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(c) Pester Lloyd / 49 - 2011  POLITIK 07.12.2011

 

Solidarität statt Gehorsam

Ein Offizier will die Demokratie in Ungarn retten

Der Chef der Dachgewerkschaft für die bewaffneten Organe in Ungarn, FRDÉSZ, Péter Kónya, legte am Montag seine Ämter nieder und scheidet aus der Armee aus - aus Gewissensgründen. Der Schritt des charismatischen Gewerkschafters mag ein Verlust für die Interessensvertretung sein, für die politische Landschaft und Kultur in Ungarn könnte sie ein Aufbruchssignal bedeuten.

Denn Kónya ist Mitbegründer und Führungsfigur der jungen Szolidaritás-Bewegung, der er sich nun mit ganzer Kraft widmen will "um die Demokratie zu verteidigen". Angesichts der neuesten "Performance" führender Gewerkschaften gegenüber der Regierung, ist dieser frische Wind auch dringend nötig.

Péter Kónya, hier links im Bild, bei der Ausrufung der Szolidaritás, die sich nicht von ungefähr an die polnische Solidarnosc anlehnt, auch, um jeden Verdacht “links” zu sein, von vornherein auszuschließen.

Die Entscheidung Péter Kónyas, das Amt des Vorsitzenden der Gewerkschaft für die bewaffneten und Ordnungskräfte (FRDÉSZ) aufzugeben, überrascht nicht wirklich, allenfalls der Zeitpunkt, den er für diesen Schritt gewählt hat. In der Sitzung des FRDÉSZ-Präsidiums am 5. Dezember 2011 erklärte er noch einmal offiziell seinen Rücktritt mit Wirkung vom 1. Dezember.

Gleichzeitig bat er den Generalstabschef der ungarischen Streitkräfte (Honvéd), ihn von seinem Dienstverhältnis als Oberstleutnant zu entbinden. 13 Jahre lang stand Kónya an der Spitze seiner Gewerkschaftsföderation, der sieben Einzelgewerkschaften angehören und die erst unter seiner Führung als glaubwürdige Interessenvertretung des Militärs und anderer Ordnungskräfte öffentlich wahrgenommen wurde.

Interessenvertretung "nicht mehr möglich"

Mit seiner neuen und kreativen Demonstrationskultur – beispielhaft dafür stehen die „Clownsrevolution“ und der „Gewerkschaftliche D-Day“- verstand er es, gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten, wieder ein breiteres Interesse der ungarischen Öffentlichkeit an den Gewerkschaften zu wecken. Deshalb bedeutet sein Rückzug nicht allein für seine eigene Föderation, sondern darüber hinaus für die ungarische Gewerkschaftsbewegung insgesamt einen herben Verlust. Doch Kónya gibt Gründe an, die so eindringlich wie logisch klingen.

„Als Soldat habe ich meinen Eid darauf geleistet, die Rechte der Staatsbürger zu verteidigen, aber gleichzeitig konnte ich weder als Soldat noch als Interessenschützer verhindern, dass uns unsere Rechte genommen wurden“, begründet Péter Kónya seinen Entschluss. Ständige Umorganisierung, von Haushaltszwängen auferlegter drastischer Personalabbau und Wandel des rechtlichen Umfeldes hätten die militärische Laufbahn „entleert und abgewertet“.

Und er fügt dann hinzu, dass es ihm infolge der bisher angenommenen und der noch geplanten Veränderungen des Dienstrechts künftig nicht mehr möglich sein werde, die Interessen seiner Zielgruppen, darunter der Soldaten, „anständig und konsequent“ zu vertreten. Das ist ein Rückzug aus Gewissensgründen und diese eher resignativen Worte dürften potenzielle Bewerber nicht gerade ermutigen, sich in die freigegebene Funktion des Gewerkschaftsvorsitzenden zu drängeln, verheißen sie doch dem Nachfolger deutlich schwierigere Aufgaben als Kónya selbst zu bewältigen hatte.

"Meine ganze Kraft für die Verteidigung der Demokratie"

Seinem Offizierseid gemäß wolle er auch weiterhin leben und handeln, lässt er die Mitglieder seiner Föderation wissen und weist damit jeden Verdacht zurück, Frustration und Resignation hätten ihn veranlasst, die Arbeit bei den Gewerkschaften hinzuschmeißen. Seit Kónya vor einem knappen Vierteljahr beim Gewerkschaftlichen D- Day “spontan” und keineswegs von allen Gewerkschaftsführern begeistert begrüßt die Gründung der Ungarischen Solidaritäts-Bewegung "Szolidaritás" bekannt gab, tauchten immer wieder Gerüchte auf, dass ihm das gewerkschaftliche Wams zu eng geworden sei und er eine neue politische Herausforderung suche.

Jetzt schloss er seine Rücktrittserklärung mit der Ankündigung ab: „In Zukunft werde ich meine ganze Kraft darauf verwenden, als Kovorsitzender der Ungarischen Solidaritäts-Bewegung die Demokratie zu verteidigen, die Rechte und die Interessen der Staatsbürger zu schützen und anstandsvoll die Ungarische Solidaritäts Bewegung und die sich ihr Anschließenden zu vertreten.“ Die junge, noch lose verbundene Protestbewegung wird eine Führungspersönlichkeit mit dem organisatorischen und inspiratorischen Talent, das Péter Kónya auszeichnet, und der Bereitschaft, sich voll den anstehenden Aufgaben zu widmen, gut gebrauchen können. Dass er mit der militärischen Attitüde mitunter kokettiert, sie sozusagen als PR-Instrument einsetzt, kommt bei der Zielgruppe umso besser an.

Linke wie rechte Gewerkschaften ließen sich
von der Regierung über den Tisch ziehen

War es Zufall oder Kalkül, dass Péter Kónya genau zu der Zeit von der gewerkschaftlichen Bühne abtrat, als drei Konföderationen – Arbeiterräte, LIGA und MSZOSZ - mit den Arbeitgebern und dem Minister für die Nationalwirtschaft eine Vereinbarung unterzeichneten, mit der sie dem veränderten Entwurf für ein neues Arbeitsgesetzbuch zustimmen, weil sie nicht mehr glauben, über das jetzt Erreichte hinaus noch mehr von ihren Forderungen durchsetzen zu können, auch wenn das erreichte Ergebnis ein miserables bleibt. Kónyas Schritt ist so gesehen auch eine Kampfansage gegen die Kungeleien der etablierten Gewerkschaften.

Der Vorsitzende des MSZOSZ, Péter Pataky, sprach von einem Ultimatum der Regierung: Entweder ihr unterschreibt oder es wird keine noch so geringen Modifizierungen des ursprünglichen Gesetzesentwurfs geben. Vor die Wahl gestellt, habe er sich für das kleinere Übel entschieden. Auch die LIGA gibt vor, im Interesse der ArbeitnehmerInnen wenigstens die Chance für einen moderateren Entwurf des neuen Arbeitsgesetzbuches  genutzt zu haben, der aber härter sei als das heute noch geltende Arbeitsrecht. Was von der LIGA inzwischen zu halten ist, war in der vorigen Woche an einem eindrücklichen Beispiel von "Teile und herrsche" zu erfahren. LIGA-Chef Gaskó, gleichzeitig Chef einer bekannten Eisenbahnergewerkschaft holte sich den Sold für sein Stillhalten und seine Dienste während der Fidesz-Oppositionszeit ab, prompt sagte er angekündigte Warnstreiks ab. Dafür hagelte es Buh- und Verräterrufe verärgerter Gewerkschaftsmitglieder bei der letzten Demo.

Starke Szolidaritás könnte Gewerkschaften auf Zack bringen

Für andere Gewerkschaftsführer ist das Abkommen schlichtweg „illegitim”. Auch wird den Unterzeichnern gelegentlich Verrat und Kapitulation vorgeworfen. Zu befürchten ist eine neue Vertrauenskrise innerhalb der Gewerkschaften mit ungewissem Verlauf und Ausgang. Eine der Mitgliedsorganisationen des MSZOSZ dachte bereits laut über ihre weitere Zugehörigkeit zur Konföderation nach. Doch überzeugende Wege, wie ein neues Arbeitsgesetzbuch noch zu verhindern wäre, zeigt bisher niemand auf, vielleicht kann Péter Kónya mit seiner Szolidaritás einen Weg zeigen, der eine neue Gemeinsamkeit Betroffenen befördert und so auch die lavierenden Gewerkschaften endlich auf Zack bringt, da sie sonst riskieren, dass ihre Mitglieder sich auf Dauer von ihnen abwenden.

Rainer Girndt / red.

http://www.szolidaritasmozgalom.hu/

http://www.frdesz.org.hu/
 

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