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(c) Pester Lloyd / 50 - 2011  POLITIK 13.12.2011

 

Interpretationen ohne Spielraum

Ungarn bleibt beim "Jein" von Brüssel - Weiteres Gezerre ums Budget

Orbán verteidigte am Montag seinen Brüsseler Kurs vor dem Parlament mit einer Art Brandrede. Dabei versuchte er wieder die Debatte, um das aus dem Rahmen gefallene Budget, auf das Terrain der Fremdschuld zu ziehen, das ihm innenpolitisch ergiebiger erscheint als die Fuchserei um ein paar Milliarden. Die offizielle Sprachregelung für die anstehende Budget-Korrektur lautet denn auch "Maßnahmen zum Schutz des Landes vor der Krise der Eurozone"...

Der Regierungschef wiederholte, bei der Brüsseler Nachtsitzung gar kein Veto eingelegt, sondern von Anfang an nur auf der Seite jener Länder gestanden zu haben, die, "wie es ihre Verantwortung und zutiefst demokratisch ist", erst ihr nationales Parlament über eine Frage von "derartiger Tragweite" wie jener einer EU-Vertragsänderung befragen müssen. Wozu man bis März Zeit zu haben glaubt.

Orbán wirkt angestrengter als sonst. Die inneren Widersprüche zwischen Wollen und Können hinterlassen erste Spuren, aber noch keine Ergebnisse. Foto: MEH

Warum Ungarn dann in einem medialen Atemzug mit Großbritannien genannt wurde? Offenbar wieder eine Fehlleistung bösartiger Medien, so die einhellige Meinung aus dem Regierungslager, das diesmal aber keine Geheimdienstermittlungen in Auftrag gab, um die "Feinde Ungarns" zu stellen, wie kürzlich, als der Forint es wagte unter eine vom Premier akzeptierte Marke zu rutschen.

Man übt sich wieder in der Opferrolle

Orbán illustrierte in weitschweifigen Worten den "Sturm, der nächstes Jahr über Europa toben wird." - "Und dieser Sturm, meine Damen und Herren, weht dann auch hier." Zwar konstatierte Orbán, dass es zunächst keine Eurobonds geben wird, er stellte jedoch auch fest, dass "die Mitgliedsländer nicht genug Geld zusammenbekommen, um die Märkte zu beruhigen", wobei in der Rede nicht klar wurde, ob ihn das nun freut oder besorgt. Ungarn werde jedenfalls keine weiteren IWF-Gelder bereitsstellen. Wie auch, wenn man sich dort gerade um einen neuen Notkredit umhören muss? "Diese Krise ist nicht Ungarns Krise, sie ging nicht von Ungarn aus und wir können sie daher auch nicht lösen." Man werde nur "Leidtragender" sein, so Orbán vor den Abgeordeneten.

Der Premier überspielt mühsam wachsende Unsicherheiten

Alles was nicht der Eurokrise beizuordnen ist, kommt von den Vorgängern, auch das machte der Premier in seiner Ansprache an das Parlament am Montag deutlich. Dazu passt auch, dass die Bemühungen, Ex-Premiers wegen verantwortungsloser Budgeterstellung vor Gericht zu bringen, weiter vorangetrieben werden. Orbán ignoriert dabei, dass er selbst bald zu dieser Riege gehört.

Er klammert sich immer mehr an die Paraphrase der Fremdschuld, die ihm Sicherheit gibt, weil Polemik sein Terrain ist, während immer offensichtlicher wird, dass ihn der innere Widerstreit zwischen ideologisch gewünschten Maßnahmen (Flat tax, Arbeitsamkeit etc.) und ökonomischer Realitiät überfordert, ohne jedoch neue Einsichten freizugeben und damit die Möglichkeit einer Korrektur zu eröffnen. Während Europa so nur die Folgerung bleibt, in Ungarn weiterhin einen unberechenbaren Partner zu haben, gefährdet die Uneinsichtigkeit hinsichtlich eigener Fehler in der Wirtschaftspolitik das Land unmittelbar.

Die Reaktionen auf Orbáns Brandrede, deren Polemik, die gewachsene Unsicherheit kaum mehr kaschieren konnte, waren nicht so überraschend: die KDNP, der frömmelnde Wurmfortsatz des Fidesz, drückte "ihre volle Unterstützung für die Position des Premierministers" aus. Fraktionschef Péter Harrach wiederholte mit eigenen nochmals Orbáns Worte von der "Tragweite der Entscheidung", auch wenn bei der Mehrheitskonstellation, das Parlament oder Viktor fragen, ungefähr das gleiche ist.

Opposition: Regierung hat Ungarn zu einer Lachnummer gemacht

Die Oppositionsfraktionen stichelten, so gut sie eben konnten. Die Entscheidung Orbáns in Brüssel, sich nicht an einer Vertragsänderung der EU zu beteiligen, hätten nichts mit einem "Kampf um Unabhängigkeit" zu tun, sagte MSZP-Chef Mesterházy, Orbán habe schlicht Angst, dass bei näherem Hinsehen und einer stärker kontrollierten Wirtschaftspolitik seine "unorthodoxen Maßnahmen" als uneuropäisch und unsozial und zudem als ökonomisch unsinnig entlarvt werden könnten. Orbán arbeite sich nur an den Vorgängern ab, um seine eigene Amateurhaftigkeit und die Unfähigkeit seines Wirtschaftsministers zu kaschieren. Ein Ausscheren Ungarns von der EU-Linie hätte die schlimmsten Konsequenzen, darüber sollte er nachdenken, wenn er von Verantwortung für das Land spricht.

LMP-Chef Schiffer macht sich indes Sorgen um die Verhandlungen mit dem IWF, die in dieser Woche informelle beginnen, im Januar dann konkret werden sollen. Schiffer fordert einen "nationalen Krisenrat, der ein nationales Minimum" als Verhandlungsbasis ausarbeiten soll. "Länger arbeiten für weniger Geld, wird Ungarn nicht wettbewerbsfähiger machen", das schafft man nur durch eine berechnbare Politik.

Jobbik, selbst Meister im Fach der Stellvertreterkriegsführung, kommentierte die Ereignisse der letzten Woche als viel "Wirbel um Nichts". Im übrigen sei die Einschaltung des Parlaments bei der Frage der "Unabhängigkeit Ungarns" nichts wert, Orbán solle sich dabei direkt ans Volk wenden.

Der Sprecher der neuen Demokratischen Koalition (einer Abspaltung der MSZP unter Führung von Ex-Premier Gyurcsány), Csaba Molnár, nannte die Auftritte Orbáns auf internationaler Bühne eine "armselige intellektuelle Performance", der Ministerpräsident sei ängstlich und unvorbereitet aufgetreten und habe Ungarn durch sein Changieren von "Nein" zu "Vielleicht" bis hin zu einer klausulierten Zustimmung des Außenministers zu einer internationalen "Lachnummer" gemacht. Dass dieser Auftritt so nie stattgefunden hätte, wenn Molnárs Chef Gyurcsány einst besser vorbereitet gewesen wäre, muss an dieser Stelle ergänzt werden, weil diese Einsicht aus dem “linken” Lager leider bis heute nicht zu hören ist.

Gezerre um Staatshaushalt geht weiter

Es kann nicht sein, was nicht sein darf? - Nachdem der Premier in Brüssel zunächst eine "vollständige" Überarbeitung des Budgets 2012 ankündigte, schwächte er dies einen Tag später zu "in ein paar Punkten" ab, nun, nach einer Fraktionssitzung von Fidesz-KDNP am Montag, heißt es: "die Hauptkennzahlen müssen nicht geändert, ja dürfen nicht geändert werden!" Genau hier müsste nun der "unabhängige" Haushaltsrat eingreifen.

Anstatt belastbare Zahlen vorzulegen, ergeht sich die Staatsspitze in der Haushaltsfrage weiter in Rechtfertigungen und Schulddelegierung. Zusätzlich hat sich Fidesz in seiner endlichen Weitsicht ein ziemliches parlamentarisches Ei gelegt hat, als es festlegte, dass Haushaltskennziffern im Nachhinein nur noch mit einer 4/5-Mehrheit geändert werden können, womit man glaubte, dem Volk Vertrauen einzuflößen. Schneller als gedacht, bekommt man nun eine Ahnung, was für blockierende Wirkung die zwei Dutzend Kardinalsgesetze in der Verfassung einmal entfalten werden, wenn erst auch die 2/3-Mehrheit des Fidesz einmal gebrochen sein wird. Dann lässt sich fast kein Politikfeld mehr ohne die Zustimmung der Opposition beackern, was einen Stillstand und ständiges fruchtloses Hauen und Stechen vorprogrammiert.

Schweigender Haushaltsrat

Heute bedeutet es, dass die MSZP "darüber nachdenkt, einer Änderung des Verfahrens zuzustimmen", was den sonst eher depressiv durchs Parlament wankenden "Sozialisten" ein lange nicht gekanntes Machtgefühl verschafft. Auch die Frage nach dem Sinn des neu installierten und "unabhängigen" Haushaltsrates stellt sich. Während man die Vorgängerinstitution wegen Unbotmäßigkeit abschaffte, stattete man den neuen Rat sogar mit einem Vetorecht, ja einer Vetopflicht aus, sollte er unrealistische Kennziffern im Haushaltsgesetz erkennen. Doch vom Rat, rund um einige Orbán-Freunde, war kein Pieps zu hören, was der bösartigen Unterstellung Nahrung gibt, dieser Rat sei doch nur zur Blockade künftiger Nicht-Fidesz-Regierungen gedacht.

In Zahlen: setzen wir die neue, offizielle Wachstumsprognose einmal Fürwahr, also +0,5% des BIP, bedeutet das eine Korrektur von rund 1 Prozentpunkt und ein zusätzliches Haushaltsloch von rund 100 Mrd. Forint (330 Mio. EUR), das gerade noch durch eine Budgetreserve abgefangen würde. Passt man auch die Inflationsprognose (gestern kamen Zahlen von über 4%) und einen realistischeren Forintkurs, statt der 268 im Budget an (eine 300 wäre wohl das verantwortliche Minimum), fehlen weitere 150 Mrd. Dummerweise rechnen viele ernstzunehmende Experten mit einer Stagnation oder gar Rezession, die meisten Branchen in Ungarn hat diese längst gepackt.

Sollten die schlimmsten Prognosen eintreffen, schrumpft die Wirtschaft im kommenden Jahr um bis zu 1%, der Mehrbedarf zum aktuellen Haushaltsplan läge dann bei 400-600 Mrd. Forint, ohne die Einrechnung von Extras wie einem verteuerten Schuldendienst, Zusatzkosten pleitierender Staatsbetriebe (BKV, Malév, MÁV) sowie vollkommen unberechenbare Bürden durch die Übernahme sämtlicher bisher in Komitatsverwaltung befindlicher Insititutionen, von denen man beim besten Willen nicht alle schließen kann.

Ein worst case Szenario könnte ein Loch von 600-800 Mrd. Forint bedeuten, das sich durch keine Reserve mehr schließen lässt. Die Interpretationen der führenden Politiker finden daher ohne Spielraum statt.

Das Defizitziel von 2,5% kann so nur wieder durch "unorthodoxe Maßnahmen" geschlossen werden, was die Möglichkeit einiger sehr böser Überraschungen für Volk und Wirtschaft einschließt, auch wenn "Ich schaff das"-Minister Matolcsy behauptet, das sei alles "durch ein paar Einsparungen" zu managen. Haushaltspolitik mit falschen Zahlen und Konjunktiven zur Berichtigung, das haben schon die Vorgänger gezeigt, sind weder für das Land, noch für die Regierungspartei ein existenzsicherndes Mittel.

Zum Thema:

Zu den konkreten Fehlentwicklungen in der Wirtschaftspolitik
dieser Regierung Beispiele in diesem Beitrag:
Széchenyi würde auswandern
- Chaos als einzige Konstante der Wirtschaftspolitik in Ungarn, Okt. 2011

Viele weitere Aspekte in der WIRTSCHAFTS- UND STEUERPOLITIK

red.
 

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