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(c) Pester Lloyd / 50 - 2011  WIRTSCHAFT 14.12.2011

 

Aufschwung totreformiert

Verschlimmbesserungen für Unternehmen in Ungarn

Nicht der "Sturm über Europa", sondern der Sturm im heimischen Wasserglas macht den Unternehmern am meisten zu schaffen. Jeder fünfte Arbeitgeber in Ungarn will 2012 Leute entlassen, kaum einer neue einstellen. Der viel gelobte Mittelstand, verliert angesichts chaotischer Regierungsmaßnahmen die Lust am Unternehmertum. Ein Überblick über hausgemachte Fehlleistungen.

Eine aktuelle Umfrage des Personaldienstleisters Manpower besagt, dass 22% der ungarischen Unternehmen im kommenden Jahr den Abbau von Stellen planen, nur 8% wollen neues Personal einstellen. Manpower merkt dazu an, dass die Schere von 14 Prozentpunkten, der größte je in einer solchen Umfrage gemessene Wert ist. Man habe dabei rund 750 Arbeitgeber befragt.

Freilich interessiert Manpower dabei nicht so sehr das Schicksal der Arbeitslosen wie die eigene Auftragslage bei der Verleihung von möglichst günstiger Arbeitskraft. Und da schlagen, neben der allgemein ungünstigen Konjunktursituation, vor allem die steigenden Lohnkosten als Grund für Personaleinsparungen böse ein. Dabei sollten doch gerade die Unternehmen und Unternehmer durch niedrige Steuern, 10% auf Gewinne bis 500 Mio. HUF und gerade 16% auf Einkommen, beflügelt werden, das Rückgrat des neuen Ungarn bilden und Leute einstellen. Was ist passiert?

Bilder mit Arbeitern und der Premier als zupackender Freund der Wirtschaft sind bevorzugte Motive der Regierungs-PR (nicht nur in Ungarn). Wir sehen ihn hier bei Ortsterminen bei der Einweihung eines Solarpanel-Werkes der Jüllich Glas, bei Audi, Opel, einem großen Verwurster in Pápa sowie bei Bosch. Große Unternehmen können es sich, schon aufgrund ihrer Größe meist auf informellem Wege richten lassen. Doch kleine Unternehmen, ohne entsprechende Nahverhältnisse, haben es immer schwerer. Fotos: MEH

Lohndiktat wegen fehlerhafter Steuerpolitik

Im kommenden Jahr wird der gesetzliche Mindestlohn um 18% angehoben, von derzeit 78.000 auf 93.000 Forint für ungelernte und von 94.000 auf 108.000 Forint für gelernte Beschäftigte, - nichts, worüber sich irgendeine Seite freuen könnte. Denn die Belastung für die Arbeitgeber steigt zusätzlich, in dem die Berechnungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge auf 150% des Mindestlohnes festgesetzt wurde, außerdem wurden die arbeitgeberseitigen Abgaben um 1 Prozentpunkt angehoben, die der Arbeitnehmer auf 27% des Bruttolohnes pauschaliert (auch 1 Punkt mehr), wobei nicht einmal mehr in einzelne Beiträge für Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung unterschieden wird. Es kommt alles in einen Topf, dann sieht man mal weiter. Wie bekannt wurde, steigt für Budapest außerdem die Gewerbesteuer von 2 auf 2,5% des Umsatzes. Wie man unter diesen Maßgaben erwarten will, dass die Arbeitgeber von der an sich kriminellen Praxis abkehren sollen, "Restlöhne" schwarz auszubezahlen, bleibt eines der vielen Rätsel dieser Regierung.

Die Regierung empfiehlt für das kommende Jahr durchschnittliche Lohnerhöhungen von 5%, eine Empfehlung, die sonst vom Rat der Sozialpartner kam, der in seiner bisherigen Form von der Regierung aufgelöst worden ist. Die Inflation lag im Oktober bei 4,3%, Tendenz steigend. Außerdem erwartet die Regierung, dass die Gehälter der Bezieher von Mindestlohn überdurchschnittlich angehoben werden, am besten bis zu jener Grenze, ab der die neue Flat tax sich für die Bezieher geringer Einkommen überhaupt erst positiv auswirkt, d.h. sie nicht mehr kostet als zuvor. Diese Grenze liegt bei ca. 210.000 Forint. Bezieher von Einkommen, die darunter liegen, haben aufgrund des sog. Superbruttos, also der Anrechnung der arbeitgeberseitigen Sozialabgaben auf die Berechnungsgrundlage für die Einkommenssteuer der Arbeitnehmer, nichts von der "Flat tax", die nominal nur 16% des Einkommens betragen sollte.

Wer zahlt die Lücke?

Bezieher höherer Einkommen, die bisher überproportional und für den Staat eigentlich unleistbar, von der neuen Flat tax profitierten (die Schere zwischen geringen und hohen Einkommen wuchs allein in diesem Jahr um 37%!), müssen für 2012 eine "Sonderabgabe" entrichten, um die unteren Einkommen zu kompensieren, damit "niemand weniger verdient" als im Vorjahr, was dennoch in vielen Fällen weniger ist als vor zwei Jahren. Der Staat will auf diese Weise - laut Budget - rund 84 Milliarden Forint (ca. 270 Mio. EUR) umverteilen, nennt die Steuer, die also, wie oben gezeigt, mehrere Abstufungen kennt, immer noch "flat".

Selbst nach Angaben des zuständigen Staatssekretärs, erwartet man für diese "Kompensationszahlungen", die über Steuergutschriften an die Unternehmen ausgereicht werden, Kosten von "mehr als 100 Mrd. Forint", was die Frage aufwirft, durch welchen Budgetposten die Differenz gedeckt werden soll. Gibt es dafür keinen, ensteht ein neues Budgetloch, das wohl wieder nur durch Steuern gedeckt werden kann, was in sich schizophren ist. Außerdem ist die Kompensation noch nicht in einem Gesetz oder Dekret verankert, was den Unternehmen noch weniger Planungssicherheit gibt. Auch die mehrfach angedachte Strafregelung, wonach Unternehmen, die sich der Lohnanhebung verweigern, für öffentliche Ausschreibungen gesperrt werden sollen, hat noch immer keinen Gesetzesrang. Bei allem hört man immer: bis Jahresende. Buchhalterisch ist längst Jahresende.

Arbeit für alle. Welche Arbeit?

Trotz der Ankündigung, die Kosten der Unternehmen für Bürokratie im dreistelligen Milliardenbereich zu senken und den Zugang zu Ausschreibungen transparenter und unkomplizierter zu regeln, haben keine spürbaren Verbesserungen stattgefunden. Zwar rechnete die Regierung vor, dass fast die Hälfte aller unter den Vorgängern ausgeschriebenen Aufträge in Tendern mit nur einem Bieter vergeben wurden, gleichzeitig wurde jedoch bekannt, dass sich einige Ministerien und Regierungsbehörden mittlerweile ganz ohne Ausschreibungen ausstatten und beliefern lassen, an nationalem und europäischem Gesetz gleichermaßen vorbei.

Dass die Lohn- und Abgabenpolitik zu mehr Entlassungen führen wird, ist eine schwere Niederlage für die Arbeitsmarktpolitik der Regierung. Hat sie doch das ehrgeizige Ziel ausgegeben, "jeden, der arbeiten kann, auch in Arbeit zu bringen." Doch die geeigneten Maßnahmen dafür hat sie nicht ergriffen, weil sie stets zwischen Förderung der Wirtschaft und Verbindlichkeiten der Staatskasse hin- und herschwankte, aber unbedingt alles auf einmal richten wollte.

So wird zwar ein rigides Beschäftigungsprogramm für Sozialhilfeempfänger gestartet, weil eine Beschäftigungsquote von nur 54% jeden Staat ruiniert, die ersten Modellprojekte zeigen jedoch, dass es sich dabei um vollkommen perspektivlose Tätigkeiten handelt, die gleichzeitig die kommunalen Haushalte entlasten sowie vor allem die Romaminderheit "beaufsichtigen" sollen. Im Ergebnis fördern sie nur Neid und Vorurteil, und das Waldfegen verhindert nicht zuletzt eine Qualifikation für den ersten Arbeitsmarkt. Der Statistik mag es kurzfristig helfen, den betroffenen Menschen nicht.

Geplant ist auch die mögliche Verleihung solcher "Zwangsarbeiter" an die Privatwirtschaft. Dafür hat man sogar den gesetzlichen Mindestlohn für diese Personengruppen außer Kraft gesetzt und stellt damit seinen eigenen Vorgaben an die Wirtschaft in punkto Lohnanpassung ad absurdum. Staatlich gelenkte Verlendung, könnte man dieses Programm daher nennen. Weiterhin werden Frührentner und schummelnde Invalidenrentner (ab 2012 ist nur arbeitsbefreit, wer 60% Invailidität nachweist, mit der Invalidenrente wurde in Ungarn mehr Schindluder getrieben als in allen anderen EU-Ländern) "wieder dem Arbeitsmarkt zugeführt", obwohl es für die meisten von ihnen überhaupt keine Arbeitsplätze gibt. Dafür macht man die - oft geringen - Frührenten zu Gehältern und besteuert sie, was die Einkommenssituation der unteren Schichten weiter verschlechtert.

Durch die Übereilung und Überschneidung dieser zahlreichen Maßnahmen, die mal ein Totalumbau werden sollten, sich aber immer mehr zu einem Kaltabriss mausern, hat sich das Land ein zusätzliches strukturells Chaos, eine Art Verschlimmbesserung, zugefügt, die für Unternehmen wie für kleine Selbständige eine Verschlechterung darstellen, da sie mehr Verwaltungsaufwand bei weniger Rechtssicherheit bedeuten, was nicht nur an der Produktivität kratzt, sondern vor allem auch Investitionen behindert.

 

Ein Dutzend neuer Steuern

Nicht ganz nebenbei hat Ungarn ab dem kommenden Jahr ein gutes Dutzend neuer Steuerarten, die Kreditklemme hat sich durch den "Krieg gegen die Banken" weiter verschärft, Forintkredite werden immer teurer, bald dürfte die Zentralbank den Leitzins auf 7% erhöhen, vor allem aber lassen die vielen zugesagten öffentlichen Investitionen durch umgewidmete EU-Mittel (Neuer Széchenyi-Plan) auf sich warten. Hiervon profitierten bisher überwiegend Unternehmen mit gewissen Nahverhältnissen, eine erkennbare Zielrichtung ist nicht erkennbar, sie wird nur, wie alles, immer behauptet.

Die Unternehmer, so sie nicht gehen können, werden sich die nächsten Jahre eher einigeln als Lust verspüren, in einem solchen Umfeld größere Risiken einzugehen. Somit hat die Regierung durch die politisch gesteuerte Übereilung und Überschneidung verschiedener Maßnahmen genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie wollte: "die eigenen Kräfte zu aktivieren, um Ungarn wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen."

Die Orbán-Regierung hat den zaghaften Aufschwung von 2010 praktisch totreformiert. Der Verweis auf die krisenhafte Eurozone, "globale Stürme" und die Vorgänger ist angesichts der selbstgemachten Fehler bestenfalls die halbe Wahrheit. Das schlimmste aber ist, dass man fast alles, was oben aufgelistet ist, verbessern könnte, es aber nicht getan wird, aus sturer Beharrung, dass ohnehin alles im "nationalen Interesse" stattfindet.

Pál Szabó

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