(c) Pester Lloyd / 49 - 2011 WIRTSCHAFT 10.12.2011
Fiskale Geisterfahrt
Ungarn wird das Budget 2012 nun doch "vollständig" neu schreiben
Gerade wurde vom Parlament das Budget für 2012 zum Gesetz erhoben, nun "muss es vollständig revidiert werden...", gab der ungarische Regierungschef am Freitag
vor Pressevertretern zu. Was brachte ihn endlich zum Eingeständnis einer längst offensichtlichen Fehlplanung? Das IWF lässt grüßen. Und das Statsitikamt meldet
weitere deprimierende Zahlen und es zu fürchten, dass auch die Neuplanungen schnell von der tristen Realität überholt werden.
Muss den Rotstift nochmal neu ansetzen: Ungarns Premier Orbán.
"Das Haushaltsgesetz muss vollständig revidiert werden, wir brauchen eine ernsthafte
Neuplanung, für die wir aber nur wenig Zeit haben. Wir werden schon am Samstag damit beginnen.", sagte Orbán vor Medienvertretern, unmittelbar nach seinem weltweit
beachteten Nein-Jein zur EU-Vertragsneugestaltung.
Orbán gab, nach seinem indirekten Eingeständnis, dass man seit Monaten mit falschen
Zahlen operiert hatte, jedoch weder eine Auskunft darüber, warum dann der offenbar unhaltbare Haushalt überhaupt am 1. Dezember durchs Parlament gewunken wurde, noch, wie Minister Matolcsy noch vor wenigen Stunden von "lediglich kleineren Korrekturen" sprechen konnte. Offenbar einigte sich die Regierung in letzter Minute
darauf, sich und dem Land die Blamage zu ersparen, in der kommenden Woche mit diesem Zahlenwerk beim IWF aufzukreuzen. Schließlich war man ja auch im Umgang mit der Multinationenbank zu einer 180-Grad-Wende fähig, warum dann nicht auch beim Budget.
Orbáns am Freitag vorgetragene Einschätzung der Dinge ist es, dass "Anfang 2012 sehr
schwer wird, aber 2013 ein gutes Jahr werden könnte..." - "Wir müssen auch in der Eurozone eine Rezession erwarten und es wird eine schwierige politische Aufgabe, in
unserem Land eine Rezession abzuwenden." Bereits vor wenigen Tagen, gab Orbán eine ähnliche Kostprobe seiner ökonomischen Weitsicht, als er beim Besuch des deutschen
Finanzministers, Wolfgang Schäuble in Budapest meinte,"wenn das hier (die Eurokrise)
vorbei ist und Matolcsys Wachstumsplan funktioniert, werden wir bald das wettbewerbsfähigste Land der EU sein." Am Freitag ergänzte er das durch den
ermutigenden Satz: "Ungarn muss zwar seine Wachstumsprognosen senken, aber es gibt keinen Anlass zur Sorge."
Wie sich die Bilder gleichen: 2010 illustrierten wir das Haushaltsgesetz der Vorgängerregierung um
Premier Bajnai als Totgeburt. http://www.pesterlloyd.net/2009_49/49budgetab/49budgetab.html Heute ist dieses Bild wieder aktuell.
Orbán glaubt, dass "2012 für die EU noch
schwieiriger wird als man sich das sogar auf diesem Gipfel vorstellen kann, vor allem in der ersten Hälfte wird es einen ungeheuren Finanzierungsbedarf geben." Daher werden
"wir tun, was unser Navigationssystem `re-routing` (Routenneubestimmung, Anm.) nennt. Am Montag werde ich mich mit dem Wirtschaftsminister treffen, um vorwärts zu
kommen...". Dann wird man sehen, welche Ausfahrt die beiden dann nehmen und ob sie weiter als ökonomische Geisterfahrer auftreten.
Regierungssprecher András Giró-Szász
erläuterte am Freitagmorgen, dass "eine Kürzung der BIP-Prognose ein weiteres Loch von 100 Milliarden Forint (330 Mio. EUR) ins Budget schlägt", was man aber durch die
Budgetreserve gerade noch abfangen könne, womit auch das Defizitziel vo 2,5% einzuhalten sei. Allerdings erwähnte der Regierunssprecher nicht, dass sich weltweit die
Experten mittlerweile einig sein, dass auch die nun erneuerte Prognose von 0,5 bis 1% BIP-Wachstum in Ungarn 2012 auf Sand gebaut sein könnte. Weiterhin beklagen Experten
nicht nur ein Wachstums- und Prognoseproblem, sondern warnen vor allem vor völlig überschätzten Steuereinnahmen, durch die übereilt eingeführte Flat tax. Auch der
wahrscheinliche Forintkurs (im Haushalt noch immer mit 268 angenommen) muss deutlich korrigiert werden, die Kosten für den Schuldendienst gehören angepasst.
Möglich, dass die so entdeckten Löcher wieder mit einigen "unorthodoxen Maßnahmen"
gestopft werden müssen. Da die Belastung von Volk und Unternehmen mit Verbrauchs-, Chips-, Unfall-, Zusatz-, Sonder-, Krisen-, Branchen- und Einmalsteuern langsam an ihre
Grenzen stößt, die Rentenbeiträge ausgegeben sind, wäre eine Art verbindliche Volksanleihe, ein Modell, über das Orbán bereits schon laut nachgedacht hat. Die Überlegung: viele Besserverdienende stecken ihr durch die Flat tax zufallendes Geld nicht
in den Konsum, sondern legen es auf die Bank. Diese Beträge könnte man "aktivieren", glaubt der Premier. Über die wirre Wirtschaftspolitik berichteten wir u.a. hier ausführlich.
Giró-Szász meinte dennoch: Ungarns Situation sei heute viel günstiger als 2008, daher
könne man auch davon ausgehen, dass ein erneuter IWF-Kredit (das Wort fiel so zum ersten Mal, bisher sprach man immer nur von einem abrufbaren Sicherheitsnetz) zu
deutlich günstigeren Bedingungen zu haben sein wird als vor drei Jahren. Er sprach dabei vor allem die auf relativem Rekordniveau befindlichen Währungsreserven an, wobei er
nicht erwähnte, dass vor allem die Forintrücklagen der Zentralbank nun zur Lösung der
Kreitklemme angezapft werden sollen.
Hinsichtlich des angekündigten Rücktrittes von Entwicklungsminister Fellegi, der seinen Posten räumen will, um sich ganz den IWF-Verhandlungen zu widmen, meinte der
Regierungssprecher, dass "Fellegi einer der erfolgreichsten Minister des Kabinetts" gewesen sei, fügte aber an, dass "sein Abgang ja noch nicht feststeht."
Derweil legte das Statistische Zentralamt KSH weitere deprimierende Zahlen vor. Zwar
hielt das Wirtschaftswachstum in Q3 gegenüber dem Vorjahr bei +1,4%, gegenüber Q2 bei +0,5%, doch der Anstieg ist fast ausschließlich der Landwirtschaft, d.h. einer besseren
Ernte als im Vorjahr sowie der exportorientierten Fertigungsindustrie (Automobilindustrie etc.) anzurechnen, ansonsten wiesen fast alle Branchen Rückgänge auf, ein Zeichen, dass
Ungarn sich bereits in einer Rezzession befindet. Die Inlandsnachfrage ging im dritten Quartal doppelt so schnell zurück wie ein Quartal zuvor und ließ im Jahresvergleich um
2,6% nach, der Privatkonsum stagniert auf niedrigem Niveau, die Investitionen sanken um über 7%, der Arbeitsmarkt blieb praktisch unverändert. Sämtliche Analysten erwarten in
den "nächsten Quartalen" weiter deutlich schlechtere Zahlen.
UPDATE 12.12.: In einer Fernsehsendung am Sonntagabend relativierte Orbán einen Teil
seiner am Freitag getroffenen Aussagen. Er meinte zwar, dass man die Wachstumsprognose auf “maximal 0,5% des BIP” setzen müssen, sonst aber keine
größeren Korrekturen von Nöten seien, weil Ungarn über “ausreichend Reserven” verfügt. Er mochte auch nicht erklären, wie es zu diesem “Missverständnis” kommen konnte, dass
man beim Gipfel in Brüssel, Ungarn neben Großbritannien zu den Verweigerern einer Vertragsänderung zählte. Orbán meinte, dass “Ungarn zu den neun Ländern gehören
wird, die über eine so wichtige Frage ihre Parlamente entscheiden lassen.” Die Entscheidungen würden Ungarn “Souveränität entscheidend einschränken”, warnter er
weiter. Außerdem werde sein Land auch nicht zur Aufstockung des IWF-Kapitals (als Teil eines erweiterten Schutzpaketes) einzahlen. Zudem wird Minister Fellegi, der seinen
Rücktritt zu Gunsten des Engagements für die IWF-Delegation angekündigt hatte, um über ein weiteres finanzielle Notsicherheitsnetz für Ungarn zu verhandeln, “Teil des
Regierungsteams bleiben”.
red.
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