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(c) Pester Lloyd / 48 - 2011  WIRTSCHAFT 29.11.2011

 

Zugeführt

Frührente in Ungarn jetzt offiziell abgeschafft

Dass ein Land pleite geht, wenn nur die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitet, war allen in Ungarn klar. Dennoch schauten die Verantwortlichen jahrelang tatenlos dabei zu. Die Orbán-Regierung macht nun eine Kehrtwende und "führt alle Arbeitsfähigen dem Arbeitsmarkt zu", - doch ohne dabei das Umfeld und die Realitäten zu berücksichtigen. Der Staat entzieht sich rückwirkend eingegangen Verpflichtungen und behandelt Bürger wie eine frei verschiebbare Masse.

Na also, geht doch.

Am Montag ging ein Gesetz durchs ungarische Parlament, das die bisherigen Möglichkeiten der Frührente bzw. Frühpensionierung abschafft oder stark einschränkt. Es wird am 1. Januar 2012 in Kraft treten und wurde mit 257 zu 97 Stimmen angenommen. Danach werden alle Frührentner, die bisher aus der Rentenkasse bezahlt wurden, ins "zentrale Budget" übernommen und ihr Status auf Sozialhilfeempfänger geändert, womit sie dem "Arbeitsmarkt wieder zugeführt werden" (O-Ton Minister Matolcsy und Premier Orbán). Wer unter einer bestimmten Altersgrenze liegt, kann dann zu den verpflichtenden Beschäftigungsprogrammen hinzugezogen werden, lehnt er diese Aufforderung ab, kann die Unterstützung bis zu drei Jahre gesperrt werden.

Gleiches gilt für Invalidenrentner (Ungarn hat europweit die höchste Quote), sie müssen sich einer neuen Einstufung bei einer zentralen Regierungskbehörde unterziehen, die sie nach verschiedenen Graden der Behinderung arbeitsfähig, teilarbeitsfähig oder behindert deklariert, bisher wurde durch Ärzteatteste viel Missbrauch damit betrieben. Kritiker sehen jedoch eine gewisse Herzlosigikeit der neuen Regierung am Werk, da lediglich der Grad der Arbeitsfähigkeit darüber entscheidet, wie hoch die staatliche Unterstützung ausfällt. Ob derjenige dann auch einen entsprechenden Arbeitsplatz findet, spielt jedoch keine Rolle.

Hinzu kommt, dass die bisherigen Frührentner, man spricht von bis zu 350.000 Menschen, mit dem neuen Status des "Gehaltsempfängers" wieder steuerpflichtig werden (Altersgrenze: 57) und 16% Einkommenssteuer bezahlen müssen. Die Untergrenze der verbleibenden Frührente wurde mit 150% des gesetzlichen Mindestlohnes, d.h. rund 230 EUR festgestzt. Die Regelung betrifft vor allem ehemalige Angestellte des öffentlichen Dienstes, die - zum Teil - bisher von sehr großzügigen zeitlichen Regelungen profitierten, wiewohl die Renten selbst eher schmal blieben. Einzig Frauen, die 40 Berufsjahre auf dem Buckel habe, dürfen in Zukunft bei vollen Ansprüchen in Rente gehen, "um auf ihre Enkel aufzupassen, damit die Eltern arbeiten können", wie sich die Regierung auszudrücken pflegte.

Es ist erklärtes Ziel dieser Regierung "jeden in Arbeit zu bringen, der arbeiten kann", da die Beschäftigungsquote eine der niedrigsten in der EU ist (ca. 54%), was über die finanziellen Möglichkeiten des Staates geht. Allerdings gibt der Markt längst nicht so viele neue Arbeitsplätze her wie gewünscht, weshalb man mittlerweile kleinlaut vom Ziel der "1 Millionen Arbeitsplätze binnen zehn Jahren" abrückte. Kommunale Beschäftigungsprogramme sollen hier eine "Übergangslösung" erbringen, werden in Modellprojekten aber bisher hauptsächlich zur "Beaufsichtigung" der Roma, ohne jede Perspektive auf vernünftige Arbeitsverhältnisse, benutzt.

Gegen die Abschaffung der Frührente gab es bereits zahlreiche Demonstrationen von Gewerkschaften, auch hier überwiegend jener des öffentlichen Dienstes. Vor allem Polizisten und Feuerwehrleute protestierten dagegen, ihnen sollen nun neue "Karrierepläne" Lust am längeren Arbeiten machen. Ihr Argument: ein 65jähriger kann nicht mehr so Leben retten wie ein 25jähriger Feuerwehrmann. Die Regierung: dann kann er ja Büroarbeit machen.

Opposition und Gewerkschaften werden auch gerichtlich gegen das Gesetz vorgehen. Ihre Kritik geht vor allem dahin, dass der Staat nicht das Recht hat, einen durch ihn einmal verliehenen Status einfach wieder rückgängig zu machen. Dies sei ein Eingriff in die Lebensplanung und mithin die Persönlichkeitsrechte der Menschen, der gegen ihre Würde gerichtet ist. Der Staat könne solche, nicht wirtschaftlichen Regelungen auslaufen lassen, sich aber nicht rückwirkend bestehender Verpflichtungen gegenüber seinen Bürgern entledigen.

red.

 

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