, kein Handlungsspielraum

Moody's gab an, dass nicht sicher sei „ob Ungarn seine mittelfristigen Ziele zur Konsolidierung der Fiskalpolitik und die Senkung der Staatschulden ausreichend erfüllen könne“. Auch eine Einigung über Finanzhilfen könnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Land mittelfristig nicht aus eigenen Kräften stabilisieren kann. „Trotz dass die Regierung angekündigt hat, die Staatsverschuldung bis 2018 auf 50% des BIP herunterzubringen, hat sie keine Mechanismen für mittelfristige Lösung von Fiskalproblemen“, so Moody's weiter. Kurzfristige Lochstopferei führe nicht zu einer dauerhaften Konsolidierung. Zudem sei Ungarn sehr volatil, da das System in seiner derzeitigen Lage extrem anfällig für Marktschwankungen und Kursabfälle sei. „Die Regierung Ungarns hat zu viele Schulden und ist zunehmend von externen Geldgebern abhängig. Sie kann praktisch auf einen negativen Marktimpuls nicht adäquat reagieren“, so Moody's.

Aussichten weiter trüb

Die Aussichten bleiben laut der Ratingagentur weiterhin trüb, denn Auswirkungen der Krise in der Eurozone könne Ungarn derzeit einfach nicht abfangen. Circa 64% der Staatsschulden werden von ausländischen Kreditnehmern gehalten und davon Zweidrittel in Fremdwährungen. Zudem wachse die Wirtschaft und der Export nicht schnell genug, die Defizitprognosen für 2012 und 2013 von 2,5% und 2,2% des BIP sind zu optimistisch, der Banksektor zu instabil aufgrund anfälliger Kredite, die Kaufkraft im Land zu niedrig und „Regierungsmaßnahmen“ verhindern einen Aufwärtstrend durch Finanzspritzen. Moody's würde Ungarn sogar noch weiter herabstufen, wenn „keine strukturellen Reformen durchgeführt werden“. Wäre das Land „konsequenter und zielgerichteter in der Umsetzung von Strukturreformen, könnte es langfristig von einer stabilen Basis aus operieren. Dann könnte man das Land auch wieder höher stufen“, kommentierte Moody's.

Ungarn offiziell wieder das Opfer

Der Wirtschaftsminister reagierte auf die Herabstufung wie gewohnt empört und ist sich vollkommen sicher, dass dies „völlig grundlos“ geschah. „Das ist nur ein weiterer Beweis für die Attacken der Finanzmärkte auf Ungarn“. Das Ministerium verlautbarte, dass für 2011 ein Überschuss verzeichnet werden kann und man sich trotz international gesteuerter fiskaler Agitationen am Markt hat behaupten können. Hinzu kommt, dass Ungarn „für den massiven Kursabfall des Forints gar nichts kann“ und „dass das ein Resultat internationaler Verschwörung ist, genau wie die Arbeit solcherlei Ratingagenturen“.

Fingerzeig und Schönrederei

Antal Rogan, Abgeordneter der FIDESZ und Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für Wirtschaft und IT sekundierte seinem Minister am Freitag Vormittag auf TV2: „die Herabstufung durch Moody's halte ich für ungerechtfertigt, da in Ungarn die Grundsysteme nicht schlechter, sondern sogar besser sind als in den anderen Ländern der Region. Die Attacke auf den Forint ging schon vor ein paar Wochen los und wird auch weitergehen. Was Moody's da gemacht hat, trägt genau dazu bei”. 

Ungarns eigene Statistiken würden belegen, dass das Wachstum des BIP im dritten Quartal dieses Jahres das der anderen 27 EU-Länder übersteigt. Reserven für 2012 entsprechen 1% des BIP und seien ausreichend um die Finanzkrise abzufangen, selbst wenn die Wirtschaftskraft sinken würde. Man werde die Maastricht-Kriterien nicht verletzen, so das Ministerium. Weiterhin konnte Ungarn, im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten der EU, seine Schulden drücken und ist somit eines der sieben Länder, das seine Staatverschuldung 2012 überhaupt auf unter 3% des BIP bringen werde.

“Ungarn ist für uns ein schwarzes Loch”

Vom Markt für Staatspapiere wird hingegen eine “Situation”, gemeldet, “die einem Zusammenbruch ähnlich sieht”. “Ungarn ist für uns wie ein schwarzes Loch: man sieht einfach nichts.”, so ein Händler. Eine Dunkelheit, die das heimische Terrain für Zocker aller Art zu sein scheint, dessen Erfüllungsgehilfen die Ratingagenturen - ob sie das nun wollen oder nicht - sind. Auf dem Parkett wird schon das “Failing”, also das komplette Scheitern Ungarns an die Wand gemalt, griechische Szenarien entworfen.

Doch der sicher berechtigte Vorwurf des Spekulantentums bringt dem Land solange nichts, so lange die Lebensbedingungen von Märkten und finanzellen Abhängigkeiten geprägt werden. Das ist der grundsätzliche Denkfehler der Regierung bei ihren schon sprichwörtlichen “unorthodoxen Maßnahmen”. Der begrüßenswerte Ausstieg aus “dem Schuldensumpf”, eher eine Spirale, hat wenig Sinn, wenn dabei das ganze Land vor die Hunde geht. Wieder dominiert Ideologie die Wirtschaft, die aber heute noch am längeren Hebel sitzt. Sogar die antisemitische Karte wird unterschwellig, bisweilen direkt gezogen, wenn es um die Kritik an “der” Finanzwelt geht.

Teure Zeiten für die Refinanzierung von Privat und Staat

Die unmittelbaren Auswirkungen: die Zinsaufschläge für mittel- und langsfristige Staatsanleihen haben heute bereits fast wieder das Niveau der Lehman-Krise erreicht (man lag heute Vormittag nur 20 Basispunkte unter dem Rekordwert, was bedeutet, dass fast 10% Zinsen auf das Land zukommen) als Ungarn nur Tage von einer Zahlungsunfähgikeit entfernt war, weil eine Refinanzierung am freien Markt nicht mehr möglich war. Der Forint, der vor allem auch für die normalen, in Fremdwährung verschuldeten Bürger eine existenzbedrohende Entwicklung genommen hat, nähert sich bedrohlich der 320er Marke, an der, nach eigenem Bekunden, die Zentralbank intervenieren will. Das wollen sich die Märkte offenbar anschauen.

EU, Weltbank und IWF sprangen 2009 mit 20 Milliarden EUR Nothilfe ein, wovon Ungarn ungefähr 15 Mrd. abrief. Nach einem Rausschmiss und langem Winden führt Ungarn nun wieder Gespräche mit dem IWF, nur zur Sicherheit und keinesfalls auf Kosten seiner “Unabhängigkeit”, wie es heißt. Einer Unabhängigkeit, die das Land eigentlich nie hatte.

Was läuft genau schief in der Wirtschaftspolitik? Hier dazu mehr Details.

Vivienne Kiss / red.

 

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