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(c) Pester Lloyd / 49 - 2011  WIRTSCHAFT 05.12.2011

 

Luftschloss an der Bernsteinstraße

Ungarn legt wieder einen "Plan" für Wachstum vor

Hatte wirklich noch ein Beweis für die Unfähigkeit der "rechten Hand" Orbáns, Wirtschaftsminister Matolcsys gefehlt? Seit Freitag liegt er vor. Der neue "Plan für Wachstum" zeigt, in welcher Schein- und Parallelwelt der oberste Politökonom des Landes schwebt. Auf Befehl von Orbán hat der Minister ein Sammelsurium von vagen Hoffnungen und Progonsen zusammengeschustert, deren Basis wieder nur Wünsche, kaum Realitäten sind. Wozu?

Der internationale wie nationale Druck auf Nationalwirtschaftsminister György Matolcsy in den vergangenen Wochen war groß. Zweifel an seiner Kompetenz gab es schon länger, doch kulminierten diese als die Regierung in Budapest hinsichtlich des IWF eine Kehrtwende hinlegen musste, aber dennoch nicht die Herabstufung auf Ramsch durch eine einschlägige Ratingagentur verhindert werden konnte. Der (auch) damit verbundene Absturz des Forint, kostet die in Fremdwährung verschuldeten Ungarn jede Menge bares Geld, was auch die Stimmung in der Anhängerschaft nah ans Kippen brachte. Dabei darf nicht vergessen werden, dass György Matolcsy als "rechte Hand" lediglich ein Teil des Systems Orbán ist und von diesem als potentielles Bauernopfer in der Hinterhand gehalten wird.

"Um einen Einbruch des Wachstums" im kommenden Jahr zu verhindern, vor allem aber, um die öffentliche Meinung umzustimmen, legte der Minister nun einen weiteren "Plan" vor, der aber wieder nicht viel mehr ist als ein Sammelsurium von Hoffnungen und Progonsen, deren Basis Wünsche, kaum Realitäten sind. Die (unabhängigen) ungarischen Medien kommentieren den Papierstapel nur noch mit Spott.

Am Freitag präsentierte ein sichtlich angestrengt wirkender Minister das 178-seitige Werk, begleitet von den üblichen Phrasen, Schuldzuweisungen und Durchhalteparolen. Dabei liest sich schon die Einführung zum neuen Budget wie der Wetterbericht eines Legasthenikers, wörtlich: "Die Regierung Ungarns tritt trotz der durch die sich verändernde Umgebung der Weltwirtschaft und der von den europäischen Staatsschuldenkrisen ausgelösten Gewitter für die Einhaltung der im Kálmán-Széll-Plan und im Konvergenzplan festgelegten des 2,5 %-igen GDP-proportionellen Mangelziels auf."

Was ist mit den anderen Plänen?

Und obwohl die Regierung längst zugestanden hatte, dass ihre Wachstumsprognose von 1,5% des BIP, auf der auch das gerade beschlossene Haushaltsgesetz noch beruht, nicht zu halten sein wird, findet sich in dem neuen Plan keine Korrektur. Wichtiger ist Matolcsy hingegen die zunächst recht ergebnisfreie Platzierung des Landes in diversen Rankings der Wettbewerbsfähigkeit, hier soll es wenigstens 10, dort 20 Plätze nach oben gehen. Ungarn soll gefälligst binnen wenigen Jahren so "wettbewerbsfähig" werden wie Tschechien, so produktionsstark wie Polen und so modern wie Estland und sich "in den Top 15" der EU bewegen.

Matolcsy berichtete, dass ihn Premier Orbán aufgefordert habe, "alles andere beiseite zu lassen", um diesen "neuen Wirtschaftsplan" auszuarbeiten. Dabei gibt es schon seit über einem Jahr zwei einschlägige Planungswerke, den "Széll Kálmán Plan", der vor allem strukturelle Reformen und Einsparungen formuliert sowie den "Neuen Széchenyi Plan", der die Umleitung von EU-Geldern zu KMU sowie die gezielte, branchenspezifische Förderung von Wachstumsprojekten und Investitionen beinhaltet. Beide sind vielfältig von der Realitiät überholt worden, die sich pardou nicht an die Maßgaben der selbsternannten Retter der Nation hielt. In diese Zauberwelt passt auch die gerade erfolgende Gründung einer 100köpfigen staatlichen Plankommission, die Reaktion von Orbán auf die Herabstufung und überhaupt die Art und Weise wie von dieser Regierung Wirtschaftspolitik betrieben wird.

Nachfragesteigerung durch "verbesserte Aufklärung"

Weitschweifig meandern im neuen "Wachstumsplan" die ministeriellen Gedanken zunächst durch die ungarische Industrie- und Wirtschaftsgeschichte, denn ohne Interpretation und ideologischen Unterbau geht auch heute in Ungarn nichts. Als wichtigste Schlagworte werden dann eine "Re-Industrialisierung" sowie die Steigerung der Wettbwerbsfähigkeit wie der Exportraten genannt. Die "Re-Industrialisierung" folgt der nicht so abwegigen und von Orbán immer wieder vorgetragenen Überlegung, dass die Realwirtschaft, die Produktion von Gütern, die Basis einer gesunden Volkswirtschaft darstellt. Dabei solle man geographische Vorteile nutzen, heißt es im Plan, der ansonsten immer gern auch auf die oben genannten älteren Geschwister zurückgreift.

Folgen soll nun eine Exportoffensive für "Unternehmen in ungarischem Eigentum" sowie eine "Belebung der Inlandsnachfrage" für Investitionen. Ziel soll es sein, die "Liefer- und Fertigungskette" im Lande zu verlängern, um das Verhältnis von Importen und Exporten zu verbessern. Außerdem soll die Nachfrage im Inland generell erhöht werden. Wie? Durch mehr Geld, ein gerechteres Steuersystem? Nein, durch "verbesserte Aufklärung der Verbraucher". Man darf sich in bunten Farben ausmalen, wie das aussehen wird. Was die Flat tax, diese vertikale Umverteilung von unten nach oben mit der Binnennachfrage getan hat, darüber schweigt sich der Minister natürlich aus.

Tor zum Osten, Westen, Norden, Süden

Im weiteren erhofft, nein, erwartet man, dass "Ungarn ein regionaler Hub durch Nutzung der geographischen Gegebenheiten" wird. Hier könne man "gleichzeitig das westliche Tor der asiatischen Wachstumsregion sein, das östliche Tor des innovationsgetriebenen Europas und ein wichtiger Player der nord-südlichen Bernsteinstraße". Herzstück des Planes ist die Erhöhung der Wettbwerbsfähigkeit, für die alles andere untergeordnet werden soll. Hier spielen das neue Arbeitsrecht, die Entlastung der Unternehmen von Bürokratie, ein vereinfachtes Steuerrecht sowie gezielte Förderprogramme für besonders aussichtsreiche Branchen die zentralen Rollen, was umso mehr die Frage aufwirft, wozu dieser neuerliche Plan eigentlich vorgelegt wurde, wenn all das so ähnlich schon bei "Széchenyi" und in den etlichen Kardinalsgesetzen nachzulesen ist? Als ....vorlage für den IWF?

Matolcsy leitet die Delegation für die IWF-Verhandlungen nicht einmal, sondern Entwicklungsminister Tamás Fellegi wurde zu diesem Zwecke abkommandiert, wofür es - aus vierlerlei Perspektiven - stichhaltige Gründe gibt. Die Vorlage eines "Plans für Wachstum", der weder konkrete Schritte enthält, noch belastbare Daten liefert, ist im Angesicht der offensichtlichen Fehlentwicklungen in der ungarischen Wirtschaftspolitik ein weiteres Armutszeugnis dieser Regierung, die noch immer nicht begriffen hat, dass die Nationalökonomie kein Tummelplatz für Experimente und Ideologien sein sollte und dass sich Wachstum nicht durch Pressekonferenzen und fortgesetzte Rechthaberei erzeugen lässt.

Mehr zur Wirtschaftspolitik im entsprechenden Ressort

red.

 

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