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(c) Pester Lloyd / 48 - 2011  POLITIK 28.11.2011

 

Zündelnder Nero

Nach der Herabstufung: Regierung in Ungarn legt nach - MIT KOMMENTAR

Nachdem sich im offiziellen Ungarn die erste, zum Teil schlecht gespielte Empörung über die Herabstufung der Kreditwürdigkeit gelegt hat, die Opposition ihr "siehste, haben wir doch gesagt" zum Besten gab und deutlich wurde, dass der Nationalwirtschaftsminister diesmal noch nicht als Bauernopfer dargebracht wird, werden auch Stimmen laut, die versuchen, die Optionen des Landes zu wägen. Doch da bleibt nicht viel Interpretationsspielraum, denn Orbán legte gleich noch einen drauf. Steuerfreie Arbeitgeberkredite sollen die Banken ärgern und machen aus Angestellten Leibeigene.

Wenn Ungarn von allem so viel hätte wie Orbán Selbstgewissheit,
dann wäre das Land wohl aus dem Gröbsten raus...

Lieber in Schönheit sterben...

Fasst man die Wortspenden - denn meistens kann man nicht von wirklichen Analysen sprechen - von aus- wie inländischen Ökonomen zusammen, wird deutlich, dass nichts deutlich wird. Niemand vermag nämlich seriös einzuschätzen, ob Orbáns Mannschaft tatsächlich ernsthaft mit IWF/EU über ein finanzielles Sicherheitsnetz verhandeln wird, was auch das Eingehen auf die dort gestellten Bedingungen beinhaltet oder ob man weiter riskiert, in dem Vabanquespiel "unorthodoxer Maßnahmen" in Schönheit zu sterben.

Eine Umkehr bedeutete jedoch Abkehr von utopischen Prognosen, Korrektur von fehlerhaften Entscheidungen, wie z.B der völlig an der wirtschaftlichen Realität vorbeikonstruierten Flat tax und Einsicht in die Notwendigkeit einer schrittweisen, strukturellen Gesundung, statt einer übereilten, auf ideologische Zielvorgaben geschneiderten Hau-Drauf-Politik und der vagen Hoffnung, Saudis, Chinesen oder Marsmännchen würden für die verschreckten Geldgeber des Westens und eine unkalkulierbare Wirtschaftspolitik in die Bresche springen.

Doch eher wird der Vatikan evangelisch, bevor Orbán einen fingerbreit zurückweicht: Wer noch glaubte, spätestens der Ordnungsgong von Moody´s und die scheinbare Annäherung an den IWF zeigten eine gewisse Kompromissbereitschaft, der irrte. Die Regierung schrie “Attacke auf das arme Ungarn” und setzt allen Ernstes den Geheimdienst ein, um untersuchen zu lassen, wer gegen Ungarn spekuliert. Am gleichen Tag, an dem man die Watsche wegen marktfeindlicher Eingriffe erhalten hat, dann noch das: ein neues Nationalbankgesetz, das diese wichtige Institution praktisch gleichschaltet sowie ein weiterer Coup gegen Banken, Bürger und Budget zeigen, dass die Sturheit Orbáns sein Risikobewußtsein deutlich überflügelt.

"Sozial" ist längst keine Kategorie mehr

Beeindruckend ist dabei nur die forsche Kreativität, der Rest ist nur noch beängstigend: Wir erinnern uns an das die Bankenwelt in helle Aufregung versetzende Kreditablösegesetz. Wie es aussieht, werden rund 20% der Forex-Schuldner das Geld aufbringen können, um von der gebühren- und kursbevorzugten Ablöse auf einen Schlag Gebrauch zu machen. Die Banken schrieben diese Millionen unter Gezeter ab, klagen vor EU-Gerichten, aber man sah, dass das keine Bank in den Ruin stößt.

Dass die Maßnahme, die fast logisch einen Kurssturz des Forint bedeuten musste, die ärmere Mehrheit, die brav ihre Franken-Raten weiter abdrücken müssen, noch stärker belastet als zuvor schon, wird in Kauf genommen. Dafür bediente man eine bestimmte Klientel, aus Kalkül. Ja, die stärkere Profilierung einer streng ständischen Ordnung ist eindeutig Teil des großen Plans. Soziale Ausgewogenheit ist im "Überlebenskampf der Nation" längst keine Kategorie mehr, dazu gibt es Dutzende Belege.

Weg frei für eine neue Leibeigenschaft

Nun aber will die Regierung - zur völligen Unzeit - noch einen draufpacken und schnürt das Kreditablösegesetz nochmals auf: Arbeitgeber sollen ihre Angestellten mit bis zu 7,5 Mio. Forint pro Nase (ca. 24.000 EUR, die durchschnittliche Höhe eines Forex-Kredites in Ungarn) aushelfen können, sozusagen als Betriebskredit, damit jene ihre Forex-Kredite doch noch zurückzahlen können. Die Mittel dafür werden von der Steuerpflicht befreit.

Damit schlägt man, so glaubt man, drei Fliegen mit einer Klappe: 1. Banken noch mehr zur Kasse bitten, da noch mehr die bevorzugte Forex-Ablöse zu Lasten der Banken (unser Mitleid hält sich hier wahrlich in Grenzen) wahrnehmen; 2. Unternehmern ein weiteres Steuergeschenk (zumindest einen Steueraufschub) machen; 3. Arbeitnehmer, die durch ein neues Arbeitsrecht ohnehin schon zu Untertanen gestempelt werden, gänzlich in die Leibeigenschaft ihrer "Herren" stoßen, was man dann unter “Investorenvertrauen und gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit” verbucht. Man kann sich ja ungefähr das Arbeitsklima vorstellen, das entsteht, wenn mein Arbeitgeber auch mein größter privater Gläubiger ist, zumal die geplante Gesetzesergänzung sogar eine "Arbeitsplatzbindung" bis zur Schuldentilgung ins Auge fasst (hierzu gab es noch verschiedene Versionen).

Orbán hat, kurz gesagt, sein Land in eine Spirale des Irrwitzes manövriert. Unter der Maßgabe der "Befreiung aus dem Schuldensumpf" und des "Neustarts" versucht er einen Umbau, der dem Land den Umstieg aus einem globalisierten Kapitalismus in ein kleinteiliges, auf die eigenen Bedürfnisse geschnitztes, back-to-the-roots-Wirtschaften ermöglichen soll. Handwerker, innovative Mittelständler und ihre Scholle beackernde Jungfamilien sollen die Zukunft bauen, so der süße Traum. Dumm nur, dass das Land in seinen wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen bis über alle Hälse global und regional vernetzt ist, auch wenn man das ignoriert.

Dieser "Logik" können nur noch Gläubige folgen

Orbán hat bis heute nicht realisiert, dass ihm die Märkte bei seiner "nationalkonservativen Revolution" nur insoweit folgen, wie das für sie unmittelbaren Nutzen bringt. Kapitalismus ist nunmal weder national, noch romantisch, sondern nur gierig, dabei aber eher rational veranlagt. Und die Märkte interessiert auch keine Zweidrittelmehrheit, sondern, ob der Staat noch seine Schulden bezahlen wird und ob 1+1 annähernd 2 bleiben.

Man darf, ja soll, das heutige dominante Wirtschafts- zumal das Finanzsystem ruhig verdammen und bekämpfen, aber man sollte nicht glauben, dass, nur weil Orbán vieles anders, er es auch besser macht. Es geht sogar noch schlechter, wie uns die Budapester Gurkentruppe tagtäglich beweist. Das Volk befreien, in dem man es jeden Tag mehr knechtet, ist eine Logik, die sich nur noch Strenggläubigen offenbaren kann.

Man ist sich in der Fachwelt weitgehend einig, dass Orbán zu einer Umkehr oder einer sichtbaren Korrektur nicht bereit ist, im Grunde genommen aus charakterlichen Gründen. Spitzt man es zu, hängt also das Schicksal des Landes am Maß der Eitelkeit seines Regierungschefs, der - Nero gleich - sein Liedchen trällert, während das Land abgebrannt darniederliegt, auch wenn er längst nicht der erste und einzige war, der daran zündelte.

Was läuft genau schief in der Wirtschaftspolitik?

Erwarteter Schock - Die Herabstufung und die Reaktionen

ms. / red.

 

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